
Auch, wer noch nicht auf dem Zahnfleisch geht, hat Anspruch auf eine Kur. Denn die drei- bis vierwöchigen Aufenthalte sind vor allem als Vorsorgemaßnahme für Mütter und Väter gedacht. Wer erste Erschöpfungszustände an sich oder seinem Partner feststellt, über chronische Krankheiten klagt oder Kinder mit Erkrankungen zu versorgen hat, dem sei eine professionelle Kraftspritze ans Herz gelegt. Die Kur bietet Zeit, sich zu regenerieren und zeigt Wege auf, den Stress im Familienalltag einzuschränken. Der Abstand von zu Hause schafft einen klareren Blick auf die Situation. Darüber hinaus ist es für viele Mütter und Väter eine motivierende Erfahrung, ihre Alltagssorgen von Fachkräften ernst genommen zu sehen. Klassische Diagnosen sind dabei Erschöpfungszustände, Anpassungsschwierigkeiten durch Arbeitslosigkeit oder die Trennung vom Partner, Mehrfachbelastung zum Beispiel als Alleinerziehender mit mehreren Kindern oder chronische Erkrankungen wie Asthma und Neurodermitis.
Krankenkassen in der Pflicht
Früher war die bitter nötige Kur für viele Kassen eher eine Kür. Die Gesundheitsreform 2007 erleichtert den Eltern den Zugang zu den Kurangeboten. Bundesrat und Bundestag haben Mutter-Kind-Kuren bzw. Vater-Kind-Kuren mit dem 1. April 2007 zu Pflichtleistungen der Krankenkassen erklärt und damit handfeste Verbesserungen erreicht: Die Beantragung ist unbürokratischer und reibungsloser, die Genehmigung einer Kur wahrscheinlicher und ein Widerspruch zur Ablehnung nicht aussichtslos.
Allerdings gilt folgende Voraussetzung: "Der Arzt muss die Kur befürworten und entsprechend attestieren", so Nadine Espey, Vorstandsvorsitzende des Mutter-Kind-Hilfswerk e. V. "Die Attest- und Antragsformulare erhalten Mütter und Väter bei ihrer Krankenkasse oder dem Mutter-Kind-Hilfswerk e. V., das auch kostenlos bei der Beantragung behilflich ist und zur Seite steht, falls der Kurantrag abgelehnt wird. Anschließend ist der Besuch beim Haus, Kinder- oder Facharzt erforderlich. Liegen entsprechende Krankheitsbilder vor, füllt er nach gründlicher Untersuchung die Atteste und den Kurantrag für die normalerweise dreiwöchige Präventions- oder Rehabilitationsmaßnahme aus, die man bei seiner Krankenkasse einreicht. Die gesetzlichen Krankenkassen übernehmen die Kosten für eine Mutter-/Vater-Kind-Kur in voller Höhe; Eltern müssen jedoch pro Kalendertag 10 Euro zuzahlen. Kinder sind davon befreit."
Im Winter fahren statt auf Ferien zu warten
Die Kurberatungsstellen raten, sich bei der Terminwahl nicht nur an den Ferienzeiten zu orientieren. "Die Gesundheit kann nicht auf die Ferien warten", sagt Anne Schilling, Geschäftsführerin des Müttergenesungswerks. "Frühling und Herbst sind herrliche Kurzeiten, und auch die kalte Jahreszeit lockt mit speziellen Winterkurangeboten der Kliniken."
Kurmaßnahmen in der kalten Jahreszeit können sogar besonders effektiv sein. Die Einrichtungen sind dann weniger voll und Beschwerden können intensiver behandelt werden. Vor allem für Mütter mit psychosomatischen Erkrankungen und Kinder, die viel Aufmerksamkeit in der Behandlung und Betreuung erfordern, sind die Wintermonate ideal. Dazu kommt, dass die geringe Pollenbelastung spezielle Therapien für Allergikerinnen und Asthmatikerinnen begünstigt, sodass die Kuren besonders wirkungsvoll sind. Auch die Kombination von Angeboten im Freien und physiotherapeutischen Behandlungen wirkt durch den Temperaturunterschied von innen und außen stärker.
Mutter-Kind-Kuren bzw. Vater-Kind-Kuren finden auch über die Weihnachtszeit und den Jahreswechsel statt. Immer mehr Einrichtungen erweitern ihr Angebot um diese speziellen Termine. Die Nachfrage danach ist groß. "Damit übernehmen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Kliniken auch eine ganz besondere Verantwortung", so Anne Schilling. "Gerade an Weihnachten und Silvester befinden sich viele Frauen in einer besonderen emotionalen Situation, die ihre gesundheitlichen Probleme oft noch verstärkt. Wir beobachten, dass vor allem allein erziehende Mütter ein solches Angebot suchen. Der Aufenthalt in den Häusern mit einem gemeinsamen Weihnachtsfest stärkt die Frauen und fängt sie auf."
