Ein Plädoyer für mehr Familienzeit

Immer dieser Inszenierungswahn bei Instagram!

In den sozialen Medien wimmelt es nur so von glücklichen Familien(-Bildern). Aber macht Selbstinszenierung wirklich glücklich? Unsere Gastautorin hat sich das gefragt und teilt hier ihre Gedanken.

Natürlich sind solche Bilder schöne Erinnerungen. Aber nicht jeder Moment muss auf Instagram zur Schau gestellt werden ... © Foto: iStock/Geber86
Natürlich sind solche Bilder schöne Erinnerungen. Aber nicht jeder Moment muss auf Instagram zur Schau gestellt werden ...

Als meine ältere Tochter in den Kindergarten kam, dämmerte mir, dass sich in den vergangenen 30 Jahren in Sachen Kindergeburtstag einiges verändert hatte: Während man zu meiner Zeit mit höchstens fünf Freunden zu Hause feierte, war sie gemeinsam mit über zehn anderen auf Partys in Indoor-Spielplätzen, auf dem Pferdehof oder im Bergtierpark eingeladen. Meist brachte sie vollgepackte Mitgebsel-Tütchen mit (sollte nicht das Geburtstagskind beschenkt werden?) oder Souvenirs wie selbst gebastelte Schatzkisten oder Magnetwände. Die Mütter posteten Bilder von Kuchen und Feierrunde auf Facebook und WhatsApp und erwarteten ein paar nette Kommentare.

Als meine Tochter das erste Mal zu uns nach Hause einlud, fragte ein Mädchen, was denn auf der Party so geboten werde. Als von Topfschlagen und Sackhüpfen die Rede war, meinte sie, das wäre ihr zu langweilig, sie komme nicht. Vor der nächsten Feier habe ich mir ein Buch mit Ideen für Kindergeburtstage gekauft und Tierfiguren gebastelt. Plötzlich steckte ich drin im Inszenierungswahn. Und ich fragte mich: Warum? Warum braucht es ein Einhorn-Motto samt Einhorn-Einladungen, Einhorn-Kuchen und Einhorn-Gastgeschenken? Warum muss es jedes Mal was anderes sein? Warum investiere ich so viel Zeit, Geld und Nerven?

Ein durchgestyltes Familienleben

Je länger ich mich mit dem Thema beschäftigte, desto klarer wurde mir, dass die Kindergeburtstage nur die Spitze des Eisberges sind. Unser gesamter Familienalltag, unsere Freizeit, Feste wie Hochzeit und Kommunion, selbst der Urlaub oder die Gestaltung unserer Wohnung orientieren sich an Prinzipien, die wir aus den Massenmedien kennen und verinnerlicht haben. Was wir tun, soll originell, besonders, schön präsentiert und in eine nette Geschichte mit einem roten Faden eingebettet sein. Deshalb braucht es schon für die Baby-Shower (mittlerweile gibt es zur Enthüllung des Geschlechts ein weiteres Format – die Gender Reveal Party) ein Motto, zur Verlobung ein Shooting beim Profi-Fotografen, WLAN im Kreißsaal und Kinderhotels mit Italienischkursen und Theaterworkshops für die Kleinsten. Parallel dazu wird alles gepostet, was irgendwie nach glücklicher Familie aussieht. Die Profilfotos erschaffen eine durchgestylte Welt. Hier die trendige Bugaboo-Mama mit Gucci-Sonnenbrille, dort die gebräunte Sippe am Strand von Fuerteventura. Die Terminkalender moderner Mittelschichtfamilien sind minutiös durchgetaktet. Montag Basketball, Dienstag Reiten, Mittwoch Ergotherapie, Donnerstag Nachhilfe. Irgendwo haben der Musikgarten und der Erlebnistag auf dem Bauernhof Platz. Für "Monopoly" muss der Hersteller allerdings eine 20-Minuten-Version rausbringen, mehr Zeit bleibt nicht zum Spielen. Und das ist das Problem.

