
Wenn ich darüber nachdenke, wo und wann unsere Geschichte beginnt, dann ist die naheliegendste Antwort: bei der Geburt meines Sohnes Marvel, in Berlin. Damals befand ich mich in einer hochgradig toxischen Beziehung. Als klar wurde, dass ich schwanger bin, waren wir eigentlich schon getrennt. Wir haben es dennoch versucht. Dem entstehenden Leben zuliebe.
Laute Stille, leise Vorhaltungen: Wir waren beide unglücklich. Als Marvel geboren wurde, kam ich nach wenigen Tagen trotz Schreibaby und Stillproblemen in meiner Mutterrolle an. Meine Beziehung beschwerte dieses Glück aber leider immer mehr. Als Marvel sechs Wochen alt war, wurde es mir zu viel. Ich wollte mein Glück mit dem Kleinen genießen und nicht mit Streitereien vergeuden, deren Grund wir schon nach zwei Sätzen nicht mehr wussten. Also buchte ich eine Reise nach Schweden. Und siehe da, aus Flucht wurde Reiseliebe.
Marvel und ich liebten das Leben aus dem Koffer. Es folgten unzählige Länder, immer Low Budget, immer wir beide. Und fast nebenbei die Trennung von Marvels Vater. Es war nicht einfach, aber alle Beteiligten kamen zur Ruhe. Vor allem Marvel.
Jede Reise lässt Marvel weiter aufblühen
Mittlerweile spielt Marvels Vater keine Rolle mehr in unserem Leben. Ich hege keinen Groll, auch für Marvel scheint das so in Ordnung zu sein. Wenn sich daran etwas ändert, werden wir auch dafür eine Lösung finden. Auf unseren Reisen kristallisierte sich immer mehr heraus, dass wir in der Welt zu Hause sind. Ob mit dem Camper durch Portugal, ein Roadtrip durch Schottland oder eine Rundreise durch Kuba. Unser Horizont erweiterte sich stetig, Marvel blühte auf und ich mit ihm. Auf jeder Reise lernte ich mehr. Über mich, über unsere Mutter-Kind-Beziehung und darüber, was für uns klappt – oder eben auch nicht. Wo wir waren, fühlte es sich nach Zuhause an. Denn ein Zuhause ist da, wo Liebe ist, oder?
Alles war perfekt. Dann kam die Pandemie

Im Januar 2020 ging es los, und es folgten wundervolle Monate. Parallel ging ich ganz in die Selbstständigkeit und lebe nun von dem, was mich am glücklichsten macht: der Schreiberei. Alles war perfekt. Bis Corona. Chiang Mai, der uns als ein Ort voller Magie, kostbarer Begegnungen und mystischer Tempel in Erinnerung war, glich einer Geisterstadt. Hier bekamen wir die Auswirkungen von Covid-19 zum ersten Mal so richtig zu spüren.
Wir lieben Thailand und hatten den ursprünglichen Plan, dort zu leben. Pai, ein wunderschönes Aussteigerdorf im Norden, bot so ziemlich alles, was wir uns beide wünschten. Allerdings ist auch dort momentan die Situation nicht einfach. Wir beschlossen, erst einmal weiterzuziehen. Neues Land, neue Wege. Getreu unserem Motto: "Wir bleiben, solange uns der Ort glücklich macht." Also los – aber wohin? "Einfach weg" findet man schließlich nicht auf der Landkarte. Ich recherchierte eine Nacht lang, und verliebte mich in Tansania. Das würde also Marvels Land Nummer 22 werden. Nach einem kurzen Kulturschock und einiger Zeit auf dem Festland wuchs bei uns beiden der Wunsch, anzukommen. Marvel wünschte sich ein Kinderzimmer und mehr Spielsachen als drei Matchboxautos und drei Büchern. Nach neun Monaten Leben aus nur einem Rucksack sehnten wir uns beide nach einer Basis. Wir flogen nach Sansibar.
Zwei One-Way-Tickets nach Thailand, bitte

Berlin blieb zwar unsere Basis, aber immer weniger fühlte es sich nach Heimkommen an. Und überhaupt gab es so einiges, was immer schwerer wurde. Was für mich schon länger nicht mehr geklappt hat, war: Arbeit und Kind unter einen Hut zu bringen. Zumindest nicht in Deutschland. Meine Work-Life-Balance glich einem Work-Survive-Battle. Und auch Marvel eckte immer mehr an. War er eben ein kleiner Wildfang, was in einer Großstadt nicht passt. So wurden Schubladen geöffnet, und er verschwand darin. Label: ADHS. Es kostete mich viel Kraft, gegen dieses Label anzukämpfen. Denn wenn ich ihn – vor allem auf unseren Reisen – beobachtete, dann sah ich ein lebensfrohes Kind. Ein Kind, das seinen Raum braucht, mit schier unbändiger Energie auf Entdeckungstour geht. Zurück in Berlin wurde mir klar, dass er immer mehr rebelliert. Gegen ein gesellschaftlich auferlegtes Korsett, das ihm zu eng war. Und mir auch. Ende letzten Jahres trat das Unvermeidliche ein: ein Burn-out, zusammen mit einem schweren Bandscheibenvorfall. Fast hätte mich die Last auf meinen Schultern erdrückt. Gerade noch rechtzeitig zog ich die Reißleine, buchte an Weihnachten One-Way-Tickets nach Thailand.
Sansibar – die Endstation?

Schon auf der Fahrt in unsere Unterkunft fühlte es sich nach einem Zuhause an. So wie ich mir Heimkommen immer gewünscht habe. Dieses Gefühl wuchs mit jedem Tag. Und alles fügte sich. Wir waren auf einmal mittendrin in der Community, und Marvel wird hier in zwei Wochen in die Schule gehen.
Während ich diesen Text schreibe, höre ich die Wellen rauschen und bin voller Vorfreude auf das Haus, das wir bald beziehen. Ob es für immer ist? Wer weiß das schon. Aber für den Moment ist es perfekt. Auf all diese Erlebnisse hätte ich verzichtet, wenn ich damals nicht den Mut gehabt hätte auszubrechen. Wenn wir an einem Ort geblieben wären, der uns nicht glücklich macht. Denn das Leben ist zum Leben da. Und es ist zu kurz, um nicht mutig zu sein.
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