
Eines Tages ist Schluss mit: „Ist die Kleine nicht süß?“ Aus heiterem Himmel bekommt der häusliche Friede einen ersten empfindlichen Dämpfer. „Nein“ – so platzt es urplötzlich, oh Schreck, aus dem bisher so wortlosen Kindermund heraus. „Nein!“ Und das manchmal sogar, bevor das langersehnte Wort aller Wörter zu hören ist: „Mama!“ Nix Mama – stattdessen: „Nein!“ Und damit beginnen irgendwann so um den zweiten Geburtstag herum die Machtspiele zwischen Eltern und Kindern. Mit diesem ersten Nein fangen die ganz jungen Wilden an, ihre eigenes Denken auch zu einem ersten eigenen Willen zu entwickeln. Früh übt sich. Und keine Frage, das ist gut so.
Ein wichtiger Entwicklungsschritt auf dem Weg zur Eigenständigkeit des Kindes
Oft allerdings ist es ein Schock für Mama und Papa, wenn ihr niedlicher Windelpupser nun Nein sagt, also nicht mehr widerspruchslos hinnimmt, was ihm gesagt wird. Oder sagen wir es doch gleich mal ganz deutlich: nicht gehorcht. Gehorsam gehört doch zu den Tugenden einer erfolgreichen Erziehung, was nun? Aber dann passiert das: Mit Händen und Füßen verdreht sich der kleine Oberkörper wie ein Korkenzieher, wirft den Kopf von links nach rechts, um ja die letzten Reste auf dem Teller nicht mehr essen zu müssen. Reicht dieses Abwehrverhalten immer noch nicht, fliegt dann kurzerhand mal der Löffel im hohen Bogen mit Gebrüll und schrillem „Ich will nicht!“ durch die Küche. Oder: Die kleinen Füße verknoten sich so geschickt, dass das erfolgreiche Anziehen der Schühchen unmöglich wird – natürlich mit protestierendem, lang gezogenem „Neeiiin!“ Auch Mützeaufsetzen wird zum Desaster, selbst das Plantschen in der Badewanne fällt wegen akuter Verweigerung aus. Schon in dieser frühen Lebensphase, in der kleine Köpfe noch gar nicht in der Lage sind zu argumentieren, setzen sich Kinder vehement und oft erfolgreich zur Wehr. Für sie ist ihr Nein völlig okay. Ein unterbewusster Impuls. Psychologen erkennen darin den allerersten wichtigen Entwicklungsschritt zur Selbst- und Eigenständigkeit. Diese Kids können zwar noch nicht viel reden, aber sich schon sehr eindrucksvoll zur Wehr setzen.
11 Regeln für den Umgang mit kleinen Neinsagern
Permanente Ablehnungen führen dann bereits nach kürzester Zeit zu ersten familiären Zerreißproben, wenn von uns Eltern entscheidende Regeln im Umgang mit Nein-Kindern (genauso mit sogenannten Trotzköpfchen) einfach außer Acht gelassen werden. Nicht die kleinen Verweigerer, sondern wir Erwachsenen sind oft das Problem, weil wir nicht wissen, wie wir auf Neinsager reagieren sollten. Sicher ist: Das Nein wird zum Lebensbegleiter mit unterschiedlichsten Facetten und altersabhängigen Problemen. Selbst wenn Kinder die verschiedenen Nein-Arten gar nicht unterscheiden können, haben sie ein feines Antennchen dafür, wie die Mama – meistens ist sie es ja – auf die Ablehnung bzw. Verweigerung reagiert. Deshalb kann es hilfreich sein, sich so etwas wie einen Verhaltens-Knigge anzulegen, wie man am erfolgreichsten die Widerspenstigen zähmt. Natürlich wollen wir Eltern uns keine Vorschriften anhören. Alles, was gesagt und getan werden muss, ordnet sich einem pädagogischen Grundsatz unter, den Diplom-Psychologin Daniela Hollrotter so formuliert hat: „Kinder brauchen Halt, Orientierung und Sicherheit.“
Die folgende Liste ist eine Sammlung anerkannter, erprobter und hilfreicher Empfehlungen für den Umgang mit Neinsagern:
- Reagiere nicht gleich auf jedes Nein! Erst mal abwarten.
