
Es sind die Klassiker-Sätze, die wohl allen Kleinkind-Eltern – zumindest phasenweise – entweichen:
"Ja suuuuuper, Schatz, wirf den Ball zu Mama!"
"Mama muss jetzt das Abendessen machen und kann leider nicht mit dir spielen!"
"Papa und Mama haben dich soooo lieb!"
Oder auch gern, je nach Region, mit einem bestimmten Artikel davor:
"Der Papa hat 'Nein' gesagt."
"Warte, der Papa hilft dir dabei ..."
Muss das sein? Frage ich mich! Oder geht das auch anders?
Die Entwicklungspsychologie gibt uns recht – in Teilen
Wenn Mütter und Väter in den Dritte-Person-Reflex verfallen, ist das entwicklungspsychologisch gar nicht mal so sinnlos. Denn: Erst im zweiten Lebensjahr entwickelt sich schrittweise die eigene Selbstwahrnehmung. Rund um den zweiten Geburtstag haben die meisten Kinder dann gelernt, dass sie ein eigenständiges Wesen sind. Erst dann sprechen Kinder auch von sich als "ich". Bis dahin nutzen sie natürlicherweise auch häufig die dritte Person Singular: "Paul hat Hunger." oder auch "Paul Hunger." – kennt jeder. Wollen wir uns mit dem Dritte-Person-Gesäusel also nur unseren Kindern annähern?
Tatsächlich fällt es sehr kleinen Kinder schwer zu verstehen, was Mama meint, wenn sie sagt: "Komm zu mir!" oder "Ich lese dir etwas vor." Mit einem: "Komm zu Mama!" können Kleinkinder oft viel eindeutiger etwas anfangen.
Schon mal von Illeismus gehört?
Es gibt sogar einen lateinischen Fachbegriff für das Phänomen: Illeismus. Spricht man also von sich in der dritten Person Singular, wie es angeblich selbst Julius Caesar gemacht haben soll, dann will man damit persönliche Meinungen oder Wünsche als scheinbar objektive Tatsachen ausgeben. So, so, eine Strategie steckt also doch irgendwie dahinter. Von "Paul räumt jetzt mal die Bauklötze weg!" können wir uns also ein schnell aufgeräumtes Wohnzimmer erhoffen.
Okay, so weit habe ich verstanden, warum wir Eltern häufig in die "Dritte-Person-Falle" tappen. Es ist ja nur gut gemeint und durchaus eine sinnvolle und clevere Form der Kommunikation. Für Kleinkinder!
Erwischt: Ich spreche ja selbst von mir als "Mama ... "
Jetzt kann ich es ja zugeben: Auch ich erwische mich dabei. Aber: Meine Kinder sind nun fast vier und fast sechs. Haben also längst die Bedeutung von "ich" verstanden, nur zu gut sogar. Und ich nutze manchmal immer noch den Kleinkind-Sprech mit ihnen: "Nein, mein Großer, Mama möchte das aber nicht!" Schuldig! Denn meist fühle ich mich im nächsten Moment schon etwas albern.
Ist doch halb so wild, könnte man meinen. Klar, es gibt mit großer Sicherheit Schlimmeres. Aber Tatsache ist, dass es gewisse Nachteile haben kann, wenn Eltern auch jenseits des Krippenalters noch nicht von sich als "ich" sprechen.
Der Nachteil ...
Der renommierte dänische Familientherapeut Jesper Juul, der zahlreiche Eltern-Ratgeber geschrieben hat und leider inzwischen verstorben ist, bringt es auf den Punkt. Seiner Meinung nach sind Eltern, die mit ihren Kindern in der dritten Person sprechen, für ihren Nachwuchs nicht als authentische Menschen greifbar. Gerade bei schon älteren Kindern wirke es sogar künstlich, wie in einem Rollenspiel. Die emotionale Verbindung fehlt. Die vermeintlich kinderfreundliche Sprache verfehlt also ab einem gewissen Alter komplett ihren Sinn und Zweck. Denn die Wahrhaftigkeit fehlt. Ein "Ich hab dich lieb!" ist also um Meilen ernsthafter und wertvoller als ein "Mama hat dich lieb!" Und schließlich wollen wir genau das ja auch unseren Kindern mitgeben: "Stehe für dich und deine eigene Bedürfnisse und Gefühle ein!" Und dazu gehört eben auch die erste statt der dritten Person Singular.