
"Guck mal Mama, was ich von Oma bekommen habe", ruft Lilli und schwenkt eine Barbiepuppe in Pink. Silke Weiler, die ihre Fünfjährige vom Besuch bei den Großeltern abholen will, ist von dem Geschenk nicht angetan. Sie wirft ihrer Mutter böse Blicke zu. Die zuckt nur mit den Schultern: "Alle Mädchen haben doch eine, du hast früher auch damit gespielt."
Verwöhn-Attacken von Oma
Silke Weiler will sich vor Lilli nicht mit ihrer Mutter streiten. Bisher fand sie es ganz in Ordnung, dass ihre Eltern die Kleine ein wenig verwöhnen. Im Fernsehen zwei Zeichentrickfolgen hintereinander schauen, Schokolade essen und in Omas Kleiderschrank stöbern – bei den Großeltern darf das Mädchen vieles, was daheim nicht erlaubt ist. Lilli hat zum Glück schnell verstanden: Was sie bei Oma und Opa darf, muss noch lange nicht zu Hause gelten. Diesmal sind die Großeltern aber zu weit gegangen. Silke Weiler will darum demnächst einmal grundsätzliche Erziehungsfragen mit ihren Eltern klären. Zum Beispiel, größere Geschenke für Lilli vorher mit ihr oder ihrem Mann abzusprechen.
Klare Absprachen halten Experten für sinvoll. Demnach spricht nichts dagegen, dass Großeltern die Enkel verwöhnen. Gibt es allerdings Unstimmigkeiten im Erziehungsstil, sollten Eltern und Großeltern in einer Art Familienkonferenz besprechen, was stört, und dann Grenzen festsetzen.
Erziehungsexperten aus einer anderen Zeit
Ebenso gefürchtet wie Verwöhn-Attacken sind wohlwollende Ratschläge der Großeltern. „Meine Eltern wissen alles besser. Wann mein Sohn Ole ins Bett soll, welche Mütze die wärmste ist und was Ole essen darf“, erzählt Maja Oppelt. „Vor allem meinem Vater ist Oles Erziehung zu lasch. Ich soll strenger sein und lauter werden, wenn er nicht hört. Bei solchen Sprüchen komme ich mir wieder vor wie eine Zehnjährige, die von Papa gemaßregelt wird“, sagt die 33-Jährige. Kommt Kritik am Erziehungsstil von den eigenen Eltern, kann das auch ein Stück weit demütigend sein: „Ich fühle mich von meinen Eltern nicht ernst genommen, anscheinend trauen sie mir die Mutterrolle nicht zu“, sagt Maja Oppelt. Auch hier raten Erziehungsexperten zu einem offenen Gespräch zwischen den Generationen. Vorher sollten sich die Eltern darüber klar werden, was genau sie an der Kritik der Großeltern stört. Ist es die Bevormundung? Oder ärgert es die Eltern, dass sie in Gegenwart der Großeltern in ein altes Rollenmuster zurückfallen? Meist ist es gar nicht die Absicht der Großeltern, zu bevormunden, sondern es steckt ein ehrliches Interesse am Wohlergehen der Enkel dahinter. Wenn Gespräche nicht fruchten, kann ein deutliches Contra helfen: „Ich respektiere eure Meinung. Aber bitte lasst mich meine eigenen Fehler machen.“
Konkurrenzkampf unter Müttern
Nicht selten machen sich Mütter gegenseitig das Leben schwer. Da wird gnadenlos verglichen und mit Erziehungstipps nicht gespart: „Was, der Jonas spielt kein Instrument? Musikalische Früherziehung ist doch so wichtig. Unsere Nina ist schon seit zwei Jahren in der Flötengruppe.“ Kleine Sticheleien, die auf eines hinauslaufen: „Mein Kind ist das Bessere“.
Wer langen Belehrungen von Schlauberger-Müttern zuvorkommen will, geht am besten knapp und freundlich auf den – vermeintlich – gut gemeinten Ratschlag ein: „Danke für den Tipp, ich denk darüber nach.“ So fühlen sich die Ratgeberinnen wertgeschätzt und lassen sich schnell vom Thema ablenken.
Kommentare an der Kasse
Auch wenn sie nun wirklich keiner um Rat gefragt hat, selbst wildfremde Menschen geben Kommentare in Erziehungsfragen ab. Oft geht es dabei gar nicht um das Wohl des Kindes, sondern um die eigene Person. Wer Ratschläge geben kann, fühlt sich wichtig, denn er weiß etwas besser. Brüllt ein kleiner Wutteufel an der Kasse im Supermarkt, weil er keinen Schokoriegel bekommt, lassen daher nicht nur genervte Blicke, sondern auch wohlwollende Kommentare nicht lange auf sich warten: „Nun geben Sie dem Kind doch etwas. Ein bisschen Schokolade hat noch niemandem geschadet“. Stress pur für Eltern – nicht nur das heulende Kind kostet Nerven, sondern auch die Situation vor Publikum. Es braucht Selbstbewusstsein, um fremden Leuten seinen Standpunkt klarzumachen: „Ich komme alleine klar. Das ist mein Kind und seine Erziehung geht Sie gar nichts an“.
Eltern können souveräner reagieren, wenn sie solche Situationen vorher in Gedanken durchspielen: „Danke, das ist sehr freundlich von ihnen. Allerdings habe ich mit meinem Kind ausgemacht, dass es heute keine Schokolade bekommt. Da möchte ich konsequent bleiben und bitte Sie um Verständnis.“ Dabei soll eine selbstbewusste Körperhaltung klarmachen: „Stopp, du übertrittst hier eine Grenze, die dich nichts angeht, und die ich mir in aller Freundlichkeit verbitte“.
Maja Oppelt bedient sich noch einer anderen Strategie: „Ich frage in die Runde: Hat jemand einen Tipp, den kleinen Schreihals abzulenken? Und schon schauen alle ganz schnell weg.“ Fühlen sich Eltern dem Gegenüber verbal nicht gewachsen, sollten sie besser die Situation verlassen. Kinder sollten nicht Zeugen einer Niederlage der Eltern werden. Es ist nämlich für Kinder schmerzhaft zu sehen: Meine Eltern können sich nicht selber und auch mich nicht beschützen.
Feedback von außen kann auch hilfreich sein
Allerdings: Nicht jeder Erziehungstipp ist schlecht. Eine Wertung von außen kann auch Positives bringen. Zum Beispiel Eltern ein Verhalten vor Augen führen, dass sich unbeabsichtigt nach und nach eingeschlichen hat und gar nicht gewollt ist. Wenn gestresste Eltern beispielsweise immer gereizter mit ihrem Kind umgehen, kann ein freundlich ausgesprochener Hinweis von einer außenstehenden Person den Eltern das vor Augen führen. Und kann – vielleicht verbunden mit dem Angebot des Ratgebers, das Kind mal für ein paar Stunden den Eltern abzunehmen – sogar richtig hilfreich sein.
Autorin: Angela Murr