Auch die Seele muss wachsen

Innere Wachstumsschübe Teil 2: Mittlere und späte Kindheit

Die körperliche Entwicklung unserer Kinder verläuft in Schüben. Doch wie sieht das mit der seelischen Reifung aus? Bindungstherapeutin und Fünffach-Mama Katharina Pommer erläutert in drei zusammenhängenden Gastbeiträgen die seelische Entwicklung in der frühen Kindheit, in der mittleren und späten Kindheit und in der Jugend.

Ein Kuscheltier leistet bei Ängsten oft gute Dienste.© Foto: Getty Images
Ein Kuscheltier leistet bei Ängsten oft gute Dienste.

Das seelische Wachstum in der mittleren und späten Kindheit (sechs bis elf Jahre)

Neben dem Kinderarzt sind die Kindergartenlehrpersonen oft die ersten außerfamiliären Personen, welche den Entwicklungsstand eines Kindes beurteilen. Dabei stellen sie fest, dass Entwicklungsunterschiede zwischen den Kindern und auch innerhalb eines Kindes nach wie vor groß sein können, natürlich auch seelische Entwicklungen.

Mit sechs Jahren geht es los: Die Schulzeit beginnt!

Kinder, die in den ersten sechs Lebensjahren positive, fürsorgliche und empathische Kindheitsbegleiter erlebt haben, reagieren anders auf den Eintritt in die Schule als Kinder, die weniger angenehme Erfahrungen gemacht haben. Die Motivation für das schulische Lernen wird in dieser Entwicklungsphase zum Thema. Ein Kind kann sich nur auf Exploration und Lernen einlassen, wenn es sich sicher und geborgen fühlt. Deshalb bemerkt man in dieser Phase relativ schnell an der Fähigkeit der Konzentration und Lernwilligkeit, ob ein Kind sich wohlfühlt – oder nicht. Oftmals muss man den Kindern auch hier viel mehr Zeit zur Eingewöhnung und individuelle Bindungsmöglichkeiten an die Lehrkraft geben als angeboten.

Beim Schuleinstieg spielen viele Faktoren eine wesentliche Rolle. Erlebt das Kind, dass es willkommen ist? Erlebt das Kind eine Lehrkraft, die sich auf es einstellt und auch ausreichend Kapazitäten und Ressourcen hat, um dies zu tun? Erlebt das Kind, dass es sich lohnt, sich anzustrengen? Erhält es Aufgaben, die es zu bewältigen mag? Wird es für seinen Einsatz gewürdigt? Mit wem wird es verglichen?

Zurück ins Elternbett: die "Acht-Jahres-Angst"

Viele Eltern berichten, dass Kinder in dieser Zeit vermehrt Alpträume haben, unruhig schlafen, das Elternbett aufsuchen und über Ängste sprechen. Ihnen wird hier zum ersten Mal die Vergänglichkeit des menschlichen Lebens bewusst. Erleben sie in dieser Zeit, dass beispielsweise ein Haustier oder gar ein Familienmitglied stirbt, können sich daraus resultierend Ängste entwickeln, die das Kind bis ins Erwachsenenalter begleiten. Eine gute und reflektierte Kommunikation ist hier sehr wichtig.

Mit neun Jahren überschreiten die Kinder den Rubikon: Das Alter gilt als die erste Übergangszeit vom kindlichen Ich ins Erwachsen-Ich. Sozusagen als "kleine Pubertät". Eltern wundern sich, dass ihre gestern noch verspielten und liebenswerten Kinder plötzlich mit den Türen knallen oder "frech" werden. Diese Zeit ist die erste Abgrenzung von anderen zum Ich.

Es ist eine Art innere Krise für das Kind, sich selbst als Individuum, mit eigenen Gedanken und Werten wahrzunehmen, sozusagen getrennt vom Rest der Welt. Das kann eine große Überforderung darstellen. Aus diesem Grund ist es auch hier wichtig, dem Kind viel Aufmerksamkeit, Gespräche und Reflektionsmöglichkeiten zu bieten.

Nehmen die Kinder an dieser Stelle zum Beispiel oft ihr Handy in die Hand, um über Youtube Ansichten ihrer Idole zu reflektieren, werden sie eher dazu tendieren, diese auch zu ihren eigenen zu machen. Wenn wir hier als Vorbilder viel in den Austausch mit den Kindern gehen, ist die Chance hoch, dass sie sich weiterhin an unseren Werten orientieren.

Die Welt erweitert sich, die Gespräche werden tiefgründiger

Die Phase des Rubikon ist gekennzeichnet von der Überwindung des Egozentrismus: Um das neunte Lebensjahr gelingt es Kindern, sich vom Eigenerlebnis zu distanzieren. Das Interesse erweitert sich räumlich und zeitlich auf Phänomene, die das Kind weder gesehen noch selbst erlebt hat.

Das Kind hat nun keine Schwierigkeiten mehr, sich in fiktive Situationen hineinzudenken und öffnet so die Türen für die Entwicklung des schlussfolgernden Denkens. Spannende Diskussionen können demnach am Mittagstisch geführt und Erkenntnisse gewonnen werden. Kinder können sich außerdem zunehmend von selbstbestimmten und lust-orientierten Spielen lösen und an von Erwachsenen vorgegebenen Aufgaben arbeiten.

Schlechtes Verhalten löst Schamgefühle aus

Ab der mittleren Kindheit treten Emotionen wie Stolz, Scham oder Schuld zunehmend auch in Abwesenheit anderer Personen beziehungsweise Erwachsener auf. Nicht jede Form von Fehlverhalten löst Scham oder Schuldgefühle aus, sondern in erster Linie vorsätzliches, intendiertes Fehlverhalten wie Lügen oder Stehlen.

Im Alter von zehn bis elf Jahren verstehen Kinder ambivalente Emotionen. Sie entwickeln zunehmend ein Verständnis dafür, dass der Emotionsausdruck nicht unbedingt mit der tatsächlichen Gefühlslage übereinstimmen muss. Das Kind freut sich auf die Ferien und ist gleichzeitig aber auch traurig, weil es dann nicht mit den Freunden spielen kann.

Selbstwertgefühl entwickelt sich in dieser Zeit immer mehr, und die Schulleistung und der Umgang des Umfeldes damit und mit dem Kind, beeinflusst das Selbstwertgefühl.

Die Bedeutung von Freundschaften nimmt zu

Ein Kind mit schlechten Leistungen kann bei entsprechender Unterstützung und Wertschätzung ein hohes Selbstwertgefühl entwickeln. Dafür muss ihm der Eindruck vermittelt werden, dass die anderen es so akzeptieren und mögen, wie es ist.

Dadurch, dass sozial ungeschickte Kinder von Gleichaltrigen eher abgelehnt werden, mangelt es ihnen an Kontakten zu anderen Kindern und so können sie sozial angemesseneres Verhalten nicht einüben. Hier ist Unterstützung von außen sehr nötig. Denn Freunde werden immer wichtiger und das Kind entwickelt nun einen eigenen, von den Eltern unabhängigen Freundeskreis.

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