Kur mit Kind und Kegel
Die Krankenkassen empfehlen häufig Kuren ohne Kinder. Der Erholungswert sei dann größer. Allerdings lässt sich in den wenigsten Familien das Betreuungsproblem zufriedenstellend lösen. Gibt man diese Problematik an, dürfen die Kinder mit zur Kur – vorausgesetzt, sie sind nicht älter als zwölf Jahre (bei einigen Krankenkassen bis zu 14 Jahre). Manchmal ist es auch aus medizinischer Sicht sinnvoll, das Kind mitzunehmen. So können Kinder und Eltern einmal ganz ohne Alltagsstress gemeinsam die Zeit verbringen oder ein Kind mit Symptomen wie Neurodermitis, Hyperaktivität oder Adipositas kann ebenfalls behandelt werden. Dann kuren die Kleinen genau wie Mama oder Papa.
Die Kur selbst beginnt mit einem Aufnahmegespräch und einer umfassenden Aufnahmeuntersuchung. Dann wird für Mütter oder Väter und – je nach Indikation – auch für die Kinder ein ganzheitlicher, individueller Therapieplan erstellt, der schulmedizinische, psychologische und naturheilkundliche Behandlungen umfasst. Dazu gehören unter anderem Bewegungs- und Sporttherapien, Vorträge, medizinische Bäder, Ernährungsberatung, Gesprächskreise sowie Entspannungstechniken. Zudem finden regelmäßig ärztliche Gespräche und Untersuchungen statt. Die Kinder werden während der Therapiezeiten von pädagogischen Fachkräften betreut; für Schulkinder gibt es eine Hausaufgabenbetreuung.
Wer nun immer noch ein Rechtfertigungsargument für eine Kur braucht, dem sei gesagt, dass erholte und gestärkte Eltern dem Familienleben nachhaltig zugutekommen. Nach Untersuchungen der Medizinischen Hochschule Hannover profitieren Kurteilnehmer noch mindestens ein Jahr lang von der Kur. Dies zeigt sich in weniger Krankheitstagen, einem geringeren Medikamentenkonsum und in einem positiveren Miteinander der Familie. Und das beschert im besten Fall eine weitere Kraftspritze.
Kur beantragen: Schritt für Schritt
1. Formulare beantragen: In der Regel reine Formsache. Ein Anruf bei der Krankenkasse mit der Bitte um Zusendung genügt. Mütter können sich auch an eine der bundesweit 1.400 Beratungsstellen des Müttergenesungswerks wenden.
2. Beraten lassen: Am besten schon vor dem Arztbesuch überlegen, wie man die Kur verbringen möcht. Welches Klima passt zu den eigenen Indikationen? Informationen über die Angebote gibt es auf folgenden Internetseiten und über das Kurtelefon des Müttergenesungswerks 030/33 00 29 29.
3. Hausarzt besuchen: Fährt der Nachwuchs mit zur Kur, sollte er beim Arzttermin dabei sein. Die Formulare der Krankenkasse nicht vergessen! Das eigene Befinden mit dem Arzt besprechen und klar die eigenen Kurwünsche mitteilen. Je detaillierter der Arzt die Gründe medizinisch belegen kann, desto größer ist die Chance, dass die Wünsche berücksichtigt werden.
4. Kureinrichtung wählen: Die gesetzliche Grundlage sieht eine generelle Wahlfreiheit der Einrichtung vor. Einige Krankenkassen schränken diese jedoch ein. In diesem Fall sollte in jedem Fall eine Beratungsstelle aufgesucht werden. Anhand der Indikationen wird hier eine passende Einrichtung ausgesucht. Die Beratungsstellen helfen ebenfalls weiter, wenn eine Kur abgelehnt wurde.
5. Arbeitgeber informieren: Den Kurtermin am besten so frühzeitig wie möglich dem Arbeitgeber mitteilen. In den meisten Verträgen ist die sogenannte Entgeldfortzahlung geregelt. Auch geringfügig Beschäftigte haben Anspruch auf Lohnfortzahlung für sechs Wochen. Ebenso haben Bezieher von ALGII, Sozialhilfe sowie Familien mit kleinem Geldbeutel die Möglichkeit zur Kur. Für drei Wochen Vollpension und medizinische Behandlung zahlt jeder erwachsene Teilnehmer nur 220 Euro.
6. Los geht's: Den Kurerfolg stabilisieren und die Kur ein Stückchen mit in den Alltag tragen – dabei helfen euch die Kurnachsorgeangebote der Beratungsstellen. Aber zunächst gilt: Drei Wochen abschalten und genießen!