Tipps für Eltern

Schreibabys: Wenn das Kind weint und weint und weint ...

Hattet ihr auch schon mal einen Moment, an dem euch das Weinen eures Babys an eure Grenzen gebracht hat? Die Verfasserin dieses Textes hat Erfahrung mit Schreibabys und kennt sich aus – sowohl privat als auch beruflich. Für uns hat sie zusammengefasst, was hilft.

Schreibabys verunsichern viele Eltern, weil oft nicht zu erkennen ist, warum das Kind weint.© Getty Images/chameleonseye
Schreibabys verunsichern viele Eltern, weil oft nicht zu erkennen ist, warum das Kind weint.

Ich halte das nicht mehr aus. Ich habe keine Kraft mehr für weitere Monate voller Geschrei. Das alles war ein Fehler ... Diese und weitere Gedanken wirbelten durch meinen Kopf, als auch mein drittes Kind sich als Schreibaby entpuppte – damit hatte ich schon Erfahrungen. Die Vorstellung, wieder Monate mit einem untröstlich weinenden Säugling zu verbringen, trieb mir selbst die Tränen in die Augen. 

Die Frage nach der Ursache

Wer nie ein Schreibaby über Wochen und Monate begleitet hat, der kann sich nicht ausmalen, was das bedeutet. Fragen von Außenstehenden wie "Hat es Hunger?" oder "Sind es Drei-Monats-Koliken?" helfen euch genauso wenig wie die Hinweise, dass Babys euch mit ihrem Weinen manipulieren (das können sie nicht!) – oder dass sie sich nur mal richtig ausschreien müssen. "Die Gründe für anhaltendes Babyweinen sind sehr vielfältig", sagt Schreibaby-Expertin Jeannine Ernst. Weil Babys nun mal noch nicht sprechen können, äußern sie sich über Mimik, Körpersprache – und Laute, im wahrsten Sinne des Wortes. Häufig haben Babys einen bestimmten Grund für das Schreien: So können verschiedene "Schreiarten" ein Ausdruck für Hunger, Bauchweh, eine volle Windel, Müdigkeit oder Sehnsucht nach Nähe sein. Wenn Eltern diese Ursachen bei ihrem Schreibaby ausschließen können, das Kind aber trotzdem weiter weint, verunsichert das viele. 

Definition: Ab wann ist ein Kind ein Schreibaby?

Tatsächlich schreit jedes fünfte Baby in den ersten Monaten übermäßig viel. Lange Zeit sprachen Experten von der "3er-Regel", die eine Definition liefert, ab wann Kinder sogenannte Schreibabys sind: Säuglinge, die drei Stunden am Tag an mindestens drei Tagen in der Woche innerhalb von drei Wochen weinen. Doch das ist eben nur die veraltete Theorie, mit der viele Mamas und Papas nichts anfangen können. Die Realität nämlich zeigt: Das Weinen ihres Babys geht Eltern unterschiedlich an die Substanz. Die einen sind am Ende ihrer Kräfte, wenn ihr Kind einige Minuten am Tag schreit, die anderen stoßen auch nach vier Stunden Geschrei nicht an ihre Grenzen. 

Wo gibt es Hilfe für Eltern mit Schreibabys?

© Getty Images/Anchiy
Körperkontakt ist immer eine gute Idee, um Schreibabys zu beruhigen.

Erste Anlaufstelle sollte der Kinderarzt sein. Schließt dieser organische Ursachen beim Schreibaby aus, helfen Schreiambulanzen (in der Regel kostenlos) und Fachleute, die z.B. körperorientierte Krisenbegleitung, Eltern-Kind-Therapien oder Emotionelle Erste Hilfe anbieten (emotionelle-erste-hilfe.org). Letztgenannte Angebote sind zwar meist Selbstzahlerleistungen – es lohnt sich aber, mit der Krankenkasse zu sprechen, ob die Kosten nicht doch anteilig erstattet werden. 

"Die Familie, die sich selbst nicht mehr ausreichend regulieren kann, kann hier zurück zur Ruhe und Entlastung finden", erklärt Jeannine Ernst. "Babys im Alarmmodus, also mit einem in Aufruhr versetzten Nervensystem, benötigen entspannte Mamas und Paps als Fels in der Brandung, da sie nicht in der Lage sind, sich allein zu regulieren. Die Eltern benötigen selbst statt einer druckerzeugenden auch eine beruhigende Begleitung, um nicht die Nerven zu verlieren."

