Aus dem Buch "Bad Mom"

"Bin ich eine schlechte Mutter, weil ich manchmal eine Auszeit brauche?"

Nach einem langen Arbeitstag können wir es gar nicht erwarten, die Kids wieder in die Arme zu schließen? Von wegen! Lieber eine (oder mehrere) Minuten durchatmen, den Tag Revue passieren lassen und die Stille genießen. Auch Silke Schröckert gehört zu denjenigen, die vor dem Ankommen zu Hause einen Moment für sich brauchen. Warum sie sich trotzdem nicht als Rabenmutter fühlt, erklärt sie uns in diesem Auszug aus ihrem neuen Buch.

Schlechte Mutter? Frau hat die Augen geschlossen und sitzt neben ihrem Kind© istock/nicoletaionescu
Nach einem langen Tag brauchen wir manchmal eine Auszeit vom Familienleben – deswegen sind wir aber keine schlechten Mütter!

Kennt ihr den Film "Marley & Ich“ mit Owen Wilson und Jennifer Aniston? Wilson und Aniston spielen darin das Ehepaar John und Jenny, das sich einen Labrador Retriever namens Marley anschafft, um herauszufinden, ob es bereit für Kinder ist. Mit dem Welpen wollen sich die beiden in der Elternrolle ein wenig "ausprobieren“. Und entscheiden schließlich: Ja, wir bekommen Kinder. Es gibt in diesem Film zwei recht ähnliche Szenen, die beide Owen Wilson als Familienvater John beim Nach-Hause-Kommen zu seiner Familie zeigen. Beim ersten Mal sehen die Zuschauenden ihn, wie er sein Auto vor dem Haus der Familie parkt und aus dem Wagen heraus durch das Küchenfenster seine Frau Jenny mit dem gemeinsamen Baby im Arm erblickt. Er beobachtet die beiden glückselig, voller Stolz und Liebe, kann sich kaum von ihrem Anblick lösen, bevor er beseelt aus dem Auto steigt und zu ihnen ins Haus geht, um sie endlich in die Arme zu schließen.

Bitte kein Kindergeschrei, kein Chaos

Beim zweiten Mal – mittlerweile sind im Film einige Jahre vergangen – ist die Stimmung eine ganz andere. Dieses Mal blickt John genervt und erschöpft aus dem geparkten Auto heraus durch das Küchenfenster, sieht seine Frau und die mittlerweile zwei kleinen Kinder, teils schreiend, teils schimpfend. Alles an seiner Körpersprache sagt: Ich will da nicht rein, ich ertrage das gerade nicht, das laute Kindergeschrei, das Chaos, die angespannte Stimmung meiner Frau. Doch im selben Moment erblickt ebendiese ihn in der Auffahrt, winkt ihm hektisch zu und signalisiert ihm, er solle unverzüglich ins Haus kommen, er werde hier schließlich gebraucht. "Was fällt dir ein, dir da draußen eine Pause zu gönnen?“, scheint ihr wütender Blick zu sagen.

Was läuft bloß falsch mit John?

Es war 2009, als ich diesen Film im Kino sah. Meine erste eigene Schwangerschaft lag noch fünf Jahre in der Zukunft, vom Kinderkriegen und Elternsein hatte ich so viel Ahnung wie jeder Mensch, der diese Dinge zwar aus Büchern und Filmen oder von Verwandten und aus dem Freundeskreis kennt, aber selbst noch nicht erlebt hat (also gar keine). Als ich nun also diese Szene mit dem Familienvater sah, der nur widerstrebend, in meiner Wahrnehmung fast angewidert, zu seiner Familie nach Hause kommt, genervt vom Geschrei der eigenen Kinder ist, sich dabei auch noch zu ärgern scheint, dass die Ehefrau angefressen ist, obwohl sie es doch ist, die den ganzen Tag auf die zwei aufgepasst hat, da kam mir nur ein einziger Gedanke in den Sinn: Was! ein! Arsch! Wie kann man denn derart undankbar sein für das Glück, das zwei Kinder ins Leben bringen? Wie kann man denn überrascht sein, dass es, ja, auch mal anstrengend und laut ist? Das weiß man doch, dass das nun mal dazugehört! Und woher nimmt dieser John das Recht, überhaupt nur daran zu denken, sich vor den allabendlichen Verpflichtungen drücken zu wollen? Warum nimmt er das Nach-Hause-Kommen ins turbulente Familienleben, das Zähneputzen, das Ins-Bett-Bringen, das Vorlesen und Abknutschen der Kinder vorm Schlafengehen nicht als Freude und Privileg wahr, sondern als Last? Was ist falsch mit John?

Ich bleibe auch im Auto sitzen – bin ich deswegen eine schlechte Mutter?

