
Liebe Mama,
ich habe so viele Fragen! Jeden Tag ploppen mehr in meinem Kopf auf und wenn ich dich dann frage, warum die Pfütze von morgens abends verschwunden ist oder warum die Vögel zwitschern, versuchst du mir geduldig die Gründe dafür zu erklären. Aber Mama, manchmal sind deine Antworten einfach zu lang und zu kompliziert, sodass ich dir noch mehr Fragen stelle. Doch nach einiger Zeit werden deine Antworten dann immer kürzer, ehrlich gesagt, zu kurz, um sie zu verstehen, und dein Ton wird immer unfreundlicher. Dann habe ich das Gefühl, ich nerve dich mit meiner Fragerei – dabei will ich doch nur alles verstehen, was ich um mich herum wahrnehme. Ich will wissen, warum wir bei einer roten Ampel stehen bleiben müssen oder warum ich die Apfelkerne nicht mitessen soll.
Und bei manchen meiner Fragen scheinst du zu denken, ich stelle sie nur, weil ich das nicht tun will, worum du mich bittest. Dabei will ich nur den Grund verstehen, warum ich gewisse Dinge machen oder nicht machen soll. Etwa wenn dich frage, warum ich die Zähne nach dem Essen putzen muss oder warum ich abends nur eine Sandmann-Folge gucken darf. Nach dem fünften "warum?" kommt dann manchmal ein genervtes "weil ich das so sage!" von dir. Und das macht mich sehr traurig. Denn ich will doch nur eine Antwort von dir, die ich verstehe und das ist keine gute Antwort auf meine Fragen.
Manchmal stelle ich dir auch ein und dieselbe Frage öfter, wie etwa, warum Papa heute noch nicht zu Hause ist. Ich weiß zwar, dass du mir schon gesagt hast, dass er noch etwas einkauft, aber zum Abendessen rechtzeitig wieder da ist, aber mich beruhigt es einfach, wenn du mir das öfter als nur einmal erklärst.
Und bei der Frage nach der verschwundenen Pfütze fand ich deine Antwort, dass die Sonne heute besonders durstig war, so toll, dass ich sie einfach öfter hören wollte – so wie mein Lieblingsbuch zum Einschlafen. Bitte sei so lieb, und beantworte mir diese Frage einfach immer wieder, Mama. Ich mache das nicht, um dich zu ärgern, sondern nur, weil ich deine Antworten so sehr mag.
Aber letztens ist mir etwas aufgefallen, Mama: Anstatt auf mein "Warum ist der Himmel blau?" zu antworten, hast du mir plötzlich auch eine Frage gestellt: "Warum glaubst du denn, dass der Himmel blau ist?" Ich habe dir geantwortet, dass ihn vielleicht jemand blau angemalt hat, so wie ich es mit meinen Bildern tue. Danach haben wir richtig lange über den Himmel, die Wolken und die Sonne geredet – das hat unglaublich viel Spaß gemacht!
Ich hoffe, du stellst mir jetzt auch öfter solche interessanten Fragen und nicht nur ""warum ich noch nicht den Schlafanzug anhabe" oder "warum ich noch nicht das Puzzle weggeräumt habe". Denn es ist viel lustiger, mit dir über Pfützen, rote Ampeln und Apfelkerne zu quatschen. Und wenn du noch etwas Geduld mit mir hast und mir weiterhin alle Fragen beantwortest, habe ich in Zukunft vielleicht nicht mehr ganz so viele Fragen, weil ich die Welt immer besser zu verstehen lerne. Aber ganz werden die Fragen wohl nicht aufhören und ich hoffe, du erklärst mir weiterhin alles, was ich wissen will.
Ich hab dich lieb,
deine Tochter