- Das Nein von Zwei- bis Fünfjährigen sollte nicht rigoros unterbunden werden. Kleinkinder dürfen Nein sagen, weil sie eine Phase durchleben, in der sich der eigene Wille entwickeln soll. Das heißt allerdings nicht, dass jedes Nein widerspruchslos hingenommen werden muss. Der glasklare Widerspruch „doch” zeigt den Kindern frühzeitig Grenzen auf: bis hierher, aber keinen Schritt weiter.
- Denke immer daran, dass das Nein in diesem Alter keine gezielte Attacke gegen dich als Elternteil ist, sondern dass sich die Kinder voller Neugier und Tatendrang nur ausprobieren wollen – ja, sogar müssen, wenn sie die CDs aus dem Regal abräumen. Geschickt gekontert lautet die nicht vorwurfsvolle Ansage: „Komm, jetzt räumen wir das gemeinsam wieder auf.”
- Reagiere möglichst nicht mit Drohungen: „Wenn du jetzt nicht aufhörst, dann …” Ja, was dann? Es macht wenig Sinn, Kinder zu verunsichern, weil sie sich dann oft bestraft fühlen. Aus ihrer Sicht haben sie aber nichts Böses getan. Stattdessen helfen da schon eher Ablenkungen oder Alternativen, um das Nein in ein hoffnungsfrohes, lächelndes Ja zu verwandeln. Süßigkeiten sind weder Ablenkung noch Alternative!
- Werde nicht selbst zum Neinsager. Je häufiger Kinder ein Nein hören, desto mehr verliert es an Wirkung.
- Zeige auch ruhig mal Verständnis für das Nein: „Ich verstehe dich.” Und wenn dann kein Aber folgt, verstehen deine Kinder diesen Satz als ein Lob und fühlen sich bestätigt – was dem Selbstvertrauen guttut.
- Gib ruhig nach, wenn es vertretbar ist. Wer wird schon gern zu etwas gezwungen, das ihm partout nicht in den Kram passt?
- Gib aber nicht nach, wenn es die Situation zwingend erforderlich macht, unnachgiebig zu bleiben. Sprich es auch aus, unmissverständlich, in aller Ruhe, ohne dich auf lange Diskussionen einzulassen. Kinder begreifen klare Ansagen meistens sehr schnell.
- Verzichte auf strikte, unbegründete oder gar heftige Befehle. Das entlockt den Kleinen nur eins: das nächste Nein und das nächste Gebrüll. Und das alles ist kontraproduktiv.
- Unterstütze die Entwicklung des Kinderwillens (auch dazu gehört sein Nein), indem deine Antwort nicht immer ein Verbot beinhaltet. Besser ist allemal: Beurteile und kommentiere die Situation differenziert – entscheide also schnell, was jeweils sein muss, sein soll, sein darf oder sein kann. Hinter jedem Verbot sollte aber auch eine kleine Chance für den Nachwuchs stecken, sich selbst finden zu können.
- Erkäre, welche Nein-Argumente deiner Kids du akzeptieren würdest und warum andere nicht anerkannt werden können. Ein gutes Beispiel ist das beliebte „Keine Lust!” Das ist nichts anderes als eine billige Ausrede und reicht nicht aus als Grund, etwas nicht zu tun. Über ein „Ich mach das bestimmt morgen” könnte bestimmt verhandelt werden.
