Ich will doch kein Facebook-Meme sein!

Day Drinking, Wine Moms – coole Begriffe, zweifelhaftes Phänomen

Warum sind so viele Mütter stolz darauf, eine "Wine Mom" zu sein und tagsüber zu trinken? Unsere Autorin Silke wundert sich über den Social-Media-Trend, sich mit dem eigenen Alkoholkonsum zu brüsken.

Tagsüber zu trinken ist kein Grund, stolz zu sein. (Kann aber mal vorkommen.)© Foto: Getty Images/Westend61
Tagsüber zu trinken ist kein Grund, stolz zu sein. (Kann aber mal vorkommen.)

Keine Sorge, das hier wird kein "Hört mit dem Trinken auf!"-Text. Denn wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Weinflaschen werfen: Ich liebe Rosé, bestelle vorm Essen gern Aperol Spritz und selbst beim Playdate serviere ich hin und wieder Prosecco. Tatsächlich habe ich mir letztes Jahr noch ein T-Shirt gekauft, auf dem in großen Lettern der Spruch prangt: "Ich mache YOGA gegen Stress!" und darunter, in etwas kleineren Buchstaben: "Nur Spaß! Ich trinke WEIN in Yoga-Leggings."

Ich lachte bei den Alkohol-Witzen laut mit ...

In der allgemeinen Homeoffice-Jogginganzug-"Jetzt ist modisch eh alles egal"-Stimmung der letzten Monate fand ich es witzig, meinem baumwollgrauen Lieblingsbeinkleid mit diesem Shirt das perfekt harmonisierende Oberteil zu verpassen. Natürlich sorgte das Statement in der ein oder anderen Videokonferenz für allgemeine Erheiterung. Und wenn ich dann noch gefragt wurde, ob in meiner Tasse wiiiirklich nur Kaffee sei oder ob ich mir die Kombination aus Homeoffice und Homeschooling nicht vielleicht doch mit einem anderen Getränk erträglicher machte, lachte ich laut mit.

Wine Moms und stolz darauf: Kein Alltag ohne Alkohol?

Heute bleibt mir dieses Lachen im Halse stecken. Ich weiß nicht, wie es euch geht – aber meine Social-Media-Timelines sind mittlerweile geflutet von Memes und Cartoons und Witzsprüchen über gestresste Mütter mit Weingläsern (oder gleich ganzen Flaschen) in der Hand. "Ich trinke nicht allein, die Kinder sind ja immer hier!" fand ich anfangs noch am witzigsten. Oder "Ist es schon Wein Uhr?" und "They whine, I wine!" ("Sie weinen, ich (trinke) Wein"). Besonders beliebt in allen möglichen Variationen ist auch der Babybody mit dem Aufdruck: "Ich bin der Grund, warum Mama trinkt."

Es gibt noch zahlreiche weitere Gags mit immer gleichbleibender Pointe: Im allgemeinen Familien-Kinder-Alltagschaos funktionieren wir Mütter nur noch mit Alkohol. Ist das wirklich lustig?

Day drinking: gefährliche Gruppendynamik

Ich komme mir beim Schreiben dieser Zeilen wahnsinnig spießig vor. Weil ich sonst zu denjenigen gehöre, die laut und dreckig auch über grenzwertige Witze lachen können. Beim "Ich bin so eine gestresste Mutter, ich brauche erst mal Alkohol"-Joke stört mich auch weniger die Pointe an sich, als vielmehr die Dynamik, die in den Sozialen Medien damit ausgelöst wird: die Hunderte Kommentare, die sich unter jedem einzelnen Post versammeln. Und deren Absenderinnen sich zwischen Lachsmileys und Weinglas-Emojis gegenseitig darin bestätigen, dass es vollkommen normal sei, mit einem halben Liter Weißwein im Blut in den Mittwochnachmittag zu starten ("Schließlich heißt es nur 'kein Bier vor vier', von 'kein Wein' war nie die Rede, hihi").

Alle trinken – dann muss es ja okay sein!

Natürlich ist mir bewusst, dass das Niederschreiben eines solchen Kommentares noch lange nicht bedeutet, dass die Absenderin wirklich vor der offenen Weinflasche sitzt und sich gerade einen hinter die Binde kippt. Aber das spielt keine Rolle: Auf Facebook, Instagram, Twitter und Co. wird ein Bild der Normalität abgebildet, das – wie so vieles in den Sozialen Medien – einfach nicht der Wirklichkeit entspricht.

Nein, es ist nicht normal, den Alltag mit Kindern nur noch dank Alkohol aushalten zu können. Im Gegenteil: Es ist eine gefährliche Bewältigungsstrategie, die hier bagatellisiert wird. Denn wenn es hunderte von Mama-Facebook-Gruppen mit Tausenden von Mitgliedern gibt, die sich unter jedem weinseligen Post darin bestätigen, dass "D.I.Y." für "Drink it yourself" steht (haha) und dass Wein nur wenige Vitamine hat, "deshalb muss man unbedingt besonders viel davon trinken" (LOL) – dann kann es ja wirklich nicht verkehrt sein, wenn man sich selbst auch heute wieder ein Glas einschenkt. Oder gleich die ganze Flasche. Die anderen machen es schließlich auch! Das bestätigen nicht nur die Memes und Cartoons, sondern ganze Artikel mit so trotteligen Titeln wie "Sieben Gründe, warum Prosecco am Nachmittag gut für uns ist". Punkt 3 dieses knallhart recherchierten Journalistenstücks lautet übrigens: "Der Tag ist viel lustiger, wenn man einen sitzen hat." Wow, was für eine Erkenntnis! Und während ich mich noch über die Banalität der anderen 6 Punkte aufrege, sehe ich, dass der Artikel längst hundertfach geteilt wurde.

Ich bin kein Facebook-Meme!

Die Tage, an denen ich zwischen Job und Schule und Kita und Beziehung und Alltagsbesorgungen alles stressfrei und nonchalant lächelnd gewuppt bekomme, sind verdammt selten. Die verlockende Vorstellung, sich den ein oder anderen Alltagsstress einfach lustig zu trinken, finde ich daher gar nicht mal so absurd. Und damit bin ich ganz sicher nicht allein. Im Gegenteil: Während der Pandemie hat laut Studien der Alkoholkonsum bei jeder dritten Person in Deutschland zugenommen. Vermutlich kennen viele von uns das "Was für ein Tag, ich brauch jetzt erst mal 'nen Schnaps"-Gefühl also nur zu gut. Leider! Aber das Thema verdient eine ganz andere, ernsthaftere Aufmerksamkeit als Facebook-Memes – mit denen wir uns selbst am Ende nur zur traurigen Witzfigur machen.

Share the love!

Ich liebe die Idee, dass wir Mütter uns gegenseitig bestärken – auch und vor allem im Nicht-perfekt-Sein. Und das gern auch in den Weiten des Internets! Es gibt wunderbare Facebook-Gruppen, in denen wir uns austauschen und einander mit eigenen Erfahrungen helfen können, in denen wir uns Mut machen und uns gegenseitig sagen können, dass es vollkommen normal ist, dass das Leben mit kleinen Kindern einfach superstressig sein kann (denn der Teil IST vollkommen normal).

Und den nächsten Post zu DIESEM Thema, den teile ich von Herzen gern mit der ganzen Welt!

Autorin: Silke Schröckert

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