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"Streber" ist das Wort, das mein Mann in den Raum ruft, wann immer ich Anekdoten aus meiner Schulzeit erzähle. Dabei ist das natürlich Quatsch. Gut, ich sehe ein, dass da Anzeichen sind, die für seine These sprechen. Ich war Mitglied in der Theater-AG. Und Klassensprecherin. Und später Schülersprecherin. Meine schlechteste Zeugnis-Note in dreizehn Jahren Schule war eine Drei. Aber eine Streberin? Nein, diesen spießigen Schuh zieh ich mir nicht an.
Die ganze Schule ist ein Wettbewerb
Ich frage mich, warum ich so allergisch auf dieses Wort reagiere. Vermutlich, weil "Streber" auch immer gleichbedeutend mit "Langweiler" ist. Oder noch schlimmer: "Außenseiter". Zumindest ist das die Assoziationskette, die in meinem Kopf stattfindet. Und selbst mit 35 Jahren Lebenserfahrung zieht sich in meiner Magengegend etwas zusammen, wenn ich diese Worte höre. Wer möchte schon ein langweiliger Außenseiter sein? "Dazugehören" ist ein menschliches Grundbedürfnis, erst recht in der Schule.
"Die ganze Schulzeit ist ein Wettbewerb." Dieser Satz stammt von der Direktorin der zukünftigen Grundschule meines Sohnes. Sie nutzte ihn im Zusammenhang mit dem Einschul-Alter und der Warnung, ein Kind nicht zu früh in diesen "Wettbewerb" zu schicken. Ich erkannte in dem Moment viel mehr hinter ihrer Aussage: Denn der Wettbewerb bezieht sich nicht nur auf Noten und Urkunden. Er zieht sich durch das gesamte Sozialleben der Kinder. Welcher Gruppe gehöre ich an? Wer sind meine Freunde? Zu welcher Party bin ich eingeladen? Und nicht zuletzt: Welche Mutprobe traue ich mir zu?
Die Schulzeit besteht aus Mutproben
Als ich anfing, über diesen Text nachzudenken, war meine erste Reaktion: "Mutproben? Musste ich nie mitmachen!" Und tatsächlich blieb es mir die gesamte Pubertät über erspart, irgendeinen (illegalen) Blödsinn anzustellen, weil mich eine Gruppe älterer oder einfach nur lauterer Schüler dazu drängte. Und trotzdem waren da diese Dinge, die ich alleine sicher nicht getan hätte – bei denen ich aber einfach mitgemacht habe, eben weil alle es so gemacht haben.
Da war der "Kleine Feigling", den eine Mitschülerin plötzlich im Schulbus zückte. Und den wir uns – ganz verwegen – zu dritt teilten. Ich war 16 Jahre alt und sicher spät dran mit meiner ersten Alkohol-Erfahrung ohne elterliche Aufsicht. Und trotzdem: Ohne die Blicke der anderen hätte ich mir ganz sicher keinen Pflaumenlikör um 13 Uhr mittags gegönnt. Dabei musste noch nicht einmal jemand etwas sagen oder mich drängen. In der Situation war ganz einfach klar: Da mache ich jetzt mit.
Gruppenzwang entsteht im eigenen Kopf
Ähnlich lief es bei meiner ersten Zigarette: Ich war 18 (jaaa, ich merke es langsam selbst: Ich war wirklich mit allem etwas spät dran...), wir feierten unseren Abi-Ball, die Eltern waren mittlerweile zu Hause. Und dann war da plötzlich diese Schachtel Zigaretten. Alle haben eine genommen, und ganz ohne ein "Komm schon, du auch!" griff auch ich nach einer Kippe. Es hat widerlich geschmeckt und ich habe mich sehr dumm angestellt, aber ich gehörte dazu. Ich hatte nicht einmal ein schlechtes Gewissen (meine Güte, ich war ja auch volljährig!).
Anders war es, wenn auf Partys ein Joint kreiste. Ich höre schon das "Streber!" meines Mannes in meinem Ohr, wenn ich diese Zeilen schreibe, aber so war es nun einmal bei mir: Das habe ich mich partout nicht getraut. So ganz genau habe ich auch nie verstanden, ob das nun legal ist oder nicht. Was ist überhaupt "Eigenbedarf" und wann werden wir alle hier kriminell und versauen uns unsere Zukunft, nur weil wir anwesend sind?
Mit einem beherzten "Nein, danke" lehnte ich ein ums andere Mal ab. Und an dieser Stelle möchte ich die Streber-These meines Mannes mit Fakten widerlegen: Nicht ein einziges Mal wurde ich für diese Reaktion gemobbt. Und jetzt mal ehrlich: Wäre ich wirklich so ein langweiliger Streber gewesen, dann hätten sich die Mobber doch spätestens jetzt auf mich gestürzt, mich ausgelacht und bloßgestellt, oder nicht?
