Küssen verboten

"Die Tochter meiner Bekannten ist mir (und meinem Kind) einfach viel zu körperlich"

Knutschen, Händchen halten, Wange streicheln, auf den Schoß setzen: All das sind schöne Wege, einem anderen zu zeigen, dass man ihn mag. Doch was, wenn einem ein fremdes (einem nicht nahe stehendes) Kind solche Zärtlichkeiten aufdrückt? Und zwar ständig. Unsere Autorin ist genervt – und ihr Sohn auch!

Ein kleines Mädchen macht einen Kussmund und die Erwachsene reagiert nicht darauf© iStock/jeffbergen
Aaaah, Stopp! Nicht jeder möchte Zärtlichkeiten mit fremden Kindern austauschen.

In unserer Familie bin ich der Knuddel-Freak. Ich liebe es, zu kuscheln. Mit meinen Lieblingsmenschen. Mit meinem Kind, meinem Mann, meinen Nichten, meinen Eltern: Ja, ich bin kein Mensch, der mit Zärtlichkeiten sparsam umgeht. Aber auch ich habe Grenzen! Die Tochter einer Bekannten ist nämlich von Tag 1 unseres Kennenlernens auf Kuschelkurs. Sie tätschelt die Hand meines Sohnes und streichelt und küsst sie. Sie will mich abknutschen. Sie setzt sich auf meinen Schoß und streichelt mich. Andauernd tüddelt sie an mir und meinen Klamotten herum. Ständig und überall, wo sie mich sieht. Das ist zum Problem geworden. Ich bin genervt. Mein Mini auch. Ein Ausweg? Bisher nicht in Sicht.

Der ganz normale Kuschel-Wahnsinn?!

Wie gesagt, ich möchte hier nicht den Eindruck erwecken, dass ich ein gefühlskalter Mensch bin, der jeglicher Form körperlicher Zuneigung aus dem Weg geht. Das ist absolut nicht der Fall. Ganz im Gegenteil. Das Problem ist hierbei, dass ich im Prinzip keine wirkliche Verbindung zu diesem Kind habe. Ich mag ihre Mutter, eine Spielplatzbekanntschaft. Doch quasi bei unserem Kennenlernen saß ihre Tochter schon auf meinem Schoß. Anfangs dachte ich noch: "Okay, vielleicht ein bisschen viel, aber eigentlich ganz niedlich." Aber beim zweiten Treffen merkte ich, dass das ihr Ding ist. Und dass es so schnell nicht aufhören wird. Sie hat wohl einen Narren an mir gefressen.

Mein Sohn? Nicht erfreut.

Anfangs fand mein Sohn das Mädchen noch total cool. Sie ist schließlich etwas älter, genau wie er ein Wildfang und hat immer so tolle bunte Sachen an. Aber nach und nach merkte ich, dass auch ihm das Verhalten auf den Zeiger ging. Zum Beispiel, als sie sich einen Keks mit mir teilen wollte und ihn mir angeknabbert in den Mund stopfen wollte. Oder als sie seine Hand zum wiederholten Male intensiv streichelte, als er wehrlos im Buggy festsaß (hallo, Kita-Keime!). Und auch die unzähligen Male, die sie auf meinem Schoß sitzen, mit mir kuscheln und mir ein Küsschen geben wollte, stießen nach und nach bei ihm auf Unverständnis. Mehr noch: Er fand es gar nicht witzig – und wurde sogar richtig wütend: "Meine Mama!" Mittlerweile dreht er sich schon weg von ihr und sagt mir, dass er nach Hause gehen möchte. Und ich schiebe dem natürlich auch einen Riegel vor, wenn sie mal wieder zu schroff und aufdringlich ist. Ein "STOPP!" hilft dann manchmal. Aber beim nächsten Mal geht es wieder los. Und nicht gerade zimperlich.

Exit-Strategien ohne Ende

Es ist mir mittlerweile richtig unangenehm, wenn wir uns treffen. Obwohl ich die Mama wirklich gerne mag. Entweder ich suche sofort das Weite, muss gaaaanz schnell los. Oder ich vergrabe meine Hände ganz tief in den Jackentaschen, sodass sie nicht schon wieder meine Hand halten und sie streicheln will. Es ist schon schwierig, denn ich möchte auch nicht ihre Gefühle verletzen. Sie hat mit ihren vier Jahren wohl noch kein Gefühl für so etwas. Ganz normal. Aber muss da nicht mal die Mutter etwas sagen?!

Keine Reaktion von der Mutter

Ob ihre Mutter wohl merkt, dass ihre Tochter einfach einen Touch zu touchy ist? Ich weiß es nicht. Übrigens, wer jetzt denkt, dass das Kind einfach nur nach Liebe und Zuneigung sucht (oder womöglich etwas Schlimmes dahintersteckt), der irrt sich. Das kann nicht sein, so gut kenne ich die Familie dann doch. Daran mangelt es ihr sicherlich nicht. Sie ist einfach so. Und versteht nicht, dass es Grenzen gibt. Vor allem quasi ihr unbekannten Menschen gegenüber. Ich fände es ehrlicherweise ziemlich bedenklich, wenn sich mein Kind anderen (Nicht-Familienmitgliedern) gegenüber so verhalten würde. Gekuschelt wird mit uns, den Eltern, der Familie und engen Freunden (die wie Familie sind). Wie es nun weitergeht? Vielleicht komme ich bald zu dem Punkt, an dem ich es mal anspreche. Doch es kann auch sein, dass sich das Problem bald eh von selber in Luft auflöst. Denn wir ziehen weg. Zumindest weiter weg von der kleinen Knutschbacke.

Was die Expertin dazu sagt

Buch: Meine Grenze ist dein Halt: Kindern liebevoll Stopp sagen von Nora Imlau© Beltz

Körperliches Kind: Was kann dahinter stecken?

"Bei den meisten Kindern ist diese Körperlichkeit einfach Teil ihrer Persönlichkeit", so Nora Imlau, Erziehungsexpertin, Journalistin und Buchautorin. "Sie sind überschwänglich und kuschelig, fassen schnell Vertrauen und zeigen ihre Freude oder Verbundenheit gern durch Körperkontakt. In seltenen Fällen kann ein solches Verhalten jedoch auch ein Alarmsignal sein: Manchmal wollen Kinder mit jedem kuscheln, weil sie zu Hause nicht genügend Nähe und Aufmerksamkeit bekommen, vielleicht sogar misshandelt werden. Da sollten wir ein Auge drauf haben und gegebenenfalls anonym mit dem Jugendamt sprechen, falls wir uns ernsthaft Sorgen machen."

Und wie geht man damit um?

"Indem ich freundlich und klar meine persönlichen Grenzen wahre: Stopp, nein, das will ich nicht. Oder auch: 'Du darfst mich beim Kommen und beim Gehen umarmen, aber nicht zwischendrin.' Oder vielleicht: 'Du darfst gern meine Hand halten, aber ich will dich nicht auf meinen Schoß nehmen.' Was eben die eigene persönliche Grenze zum Ausdruck bringt. Wichtig finde ich, dabei nicht aus Glaubenssätzen heraus zu handeln ('Das gehört sich nicht!'), sondern wirklich ehrlich hinzuspüren: Was geht für mich gut, was will ich nicht? Und diese Grenze dann hochzuhalten – im Zweifelsfall auch gegen Protest und Widerstand. Das halten Kinder aus, es ist sogar wichtig für ihre Entwicklung!"

Buchtipp zum Thema: Meine Grenzen sind dein Halt: Kindern liebevoll Stopp sagen von Nora Imlau.

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