Doch genau das – die Nerven mit einem Schreikind nicht zu verlieren – ist leichter gesagt als getan. Das Vertrauen, genau die richtige Mama oder der richtige Papa für euer Kind zu sein, kann erschüttert werden, wenn das Baby immer wieder so viel schreit. "Es ist nicht leicht, als kognitiv denkender Erwachsener einen rein körperlich und impulshaft agierenden Säugling zu verstehen", sagt Jeannine Ernst. Das Weinen, die Unruhe, das Hochschrecken der Babys versetze Eltern zudem in Alarmbereitschaft. "Einige geraten dann irgendwann in die Ohnmacht, beginnen das Baby anzuschreien oder gar grob anzufassen, registrieren Gewaltfantasien. Impulse, die sich manchmal nicht mehr steuern lassen. Es ist ein nachvollziehbarer Ablauf, aber dazu darf es nicht kommen. Es gibt gute Hilfe, diese Abläufe frühzeitig zu unterbrechen."

Buch-Tipp: "Wie du dein Schreibaby beruhigst – Die besten Tipps und Strategien für zufriedene Babys und gelassene Eltern"

Unsere Autorin hat im Januar 2021 ein Buch zum Thema veröffentlicht: "Wie du dein Schreibaby beruhigst – Die besten Tipps und Strategien für zufriedene Babys und gelassene Eltern". Von Andrea Zschocher, 192 Seiten, 14,99 Euro, Trias Verlag, über Amazon.

Der rettende Schlüsselmoment

Bei mir gab es damals einen Schlüsselmoment: Ich brüllte mein schreiendes Baby an, es möge jetzt endlich still sein, sonst würde ich es auf die Straße stellen. Ich merkte in dieser Minute, wie erschöpft ich war, erschrak über mich selbst. Die Folge: Ich lernte, über meine Gefühle diesbezüglich zu reden – ein erster, ganz wichtiger Schritt. Mein Mann übernahm mehr Verantwortung. Und ich verstand, dass ich nicht nur für mein Baby da sein muss, sondern auch mich selbst nicht vergessen darf. Noch heute schmerzt es, dass ich an die ersten Monate mit Baby kaum schöne Erinnerungen habe. Die Hauptsache aber ist: Sowohl meine Kinder (inzwischen 2, 4 und 7 Jahre alt) als auch wir Eltern haben es überstanden. Und das werdet auch ihr ...

9 Tipps für Eltern von Schreibabys

Was kann man im Umgang mit einem Schreibaby tun, was hilft den Eltern und dem Kind? Hier findet ihr Anlaufstellen und Anregungen:

  1. Geht zum Kinderarzt. Hier kann ausgeschlossen werden, dass ein medizinisches Problem vorliegt – zum Beispiel Refluxstörungen (Sodbrennen). 
  2. Holt euch Hilfe unter hebammenverband.de, bei der Schreiambulanz (nach PLZ unter schreibaby.de) oder beim kostenfreien Krisentelefon des KBO-Kinderzentrums München: 0800-7100900.
  3. Erzählt anderen von euren Gefühlen, vertraut euch Freunden oder Verwandten an. Findet den Mut, auszusprechen, was ihr denkt, was euch beschäftigt – das befreit.
  4. Macht euch klar, dass ihr keine schlechte Mama, kein schlechter Papa seid, nur weil euch das Schreien eures Kindes überfordert. Ihr seid nicht schuld daran! 
  5. Verschafft euch Ruhepausen. Bittet um Unterstützung. Habt ihr Hemmungen, nach (vermeintlich) großen Gefallen zu fragen: Viele kleine Hilfen geben ebenfalls Freiräume für euch. 
  6. Lasst euch Auszeiten schenken statt den 20. Body oder die dritte Rassel. Euer Baby braucht zugewandte Eltern – und die seid ihr, wenn ihr ab und zu entspannen könnt. 
  7. Seid großzügig mit euch. In den schlimmen Schreiphasen ist eure mentale Gesundheit alles, was zählt. Der Haushalt kann warten. Wirklich.
  8. Schützt euch vor übergriffigen Kommentaren anderer. Sie kennen eure Situation nicht und sehen nur Ausschnitte. Lasst euch keine Schuldgefühle einreden. 
  9. Vergesst euren Partner bei all den Sorgen nicht. Seid füreinander da. Und vergesst bei der Frage "wann wird es besser mit dem Schreibaby?" nie, dass alles nur eine Phase ist, die garantiert auch bei euch vorbeigeht.
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