
Sonntagmorgen, 8 Uhr 30. Ich stehe irgendwo in der Walachei beim SC Schießmichtot am Spielfeldrand und friere mir Füße, Finger und vermutlich auch ein paar meiner noch nicht ganz wachen Gehirnzellen ab. Es regnet in Strömen, mein Handy hat kein Netz und der Vereinskiosk keinen Kaffee. Und während ich meinen Siebenjährigen im viel zu kalten, quietschgelben Trikot über den verregneten Kunstrasen stolpern sehe, komme ich nicht umhin mich zu fragen: Warum? Welche unglückselige Aneinanderreihung an Ereignissen hat dafür gesorgt, dass ich hier gelandet bin?
Fußball-Eltern schlafen nicht aus!
Gut, wie ich heute Morgen ganz konkret hier gelandet bin, weiß ich natürlich noch. Um viertel nach sieben klingelte mein Wecker – an einem Sonntagmorgen! Da sind die Kinder gerade in ein Alter gekommen, an dem sie uns Eltern zumindest an den Wochenenden hin und wieder ein wenig ausschlafen lassen, schon suchen sie sich Hobbys, die uns allesamt doch zum Aufstehen zwingen. Oder vielleicht nicht allesamt, denn auf das Weckerklingeln reagiert natürlich zunächst nur eine Person: ich. Bis der Kicker der Familie sich aus dem Bett und in die Fußballklamotte gequält hat, bedarf es vieler wohlwollender Worte meinerseits. Wobei die das geringere Übel sind: Mehr Disziplin erfordern die Dinge, die ich NICHT ausspreche. Wie zum Beispiel, dass ich jetzt auch tausend Mal lieber zurück unter die warme Decke rollen würde, anstatt mich in aller Herrgottsfrühe in den Regen zu stellen um zwei Dutzend Zweitklässlern dabei zuzugucken, wie sie einem Ball hinterherrennen, und dass es beileibe nicht so sei, dass wir das hier gerade zu meinem Privatvergnügen machten, sondern dass der ganze sonntagmorgendliche Zinnober nur seiner Leidenschaft zum Fußball wegen veranstaltet wird und dass, Himmelarschundzwirn, ein herzhaftes DANKE, MAMA jetzt angebrachter wäre als dieses morgendliche Gemeckere über frühes Aufstehen und verregnete Spieltage, und verdammt nochmal, wer bin ich denn, dass ich den ganzen Quatsch hier mitmache und dem Grund dafür auch noch gut zureden muss?!
Genug gemeckert. Los geht’s!
Nein, all das sage ich nicht. Stattdessen drücke ich mir ein "Komm, das wird lustig, und der Regen hört bestimmt gleich auf" über die Lippen, schnappe mir Kind und Handtasche und vergesse – wie könnte es um die Uhrzeit anders sein – die Thermoskanne mit dem frischgebrühten Kaffee in der Küche. Argh!
Dass meine Sonntage künftig häufiger so aussehen werden, hatte ich nicht wirklich auf dem Schirm, als ich unseren damals fünfjährigen Sohn das erste Mal im Fußballcamp anmeldete. Mittlerweile gibt es keine Woche mehr ohne Training, keine Ferien ohne Camp und kein Wochenende ohne "Spiel" wie das heutige – womit wir wieder bei meiner Kaffee-freien Anwesenheit auf diesem verregneten und handynetzlosen Fußballfeld wären. Und meiner Frage, warum zum Geier ich meinen Sonntagmorgen ausgerechnet SO verbringe.
Alles hat seinen wundervollen Sinn
Und in diesem Moment geschieht es: "JAAA!", brüllt es aus der Ecke des Spielfeldes, in der eben noch ein quietschgelber Fleck vorbeigewischt ist. Genau dieser Fleck kommt nun näher, und mit ihm das breiteste Grinsen, das in seinem Gesicht Platz findet: "Hast du das gesehen, Mama? Ich habe ein Tor geschossen!", strahlt mein Sohn. "Das habe ich!", strahle ich aus tiefstem Herzen zurück. Und da ist sie plötzlich wieder, die Antwort auf das "Warum". DARUM! Genau wegen dieses Strahlens, wegen dieser Freude in seinem Gesicht, wegen des Stolzes und seiner Vorfreude darauf, später seinem Papa von seinem Tor erzählen zu können – wegen all dieser Dinge stehe ich gerade hier. Nicht nur heute, sondern auch an den ganzen anderen Spieltagen. Ja, manchmal, wenn der Regen sehr kalt und der Kaffee sehr alle ist, vergesse ich das, genau wie mein Sohn morgens beim Weckerklingeln vergisst, dass dieser nur seinetwegen gestellt wurde. Aber an jedem einzelnen dieser Wochenendtage auf dem Fußballfeld kommt irgendwann der Moment, an dem mir wieder einfällt, warum es so wundervoll ist, dass mein Sohn sich für diesen Sport begeistern kann. Dass er ein Hobby gewählt hat, bei dem er Teamgeist lernt und Freunde findet; das ihm beibringt, mit Niederlagen umzugehen und Erfolge zu feiern, und das ihn einfach rundum glücklich macht. Warum nur brauche ich an manchen Tagen so lange, bis genau das alles mir wieder einfällt?
Nach dem Spiel ist vor dem Spiel
Das Match verliert die Mannschaft meines Sohnes trotz seines Tores. Das ändert nichts an seinem Stolz darauf – der hält den Rest des Tages an. Als alle Partien des Tages beendet sind, verabschieden sich die Teams voneinander und das Publikum, das ausschließlich aus Spielereltern besteht, applaudiert den Jungkickern zu. Ich klatsche lautstark mit. Doch insgeheim gilt mein Applaus heute nicht den Zweitklässlern auf dem Fußballfeld – sondern ihren Müttern und Vätern, die neben mir am Spielfeldrand stehen, und das alles kommendes Wochenende genau wie ich wieder von vorne mitmachen.
Ich bin stolz auf uns. Und nehme mir fest vor, mich an dieses wunderbare Gefühl beim nächsten Spiel von Anfang an zu erinnern.
Autorin: Silke Schröckert