Piksen oder passen?

Impfen Pro und Contra

Kaum ein anderes Thema birgt so viel Konfliktpotenzial wie das Impfen. Ein Thema, mit dem sich frischgebackene Eltern spätestens bei den Vorsorgeuntersuchungen auseinandersetzen müssen. Um eine fundierte Entscheidung treffen zu können, müssen sie sich gut informieren.

Eltern sollten Pro und Contra beim Impfen ihres Kindes abwägen und sich dann entscheiden.© Foto: Getty Images
Eltern sollten Pro und Contra beim Impfen ihres Kindes abwägen und sich dann entscheiden.

„sag mir ein Grund warum ich impfen soll?“, fragt sharona6. „weißt du überhaupt was man in den kleinen körper für ein gift spritzt?“ schlaflos11 kontert: „ich frage mich jedesmal wenn ich sowas lese, ob die mamas die ihre kinder nicht impfen lassen, zwei drähte im hirn haben die sich jedesmal berühren wenn sie anfangen zu denken. sowas ist absolut verantwortungslos! dass eure kinder dann andere babys und andere leute anstecken können daran denkt ihr nicht oder? und dass sie selber an den krankheiten sterben können oder folgeschäden davon tragen?“

Dieser kleine Auszug aus einem Internetthread ist eines von vielen Beispielen, das verdeutlicht: Geht es ums Impfen, geht es hoch her. Impfen ist ein Thema, das polarisiert. Und: bei dem es offensichtlich schwer fällt, sachlich zu diskutieren.

Impfbereitschaft und Impfempfehlungen

Eine Befragung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) aus 2011 hat Einstellung und Impfverhalten der Eltern von Kindern im Alter von null bis 13 Jahren zu Impfungen untersucht. Sie hat gezeigt, dass die Mehrheit der Mütter und Väter dem Impfen gegenüber positiv eingestellt ist. 35 Prozent lehnten einzelne Immunisierungen ab. Und nur etwa ein Prozent der befragten Eltern sind Impfgegner. Wie viele Kinder tatsächlich geimpft sind, lässt sich indes nicht genau sagen. "Verlässliche Daten über die Impfbeteiligung fehlen in Deutschland, insbesondere für die Altersgruppe der Null- bis Zweijährigen", bedauert Dr. Jan Leidel, Facharzt für Mikrobiologie und Infektionsepidemiologie a. D. sowie ehemaliger Vorsitzender der Ständigen Impfkommission (STIKO) am Robert Koch-Institut Berlin.

Die STIKO – ein Expertengremium aus zwölf bis 18 Mitgliedern unterschiedlicher Disziplinen aus Forschung und Wissenschaft, das seit 1972 Impfempfehlungen herausgibt. Die Kosten für die von der STIKO empfohlenen Schutzimpfungen trägt die Krankenkasse. Damit Eltern und Ärzte wissen, gegen welche Krankheiten der Nachwuchs geimpft wurde und wann der nächste Impftermin ansteht, werden alle Immunisierungen ins Impfbuch beziehungsweise in den Impfpass eingetragen.

Ein kleiner Pikser – und dann?

Was passiert eigentlich bei einer Impfung? Impfstoffe enthalten unter anderem abgetötete beziehungsweise abgeschwächte Viren und Bakterien, die keine Erkrankung mehr auslösen können. Nachdem der Arzt den Impfstoff verabreicht hat, kommt es im Körper zu einer Abwehrreaktion – so, als würde man eine echte Infektion durchleben. Das Immunsystem bildet Antikörper, um den vermeintlichen Krankheitserreger zu bekämpfen. Kommt der Geimpfte später in Kontakt mit dem echten Erreger, wird dieser von seinem Immunsystem erkannt – die Antikörper, die der Körper nach der Impfung gebildet hat, blockieren den Erreger und verhindern ein Ausbrechen der Krankheit.

Manchmal ist die Einstichstelle nach der Impfung gerötet, schwillt an und die Kleinen werden quengelig. "Solche normalen Impfreaktionen treten häufig auf. Sie sind ein Zeichen, dass der Körper auf den Impfstoff reagiert. Impfkomplikationen, die mit bleibenden Schäden einhergehen, sind jedoch außerordentlich selten", sagt Dr. Leidel.