Seit diesen Gedanken, die ich im Kinosessel hatte, sind 14 Jahre vergangen. Ich habe geheiratet und – ganz ohne das Familienleben vorher mit einem Welpen zu üben – zwei Kinder bekommen. Und genau jetzt, in diesem Moment, während ich diese Zeilen tippe, mache ich "den John“. Ich habe seine Taktik sogar perfektioniert: Ich sitze nicht einfach im Auto vor der Haustür, denn da würden die Kinder mich ja schnell entdecken. Stattdessen parke ich knapp 800 Meter entfernt auf dem Edeka-Parkplatz. Ich habe einen langen Tag voller geschäftlicher Termine hinter mir, mein Kopf ist voll von den neuen To-dos, die dabei entstanden sind, und voll von all den alten To-dos, die schon längst hätten erledigt werden sollen (das Schreiben dieses Kapitels ist nur eines davon).

In meinem Kopf ist kein Platz für Gespräche

Natürlich liebe ich meine Kinder und will wissen, wie ihr Tag war. Ich will sie zudecken und ihnen einen Gutenachtkuss geben und sie noch einmal drücken, bevor sie selig wegschlummern. Aber wenn ich ehrlich bin: In meinem Kopf ist gerade kein Platz für all die Fragen und Gespräche und kleinen Zahnputz- und Schlafanzuganzieh-Kämpfe, die dem vermutlich vorangehen würden. Ich habe nicht die Ruhe, nach Gustav, dem rosa Plüsch-Flamingo meiner Tochter, zu suchen, der sich wie jeden Abend irgendwo im Duplo-, Puzzle- und Stofftier-Chaos ihres Zimmers verbirgt. Und mir fehlen die Nerven, um mit meinem Sohn die allabendliche Diskussion zu führen, dass er jetzt, und zwar wirklich jetzt, nicht gleich oder später, sondern jetzt sofort, die Playstation ausmachen soll. Ich will mit den beiden nicht darüber streiten, dass man sich innerhalb von 32 Sekunden gar nicht ausreichend die Zähne geputzt haben kann, und dass sie deshalb noch mal ins Bad gehen und weiterputzen müssen. Und weil ich noch so viele unbeantwortete E-Mails im Posteingang und so viele ungelesene Nachrichten auf meinem Handy habe, hätte ich vermutlich nicht einmal die Ruhe, unser allabendliches Vorlese-Ritual liebevoll zu zelebrieren.

Wir alle brauchen Luft zum Atmen

Also genieße ich die Tatsache, dass mein Mann zu Hause ist und all das übernimmt, während ich hier auf dem Edeka-Parkplatz mit dem Laptop auf dem Schoß sitze und Zeit verstreichen lasse, um nicht mitten hineinzuplatzen in das Zahnputz-Playstation-wo-ist-Gustav-Drama. Und ich möchte den Moment nutzen, um mich bei Owen Wilsons Leinwandfigur zu entschuldigen. Ich weiß jetzt, dass John kein Arsch ist. John brauchte einfach einmal Luft zum Atmen, bevor er vom Arbeitnehmer- in den Familienvater-Modus wechselte. Er brauchte eine Pausentaste für den Alltag, eine Minute zum Durchatmen. So wie wir alle sie manchmal brauchen – und auch verdient haben. Das hat rein gar nichts mit Undankbarkeit oder Sich-drücken-Wollen zu tun. Es ist einfach nur menschlich. Und mittlerweile, ganz speziell heute Abend, absolut nachvollziehbar für mich.

Die kleine Uhr am Armaturenbrett zeigt 20.30 Uhr. Ich fahre jetzt nach Hause zu meinen schlafenden Kindern. Und freue mich schon unendlich darauf, die beiden morgen früh in die Arme zu schließen. Und abends werde ich mit voller Einsatzbereitschaft Gustav, den Plüsch-Flamingo, suchen und finden.

Autorin: Silke Schröckert

Unser Buch-Tipp zum Weiterlesen

Buchcover "Bad Mom" von Silke Schröckert

Bin ich eine schlechte Mutter? Silke Schröckert hat für sich herausgefunden: Nein, ist sie nicht. Denn die Zweifach-Mama hat festgestellt: Nur weil sie nicht immer vorbildlich handelt, ist sie noch lange keine Rabenmutter. Und wenn sie aufhört, immer gut oder gar perfekt sein zu wollen, geht es nicht nur ihr besser, sondern der ganzen Familie. Mehr Geschichten einer (schl)echten Mutter gibt es in "Bad Mom“ (ab 6.5. im Handel, jetzt schon vorbestellbar), Junior Medien, 18,95 Euro.

Lade weitere Inhalte ...