
Die Nachricht der Kita-Mutter bringt mich aus dem Konzept. Ist die sauer auf mich? Warum klingt alles so wütend?
Obwohl – wütend ist nicht das richtige Wort. Die Nachricht ist einfach unhöflich! Dabei steht doch gar nichts Unhöfliches darin. Oder? Es ist die Absage für die morgige Verabredung unserer Töchter. Gut begründet, wohlbemerkt. Und trotzdem: Irgendetwas stört mich an diesen Zeilen. Harmoniesüchtig, wie ich bin, reagiere ich trotzdem (oder gerade deshalb?) mit der maximalen Freundlichkeits-Keule: "Kein Problem! Alles gut! Verstehe ich total!", tippe ich ins Handy. Und dann, zwei rosa Herzen und einen Smiley, der der anderen Mutter ein virtuelles Küsschen durch unseren WhatsApp-Kanal schickt.
Und noch bevor ich auf den "Senden"-Button klicke, realisiere ich, was mich gestört hatte. Was mich hatte glauben lassen, die Absenderin würde mich unhöflich, sogar passiv-aggressiv abservieren: Die sechszeilige Textnachricht enthält kein einziges Emoji! Kein trauriges Gesicht, das wegen der Absage weint. Keine gefalteten Hände, die die Hoffnung auf einen schnellen Nachholtermin unterstreichen. Und kein buntes Herzchen, das sich für mein Verständnis bedankt. Es waren schlicht und ergreifend nur – Buchstaben! Mal im Ernst: Wer macht denn so was?
Nicht ohne meine Emojis
Natürlich weiß ich, wie man ohne bunte Bildchen kommuniziert. Ich habe es im Journalismus-Studium sogar professionell gelernt. "Wer Emojis braucht, um zu erklären, was er meint, benutzt nicht die richtigen Worte", hatte mein Dozent uns eingebläut. Logisch, dass es unter uns Studierenden mehr als verpönt war, schriftliche Aussagen mit Lachsmileys oder Herzchen zu dekorieren. Aber heute, mehr als 15 Jahre später, schreibe ich kaum eine Nachricht ohne fröhlich-gelbes Grinsegesicht.
Mit dieser Angewohnheit bin ich nicht allein: Weltweit verwenden 92 Prozent aller Internetnutzer Emojis! Unter den 25- bis 34-Jährigen sind es laut statista.de sogar nur 2,2 Prozent, die gar keine Emojis verwenden. Wenn Jugendliche kommunizieren, dann tummeln sich innerhalb von 1.000 Wörtern im Schnitt stolze 60 Emojis – also alle 16 bis 17 Wörter ein neues buntes Bildchen. Das hat Dr. Florian Busch herausgefunden. Im Rahmen seiner Promotion analysierte der Linguist mehr als 19.000 Textnachrichten aus WhatsApp: "Entgegen zahlreicher Behauptungen werden Emojis aber in der Regel nicht dafür genutzt, ganze Wörter oder Sätze zu ersetzen", weiß Florian Busch. (Also keine Sorge: Wir verfallen nicht zurück in höhlenmalereiähnliche Zeichen-Kommunikation.) Emojis würden stattdessen meistens genutzt wie Satzzeichen – am Ende der Aussage und als Interpretationshilfe, wie diese zu verstehen ist.
Mehr Emotion, bitte!
Womit wir wieder bei meinem Ausgangsproblem wären: Ja, in der Nachricht stand alles Wichtige drin. Nur fehlte mir eben die zugehörige Emotion! Das, was ich bei einem persönlichen Gespräch in der Gestik und Mimik meines Gegenübers ablesen kann. Ist die Mutter traurig, dass sie unsere Verabredung absagen muss? Ist es ihr vielleicht unangenehm? Oder ist es ihr total egal? Das verraten die Buchstaben nämlich nicht, möchte ich meinem Dozenten von damals jetzt gern in Großbuchstaben zuschrei(b)en (natürlich gefolgt von einem Lach-Smiley mit Schweißtropfen auf der Stirn, um zu signalisieren, dass ich nicht wirklich wütend bin ... oh Hilfe, ich denke sogar schon in Emojis!).
Nicht immer sind Emojis eindeutig
Nicht nur das Fehlen von Emojis kann zu Missverständnissen führen: Auch die Auswahl selbst sorgt laut Florian Busch oft für Verwirrung. Denn dabei werden Regeln angewandt, die in keinem Nachschlagewerk stehen, und allein davon abhängig sind, wer eine Nachricht sendet (und vor allem: an wen). So gibt es Menschen, bei denen wir jede einzelne Nachricht im Chat-Verlauf mit einem roten Herzchen "liken", ohne mit der Wimper zu zucken, während wir bei anderen im Erdboden versinken, wenn wir mit den Fingern abrutschen und versehentlich das Zeichen der Liebe versenden (Ich habe dem Fußballtrainer meines Sohnes im Sommer ein rotes Herz gesendet und schäme mich noch heute dafür.).
Die gute Nachricht ist: Florian Busch ist sicher, dass wir uns bei den Menschen, die uns wirklich wichtig sind, nicht allzu viele Gedanken über Emojis machen müssen: "Enge Freunde verzichten mitunter ganz auf den Einsatz von Emojis, weil sie nicht nötig sind, um einander richtig zu verstehen."
Ohne Smileys geht’s auch
Während ich darüber nachdenke, dass meine Freundinnen und ich zwar durchaus gern mit albernen Emojis um uns schmeißen, aber in der Tat keinen Smiley als Ironie-Hinweis füreinander benötigen, meldet sich mein Mann bei mir per WhatsApp: "Was wollen wir essen?", lese ich. Und scrolle dann durch unsere letzten Nachrichten von heute morgen, gestern, der letzten Woche. Da realisiere ich: Wenn ich mit dem Vater meiner Kinder texte, verwenden wir beide tatsächlich (so gut wie) keine Emojis!
Nach meinem neuesten Emoji-Wissen kann das nur eins bedeuten: Wir sind Seelenverwandte, die sich perfekt verstehen und ganz genau wissen, was der andere meint! Hach, ist das nicht romantisch? Meine Antwort an die Kita-Mutter habe ich längst vergessen, ich habe jetzt Wichtigeres in WhatsApp zu tun: "Burger?" schicke ich meinem Mann als Antwort. Und direkt hinterher ein dickes, rotes Herz.
Autorin: Silke Schröckert