Risiken und Nebenwirkungen

Die Angst vor Impfkomplikationen beziehungsweise -schäden ist der Hauptgrund für  Eltern, sich gegen Schutzimpfungen zu entscheiden. Fälle, in denen  Impfstoffe zurückgerufen wurden, verunsichern. Wie beispielsweise die Sechsfachimpfstoffe, von denen man befürchtete, sie würden plötzlichen Kindstod auslösen, was durch Studien jedoch nicht bestätigt werden konnte. "Wie alle Arzneimittel haben auch Impfstoffe Nebenwirkungen. Allerdings sind sie deutlich nebenwirkungsärmer als die meisten Medikamente, die wir zur Behandlung von Krankheiten einsetzen", erklärt der STIKO-Vorsitzende. "Impfstoffe gehören zu den sichersten Arzneimitteln, die wir haben."

Zu diesem Ergebnis kommt auch der Kinder- und Jugendgesundheitssurvey (KiGGS), der zwischen 2003 und 2006 in Deutschland durchgeführt wurde. Nur bei 332 von fast 16.000 Kindern im Alter von null bis 17 Jahren berichteten Eltern von Unverträglichkeiten nach Impfungen. Das Paul-Ehrlich-Institut, das Bundesamt für Sera und Impfstoffe, prüft Impfstoffe auf Sicherheit, Qualität und Wirksamkeit – auch nach ihrer Markteinführung. "Menschen denken an die Gefahren der Impfung, sie denken aber nicht an die Komplikationen, die eine Infektionskrankheit haben kann", stellt Dr. Leidel fest.

Kinderkrankheiten sind kein Kinderkram

Masern zum Beispiel. Einige Väter und Mütter veranstalten "Masernpartys", und infizieren ihren Nachwuchs bewusst mit dem Virus, in der Annahme, dass es sich positiv auf die Entwicklung des Kindes auswirkt, wenn es die Erkrankung durchmacht. "Viele meinen, Masern seien eine harmlose Kinderkrankheit. Bis man den Eltern sagt, dass eine Infektion schwerwiegende Spätfolgen nach sich ziehen kann, an denen das Kind auch sterben kann", warnt Dr. Annette Eiden, Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin sowie Homöopathie.

Laut Robert Koch-Institut entwickelt sich bei einem von 1.000 Kindern, die an Masern erkranken, eine sogenannte Masern-Enzephalitis, die zu bleibenden Hirnschäden führt und im schlimmsten Fall tödlich verläuft. Im Vergleich dazu tritt in einem von einer Millionen Fällen eine solche Enzephalitis auch nach einer Impfung auf – 1000-mal seltener als bei der Erkrankung. Dr. Leidel hält Masernpartys "angesichts eines sicheren Impfstoffs für unverantwortlich." Die Masern-Impfung wird oft als Dreifachimpfstoff zusammen mit der Immunisierung gegen Mumps und Röteln verabreicht (MMR-Impfung). Überfordern solche Kombinationsimpfstoffe Babys Immunsystem? "Man überfordert den Körper dahingehend, dass man ihn mit vielen verschiedenen Antigenen auf einmal konfrontiert. Der Vorteil solcher Mehrfachimpfstoffe ist jedoch, dass das Immunsystem nur einmalig mit Zusatzstoffen konfrontiert wird. Mit jeder Einzelimpfdosis werden auch jedes Mal Zusatzstoffe verabreicht, die das Immunsystem erheblich mehr belasten. Auch geringe Mengen dieser Stoffe sind natürlich nicht gesund. Aber alles in allem hat sich die Impfstoffverträglichkeit im Laufe der Jahre verbessert," so Dr. Eiden.

Nach Meinung von Dr. Leidel "setzt sich der kindliche Organismus jeden Tag mit so vielen Antigenen aus der Umwelt auseinander, dass die wenigen im Impfstoff praktisch keine Rolle spielen.“ Immer wieder taucht die Frage auf, ob man mit der Immunisierung wirklich so früh beginnen muss. "Keuchhusten ist beispielsweise eine Erkrankung, die bei Säuglingen zu schweren Komplikationen führen kann. Die empfohlene Impfung ist in diesem Fall also sinnvoll", rät Dr. Eiden.