Mütter lechzen nach Anerkennung

Denn der Anspruch, möglichst viel möglichst sichtbar zu unternehmen, setzt vor allem die Mütter unter Stress. Dabei haben sie eh schon einen Knochenjob. Die moderne Mutter soll berufstätig sein (möglichst nicht weniger als 35 Stunden, das führt wahlweise in die "Teilzeit-Falle" oder die Altersarmut), immer adrett anzusehen, ist ihrem Mann Geliebte und Partnerin, fördert die Kinder auf ihrem Weg zu Bildung und Status, backt für jedes Event einen Kuchen (beim Buchstabenfest passend zum zugelosten A oder P) und engagiert sich natürlich ehrenamtlich, zumindest im Elternbeirat. Und trotzdem bekommen Mütter nicht die Wertschätzung und Anerkennung, die ihnen zusteht. Nicht zuletzt deshalb sind sie empfänglich für die Prinzipien der medialisierten Gesellschaft. Wenn ich ein Bild von meinem bildungsaffinen, geigenden Kind poste, bekomme ich die Aufmerksamkeit, die ich mir so sehr wünsche. Der Haken daran: Es setzt sich eine Spirale in Gang, die mich selbst unter Druck setzt – schließlich erwartet die Community regelmäßig Neues, noch Cooleres, noch besser ausgeleuchtet – und zudem den interfamiliären Wettbewerb befeuert. Wer selbst kein Geld hat, um in den Flieger zu steigen, lässt sich von Fotos mit Palmen schnell runterziehen und wertet den eigentlich sehr schönen und sorgenfreien Aufenthalt am Adria-Campingplatz ab. Die Posts erzeugen Defizit-Interpretationen, die uns unglücklich machen.

In der Instagram-Dauerschleife

In der Regel wissen wir nicht, dass wir in der Medialisierungsfalle sitzen. Wir haben keine Zeit zu reflektieren, warum wir tun, was wir tun. Wir hetzen vom Hypnobirthing zum Büro, vom Hort zur Musikschule. Wenn wir mal in einem Wartezimmer sitzen und Zeit hätten, mit unseren Kindern zu reden, zücken wir lieber das Smartphone. Ebenso wie die Kinder. Gleichzeitig erzählen wir, wie "entspannt" die "Quality-Time" im Reitcamp oder bei der Wochenend-Alpen-Überquerung war. Meine These: Entspannt ist das neue Lieblingswort einer völlig verspannten Gesellschaft. Natürlich kann es sein, dass einen Motto-Geburtstage und Instagram-Dauerschleifen glücklich machen. Wenn dem nicht so ist, sollte man sich bewusst machen, woran es liegt, dass diese Formen der Inszenierung nötig sind. Zumal wir unseren Kindern ein Vorbild sind, in jeder Hinsicht. Schon heute gehen die Konzentrationsphasen der Kleinen dramatisch zurück, sie "wischen" sich durch ihr Leben, posieren schon im Grundschulalter wie Heidi Klums Hungerhaken und verlieren den Blick für einfache Freuden.

Damit zurück zu dem Mädchen, das unsere Sackhüpfen-Party zu langweilig fand. Ihren zwölften Geburtstag hat sie nicht mehr gefeiert. Sie erklärte mir sichtlich frustriert, dass sie schon alles gemacht habe, vom Alpaka-Hof bis zum Science-Lab. Es fiel ihr nichts Tolles ein. Medialisierte Kinder denken nicht mehr an eine Runde am Esstisch mit Cola, Chips und albernen Gesprächen. Schade, oder?

Autorin: Bianca Kellner-Zotz

Unsere Buchtipps zum Weiterlesen: "Happy Family"

© Foto: Verlag

Dr. Bianca Kellner-Zotz ist Kommunikationswissenschaftlerin, Autorin, Hochschuldozentin und Mutter von zwei Kindern aus dem bayerischen Allershausen. Aus ihrer Doktorarbeit über die Sucht nach Aufmerksamkeit ist ein ganzes Buch geworden: "Happy Family Warum die Sucht nach Aufmerksamkeit Familien unter Druck setzt und wie wir uns davon befreien können" (Goldmann, 12 Euro) erzählt vom Inszenierungswahn, der vor allem die Mütter unter Druck setzt, ein perfektes Familienleben zu präsentieren. Und zeigt, wie es gelingt, den Alltag stressfreier zu machen und dafür echte Momente des Zusammenseins zu schaffen.

"Falsche Vorbilder"

Alicia Jones ist eine der erfolgreichsten deutschen Youtuberinnen. In ihrem Buch "Falsche Vorbilder: Wie Influencer uns und unsere Kinder manipulieren" (Yes, 19,99 Euro) erzählt sie gemeinsam mit der Journalistin Sabine Winkler aus erster Hand, welche fatalen Auswirkungen der Einfluss der Influencer auf unsere Kinder, aber auch uns selbst hat. Viele junge Menschen wollen Influencer werden, sich an tropischen Stränden posierend präsentieren, die neuesten Schminktipps zum Besten geben und damit auch noch Geld verdienen. Je mehr Likes, desto mehr Kohle für Werbepartnerschaften. Doch dahinter steckt ein profitorientiertes Geschäft, dass bei den Nutzern Begehren weckt, die vorher nicht da waren, und immer öfter auch für Abhängigkeiten sorgt. Die Autorin weiß nur zu gut, wie unter anderem Kinder so zu Marionetten der Konsumgesellschaft werden und welch schwerwiegende Folgen der schlechte Einfluss der Social-Media-Stars, die inzwischen zu einer richtigen Macht angewachsen sind, auf die Gesellschaft hat. Das Buch ist ein Spiegel-Bestseller.

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