Jasager sind pflegeleichter, weniger anstrengend - und wirken oft ziemlich langweilig
Beharrlichkeit und Nachhaltigkeit sind zwei entscheidend wichtige Orientierungspunkte bei einer erfolgreichen und möglichst problemlosen Erziehung bis ins Teenie-Alter. Die stürmisch Heranwachsenden sollten wie wir Eltern ganz genau wissen, wie man am besten miteinander umgeht. Die Familie ist und bleibt das beste „Gewächshaus“, um langfristig gegenseitiges Vertrauen reifen zu lassen. Nun werdet ihr euch fragen, warum wir bisher noch kein Wort über das Ja und die Jasager verloren haben. Das hat gute Gründe. Denn: Wer als Kind lieber Ja sagt, ist pflegeleicht(er), lehnt sich weniger auf, sorgt seltener für Schlagzeilen oder Gesprächsstoff beim familiären Abendbrot. Jasager mit zwei, drei Jahren sind angepasster, im Vergleich zu Neinsagern weniger anstrengend und deshalb auch eher Mamas Liebling: Harmonie, Zustimmung, Übereinstimmung, Verständnis, Liebe (wir kennen alle das Jawort) und grenzenloser Friede – eine herrlich heile Welt. In frühester Kindheit mit Sicherheit, aber mit späteren Folgen, die Jasagern das Bild der heilen Welt Schritt für Schritt und Jahr für Jahr schmerzhaft kaputt machen.
"Nein sagen muss man trainieren"
Einer dieser Schritte ist das erste rechtzeitige Abnabeln. Das Loslassen, das Raus aus Mamas Schoß und Wärme. Und das beste Jahr dafür ist der Start ins Kindergartenleben. Fremde Menschen, fremde Umgebung, andere Regeln, alles ohne den Schutzfaktor Mama. Die Frage ist nur, wer mehr leidet: Mutter oder Kind. Die Kinder leiden am meisten, wenn sie ihre Mutter leiden sehen. Die Kids entdecken sich viel schneller neu, als wir Eltern das wahrhaben wollen. Kernsatz: „Sie ist doch noch so klein.“ Kindergarten ist kein Kinderparadies, aber hilfreich.
Mit einem eher (zu) schnellen Ja anstelle eines Neins kann man eventuell Konflikten ausweichen. Wer noch nicht gelernt hat, Widerstand zu leisten, unterliegt der Gefahr, ausgenutzt zu werden oder einen Umweg um die Wahrheit zu machen. Der Psychologe Werner May hat erkannt: „Mit einem Ja kann man wie mit einer angezogenen Handbremse durchs Leben fahren. Zum Beispiel, wenn man zu einer Aufgabe Ja sagt, obwohl man nicht ganz dahintersteht.“
Jasager haben kein Problem damit, es anderen immer recht machen zu wollen. Sie widersprechen ungern, stellen persönliche Bedürfnisse oft hintenan, möchten beliebt sein und sind dennoch nicht immer willkommen, weil sie mit ihrer angepassten Art Harmonie-Hormone ausschüttend als Langweiler empfunden und kritisiert werden. Die Krux dabei erklärt Werner May: „Viele sagen Ja, obwohl sie lieber Nein sagen würden.“ May beschäftigt sich seit 25 Jahren mit der Psychologie des Neinsagens. „Nein sagen muss man lernen. Man muss es trainieren.“ Mit Nein setzt man Grenzen. Das Ja ist grenzenlos. Umso wichtiger ist deshalb die frühe pädagogische Ausrichtung: den Kindern nicht das Nein strikt verbieten oder sogar mit Strafen drohen, selbst wenn unsere Geduld manchmal arg strapaziert wird. Es gibt keine Alternative: Wer sich später durchsetzen soll, muss frühzeitig angeleitet werden zu kämpfen, um sich durchzusetzen. Und das klappt am besten im Zusammenspiel mit den Eltern.
Das Neinsagen zu lernen ist ein lebenswichtiger Schutz für dein Kind
Das Nein bedeutet in jungen Jahren zunächst nur Ablehnung, Auf- und Widerstand. Denke also heute schon daran, dass dieses jetzt zu lernende Nein morgen – im Alter ab etwa zehn Jahren – nicht mehr nur ein familiärer Widerstand, sondern dann auch ein vielleicht sogar lebenswichtiger Schutz ist, eine überzeugende und unüberhörbare Abwehrhaltung fremden Menschen gegenüber …
Autor: Joachim Zoellner