Gruppendruck beginnt schon früh
Ich bin heute stolz auf mein Pubertäts-Ich, dass sich getraut hat, immer wieder "Nein" zu sagen. Mein Sohn ist jetzt 4 Jahre alt und ich gebe mein Bestes, ihm eine ordentliche Portion genau dieses Mutes zu vermitteln: Nein sagen ist nicht uncool.
Im Gegenteil: Es kann sogar richtig mutig sein. (Mein Lieblings-Vorlese-Buch zu dem Thema ist übrigens "Mutig, mutig" von Lorenz Pauli.) Ich bin der festen Überzeugung, dass Selbstbewusstsein und eine grundsätzliche Zufriedenheit mit sich selbst die besten Voraussetzungen sind, um diesen Mut aufzubringen. Wie erfolgreich meine frühen Versuche der Selbstbewusstseins-Vermittlung sind, wird die Schulzeit zeigen.
Eines wird mir jedoch schon jetzt schmerzlich bewusst: Es gibt Dinge, auf die man als Mutter einfach keinen Einfluss hat. Gruppenbildungen beginnen schon in der Kita. Sie sind noch fragil und die freundschaftlichen Bande wechseln teils täglich. Doch es tut weh, wenn mein Sohn mir nach der Kita berichtet, dass "die Anderen" ihn heute geärgert haben.
Das passiert zum Glück wahnsinnig selten (bislang zweimal, um genau zu sein) – und dennoch habe ich seine Erzählungen kaum ausgehalten. Ich mag mir gar nicht ausmalen, wie es sich anfühlen muss, wenn das eigene Kind Opfer von Gewalt an der Schule oder Betroffener von andauerndem Mobbing ist.
Gruppenzwang und Mobbing: Zwei unterschiedliche Dinge
Schlägt man das Wort "Mobbing", zu Englisch "peer pressure", im Wörterbuch oder bei Wikipedia nach, findet man folgende Erklärung: "Mobbing oder Mobben steht im engeren Sinn für Psychoterror am Arbeitsplatz mit dem Ziel, Betroffene aus dem Betrieb hinauszuekeln.
Im weiteren Sinn bedeutet Mobbing, andere Menschen, ständig oder wiederholt und regelmäßig zu schikanieren, zu quälen und seelisch zu verletzen, beispielsweise in der Schule, am Arbeitsplatz, in der Familie, im Sportverein […] oder im Internet (Cyber-Mobbing). Typische Mobbing-Handlungen sind Hänseleien, die Verbreitung falscher Tatsachenbehauptungen, die Zuweisung sinnloser Arbeitsaufgaben, Androhung von Gewalt, soziale Isolation oder ständige Kritik an der Arbeit."
Was kann man konkret gegen Mobbing tun?
Klar hilft auch in diesem Fall ein gutes Selbstbewusstsein weiter. Doch die Erfahrung hat leider gezeigt, dass selbst Lehrer oft hilflos sind, wenn eine Gruppe an der Schule sich erst einmal auf ein Mobbingopfer eingeschossen hat. Das Wichtigste dabei: eingreifen! So eine "Sache" reguliert sich nicht von selbst. Als Schülerin habe ich eine ehrenamtliche Ausbildung beim Kinderschutzbund absolviert (okay, jetzt sehe ich es ein: Ich WAR eine Streberin!) und habe andere Jugendliche am Telefon im Rahmen der "Nummer gegen Kummer" beraten. Damals gab es das Phänomen Cyber-Mobbing noch nicht einmal. Was die anderen Jugendlichen mir aus ihrem Schulalltag berichteten, war dennoch erschreckend perfide. Und das einzige Mittel, das mir zur Verfügung stand, war zuzuhören – und den Mut zu vermitteln, sich Jemandem zu öffnen: Eltern, Lehrern, anderen Schülern.
Was man konkret gegen das Thema Mobbing an Schulen unternehmen kann, hat Christine Hagemann in einem sehr lesenswerten Artikel auf dem Backwinkel-Blog zusammengestellt. Sie listet auf, was Mobber eigentlich antreibt, wie erfolgreiche Prävention funktionieren kann und welche Möglichkeiten Eltern, Lehrer und Erzieher haben, einzugreifen. Eine Lese-Empfehlung für alle – auch diejenigen, die sich glücklicherweise nicht zu den Betroffenen zählen müssen.
Autorin: Silke Schröckert