Gute Infos, schlechte Infos

Den Ergebnissen der BZgA-Studie zufolge fühlen sich Eltern über Schutzimpfungen gut informiert. Die Aufklärung durch Ärzte spielt dabei eine Schlüsselrolle. Das Internet rangiert als Quelle auf dem letzten Platz – nur 26 Prozent der befragten Mütter und Väter gaben an, sich dort zu informieren. Google listet für "Impfen" rund dreieinhalb Millionen Ergebnisse. An erster Stelle: www.impfen-info.de, das Impfportal der BZgA. Lange Zeit vorne stand auch www.impfenaktuell.de – Das Wissensportal rund um das Thema Impfung. Mittlerweile ist es offline. Auf den ersten Blick war es ein informatives Portal, das sich bei genauerem Hinsehen jedoch als kommerzielles Angebot des Impfstoffherstellers "Sanofi Pasteur MSD" entpuppte. Weiter unten: www.impfkritik.de, das vorgibt, ein "Portal für unabhängige Impfaufklärung" zu sein. Betreiber ist Hans Tolzin, der nach eigenen Angaben gelernter Molkereifachmann ist, "schon immer einen Hang zum Journalistmus hatte", den Beruf jedoch nicht erlernt hat. Der medizinische Laie behauptet beispielsweise nach wie vor, dass die MMR-Impfung Autismus verursacht, obwohl die Studie, die diesen Zusammenhang bewiesen haben will, wissenschaftlich längst widerlegt wurde.

Entschiedene Impfgegner und medizinische Laien wie Tolzin, die ihre mitunter absurden Theorien verbreiten, tummeln sich leider zuhauf im Netz. Und: werden in Impfthreads von Müttern wie sharona6 oft zitiert. "Die Gefahr, auf solche Seiten reinzufallen, besteht durchaus", weiß Dr. Eiden. "Ich versuche solche Fehlinformationen in meinen Beratungsgesprächen aufzuspüren und richtigzustellen." Eltern sollten also mit offenen Augen surfen. Ein Kinderarzt, der die Sorgen und Ängste der Eltern ernst nimmt, ist die beste Anlaufstelle, um sich zu informieren.  

Die Entscheidung

Fazit: Die Impfentscheidung kann man nur auf der Basis gründlicher Information fällen. "Die Impfempfehlungen der STIKO sind eine Entscheidungshilfe. Sie können den Eltern die Entscheidung nicht abnehmen", gibt Dr. Leidel zu bedenken. Eine Alternative zur Schutzimpfung gibt es nicht, da sind sich die Experten einig. "Zwar schützt keine Impfung zu hundert Prozent. Jedoch ist sie in allen Fällen wirksamer als keine Impfung."

Dr. Eiden: "Den Sinn und Zweck von Impfungen darf man nie in Frage stellen. Es gibt Krankheiten, gegen die man sich nicht anders schützen kann als durch diese Prophylaxe. Das wird jeder homöopathische Arzt auch so befürworten." Schulmedizin und Homöopathie schließen sich demnach nicht aus. Das bestätigt auch der Zentralverein homöopathischer Ärzte (DZVhÄ) in einer Stellungnahme auf seiner Website.

"Die öffentlichen Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) sind sorgfältig erwogen und berücksichtigen den aktuellen Stand des Wissens mit der Absicht, das Auftreten vieler Infektionskrankheiten grundsätzlich zu verhindern." Im Unterschied zur Schulmedizin versteht die Homöopathie Impfempfehlungen jedoch nur als Leitlinie, die – insbesondere bei Kindern – auf die individuelle Lebenssituation, also Vorerkrankungen, körperliche Konstitution etc. angepasst werden muss. Eines sollten Eltern bei der Entscheidungsfindung stets bedenken:  Impfungen schützen nicht nur das eigene Kind, sondern auch Säuglinge und Menschen, die nicht geimpft werden können.

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