
Endlich Weihnachten. Ich liebe Weihnachten! Ich liebe den ganzen Dezember. Weihnachtsmann und Nikolaus, Adventskalender und Kerzenkränze, Papiersterne und Lichterketten. Dazu der Duft nach Zimtplätzchen und zum Nachtisch Vanilleeis mit Schoko-Glasur, das die Form von einem kleinen Tannenbaum hat. So jedenfalls sah der Dezember in meiner Kindheit aus. Wie kann man einen solchen Monat voller Festtage, Geschenke und Dekoration nicht lieben? Zumindest wenn man vier, sechs oder acht Jahre alt ist – und nichts von alledem selbst vorbereiten muss.
Mama, warum bist du so gestresst?
Früher habe ich mich oft gefragt, wieso ausgerechnet meine Mutter im Dezember immer so gestresst war. Schließlich liebte sie die Weihnachtszeit genauso sehr wie ich. Doch meine Mutter war stets die Erste, die vom festlichen Tisch aufsprang. Und die Letzte, die sich endlich in Ruhe auf die Couch setzte. Lange blieb sie dort nie. Ständig wuselte sie herum, rannte in den Keller, holte Kisten hoch, brachte Dinge weg, erledigte "wichtige Arbeit" in ihrem Büro, bei der wir sie auf keinen Fall stören sollten.
Mama macht das schon. Irgendwie.
Als Kind habe ich schlicht nicht realisiert, dass der ganze Weihnachtszauber das Werk meiner Mutter war. Für den Baum und die Geschenke war schließlich der Weihnachtsmann zuständig. Und der ganze Rest? Der gehörte einfach dazu! Ich habe die 24 liebevoll verpackten Adventskalender-Päckchen und die Zimtplätzchen am Sonntagmorgen einfach genauso selbstverständlich genommen wie die Brotdose an einem normalen Schultag: Mama macht das ja alles, ohne dass man sie darum bittet!
Fluch aus der Küche
Wusstet ihr, wie viele Stunden ein Entenbraten im Ofen braten muss? Und wie lange es braucht, Rotkohl selbst vorzubereiten? Ich wusste es nicht. Und ich habe es auch wieder verdrängt. Ich weiß nur noch: An dem ersten Weihnachtsfest, das ich selbst ausgerichtet habe, stand ich in der Küche. Nicht nur den ganzen Heiligen Abend, sondern auch den Heiligen Tag lang. Und den Tag davor. Natürlich habe ich zwischendurch unseren Sohn gestillt. Und umgezogen, nachdem er sein gutes Weihnachtsoutfit vollgekotzt hatte. Und dann habe ich mich umgezogen, weil er mein gutes Weihnachtsoutfit auch vollgekotzt hat. Parallel ließ ich die Pannacotta anbrennen, die ich unbedingt selbst machen wollte. Meine Mutter hatte angeboten, eine Nachspeise mitzubringen, aber das hatte ich ausgeschlagen. Sowieso hatte ich jede Hilfe ausgeschlagen. Ich wollte das hier allein machen. Es war meine Lieblingsjahreszeit, mein Lieblingsmonat, mein Lieblingsfeiertag. Und ich wollte ihn für meine Familie genauso schön gestalten, wie er früher für mich war. Ich wollte alles selbst und alles perfekt machen – und machte mich und alle anderen damit wahnsinnig.
Essen ist fertig! Mama auch!
Während also zwei Omas, ein Opa, ein Kind und ein Ehemann vor ihren Tellern saßen, rannte ich zwischen Esstisch und Küche hin und her. Und war nach ein paar hastigen Happen auch die Erste, die wieder aufsprang. Natürlich haben alle gesagt, dass die Ente und die verbrannte Pannacotta einfach super schmecken. Haben sie nicht. Der Nachtisch war nicht nur angebrannt und klumpig, sondern irgendwie auch sauer. So wie ich. So fühlt sich also Weihnachten als gastgebende Mutter an? Das ist doch scheiße. Ich wollte das nicht. Ich wollte wieder im Haus meiner Eltern sitzen, am feierlich gedeckten Tisch. In meiner Schlafanzughose mit den blauen Teddys und nicht in dieser unbequemen Strumpfhose, die ich unter meinem schicken Kleid trug. Ich wollte einen Nachtisch, der nicht verbrannt ist. Er muss nicht gleich die Form von einem Tannenbaum haben. Aber es sollte zumindest nicht einfach ein Klumpen in einer Glasschale sein. Also fällte ich eine Entscheidung.
Mutter gut, alles gut.
Beim nächsten Weihnachtsfest machte ich alles anders. Und so wenig wie möglich selbst. Jedes Angebot, das im Vorfeld kam, nahm ich dankend an – ohne zu zögern. "Soll ich dieses Mal Nachtisch mitbringen?", fragte meine Mutter. Und ich sagte Ja. "Soll ich mich um die Getränke kümmern?", fragte mein Vater. Und ich sagte Ja. "Kann ich dir beim Kochen helfen?", fragte meine Schwiegermutter. Und ich lachte. Denn die Ente bestellte ich dieses Jahr online. Den Rotkohl auch. Dazu Knödel und Kartoffeln, Soße und Apfelmus. Alles fertig vorbereitet. 25 Minuten Aufwärmzeit brauchten Ente und Beilagen. Und länger stand ich dieses Jahr nicht in der Küche – zusammen mit meiner Schwiegermutter, die mir beim Aufwärmen half.
Dann setzte ich mich an den Tisch. In meinem kuscheligen roten Weihnachtspulli. Als wir vom Esstisch auf die Couch umzogen, hatte nicht nur mein Sohn schon seine Schlafanzughose an – sondern auch ich. Ich saß den ganzen Abend entspannt auf dem Sofa. Und aß dabei Nachtisch, der nicht angebrannt war. Ich hatte es geschafft: Ich hatte mir den Heiligabend zurückerobert. Und ich nahm mir für das folgende Jahr vor, es mit dem restlichen Dezember genauso handzuhaben.
"Perfekt" gibt es nicht.
Beim Verabschieden bedankte ich mich für die mitgebrachten Speisen und Getränke. Meine Mutter bot an, es nächstes Jahr wieder so zu machen. "Kannst du dann diese kleinen Vanilleeis-Tannenbäume machen, die wir früher immer hatten?", fragte ich mit nostalgischer Hoffnung. Meine Mutter lachte. "Das kannst du selbst", antwortet sie, "die hatte ich immer von Bofrost."
Autorin: Silke Schröckert