Ein Brief aus Sicht meines Kindes

"Liebe Mama, weißt du, mein Tag war auch so lang …"

Manchmal macht es Sinn, die Perspektive unserer Kinder einzunehmen. Dadurch können wir verstehen, was wirklich hinter den Heul-Attacken steckt. Unsere Autorin hat probiert, einen Brief aus Sicht ihrer Tochter (drei Jahre) zu verfassen, in dem sie erklärt, warum sie beim Zähneputzen so traurig war …

Mädchen sitzt im Schlafanzug auf dem Bett und weint© istock/Jane Rubtsova
Warum es so wichtig ist, dass eure Kinder abends mal den Pyjama aussuchen dürfen? Weil sie auch etwas Kontrolle über ihr Leben haben wollen …

Hallo Mama,

ich weiß, die Wäsche macht sich nicht von alleine und du musst noch das Chaos im Wohnzimmer beseitigen. Ich weiß auch, dass du heute wieder mal Überstunden gemacht hast und viel Stress hattest. Und du hoffst, dass dieser lange Tag endlich ein Ende hat.

Und was du jetzt am wenigsten gebrauchen kannst, sind meine Tränen beim Zähneputzen, weil ich mir zuvor den Schlafanzug nicht selber aussuchen durfte. Aber weißt du was? Ich hatte auch einen langen Tag. Er war lang und anstrengend. Ich durfte kaum etwas selbst entscheiden und konnte fast nichts kontrollieren, was heute geschehen ist.

Ich möchte meinen Schlafanzug selber aussuchen, weil ich das Gefühl haben möchte, etwas Kontrolle über mein Leben zu haben. Und diese Gefühle gehen auch nicht einfach so weg – genauso wenig wie der Abwasch, der noch in der Küche wartet.

Denn diese Gefühle werden durch viele Dinge beeinflusst: Nicht unbedingt, wie viel Zeit du mit mir verbringst, sondern wie schön unsere gemeinsame Zeit ist. Ob du mich mitentscheiden lässt oder ob du alles für mich bestimmst. Ob du Verständnis zeigst, wenn ich weine oder ob du nur genervt bist. Ob du denkst, dass ich nur ein großes Drama mache, um meinen Willen durchzusetzen oder ob du erkennst, dass ich deine Liebe brauche. Ob du denkst, ich will dich manipulieren oder ob du mich ernst nimmst.

Ich spüre, wenn du mir nicht glaubst und dann versuche ich nur noch mehr, dir zu verdeutlichen, was los ist und werde noch lauter. Weil es mir wichtig ist, dass du mich verstehst und weißt: Mein Tag war auch lang …

Vielleicht denkst du daran, wenn du das nächste Mal einen neuen Schlafanzug aus der Schublade holst.

Ich hab dich lieb.

Deine Tochter

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