Kolumne

Wie eine Fremde versuchte, mein Kind bei einem Trotzanfall zu erziehen

So ein Trotzanfall in der Öffentlichkeit ist nicht schön. Und für Kind und Mutter ohnehin stressig genug. Wie es sich anfühlt, wenn sich dann noch eine fremde Person in die Situation einmischt – davon erzählt unsere Autorin hier.

Kleines Mädchen hat Trotzanfall im Supermarkt© iStock/Filipovic018
Ein Trotzanfall im Supermarkt kann schon mal vorkommen ...

Neulich bei Budni: Auf dem Rückweg von der Kita halte ich mit meinem Sohn noch schnell bei der Drogerie an. Wir brauchen Gallseife und Zahnpasta. Levi schnappt sich am Eingang wie immer einen Einkaufswagen für Kinder und schiebt los. Beim Regal mit der Zahnpasta angekommen, ist meine Freude groß: Levis "Lieblingsschaum" hat eine neue Verpackung. Mit einem Krokodil. Super süß, finde ich, und lege die Zahnpasta mit Kroko-Design in den Einkaufswagen. Ein RIESENFEHLER! 

Ich sehe, wie das Gesicht meines Sohnes erstarrt, als er die Zahnpasta erblickt. "Nein Mama, die soll weg!" Ich bin irritiert und versuche ihm den coolen Krokoschaum schmackhaft zu machen. Vergeblich. Im Regal steht noch genau eine alte Verpackung, die ich in den Einkaufswagen zu der anderen lege. Die Zahnpasta ist eh oft ausverkauft – da können wir gut gleich zwei mitnehmen. Das sieht Levi aber ganz anders, die Kroko-Zahnpasta passt ihm überhaupt nicht. "Mama, mach die zurück! Ich will die nicht."

Ich kenne solche Situationen. Es geht hier gar nicht um die Zahnpasta. Mein Sohn ist müde von der Kita und kleinste Abweichungen von der Norm können ihn völlig aus der Fassung bringen. Ich beschließe, unseren Konflikt nicht unnötig in die Länge zu ziehen und trete meinen Weg Richtung Gallseife an. Hinter mir ein trotzender Levi, der alle zwei Sekunden die Kroko-Zahnpasta aus dem Einkaufswagen nimmt und diese in irgendwelche Regale stopft. Nachdem ich sie gefühlt 20 Mal zurückgelegt habe, schmeißt er sie letztendlich auf den Boden. Ich nehme die Zahnpasta in die Hand, erkläre ihm ruhig aber bestimmt, dass ich das so nicht in Ordnung finde und wir jetzt zur Kasse gehen. "Mamaaaaaaaa, mach den Schaum zurück!"

Zugegeben, die Situation ist anstrengend. Nicht nur für mich und Levi, sicherlich auch für alle anderen Menschen, die gerade ihre Einkäufe in der Drogerie erledigen. Zwar schreit mein Sohn nicht oder wirft sich auf den Boden, aber er mault seinen "Ich will diesen Schaum nicht"-Text schon recht lautstark durch die Gänge. Immer und immer wieder! Für alle gut hörbar! Ich überlege kurz, ob ich die Zahnpasta einfach zurückbringen soll, damit er sich beruhigt. Aber das wäre pädagogisch vermutlich nicht sehr wertvoll ...

© Foto: privat
Der Auslöser für den Trotzanfall meines Sohnes: das neue Verpackungsdesign seines "Lieblingsschaumes", das er mittlerweile übrigens richtig cool findet.

An der Kasse startet Levi einen letzten Versuch und mopst den Kroko-Schaum vom Laufband. Ich nehme ihm die Zahnpasta aus der Hand, woraufhin er mit beiden Füßen auf den Boden stampft und mich anschreit. Oha, uns steht ein richtiger Trotzanfall bevor, wenn wir hier nicht gleich rauskommen! Mein Geduldsfaden wird merklich dünner: "Levi, es reicht jetzt", sage ich bestimmt und hoffe, dass die letzten Minuten an der Kasse schnell rumgehen mögen.

Eine Frau, die sich gerade an uns vorbeigedrängelt hat, schaut mich an und beginnt zu pöbeln: "Kinder sind wie Terroristen!" Ich überlege kurz, ob das ein lustiger Spruch sein soll à la "Jungs sind wie Gummibären. Erst sind sie süß, dann machen sie dick." Es folgt aber kein Witz. Stattdessen: "Kinder muss man mit harter Hand erziehen. Sonst tanzen sie einem nur auf der Nase rum." Dann wendet sie sich an Levi, der immer noch in seinem Kroko-Schaum-Dilemma gefangen ist: "Was ist denn dein Problem?", raunzt sie ihn an. Ich entgegne ihr nett und höflich, dass das gerade nicht hilfreich sei.  Sie fällt mir ins Wort: "Bei meinen Kindern hat das immer geholfen ..."
"Das freut mich für Sie", sage ich und hoffe, dass sie still ist. Ist sie natürlich nicht. Eine Frau hinter uns mischt sich ein: "Na, Sie waren als Kind bestimmt ein richtiger Engel." Die Kassiererin schaut mich mitleidig an und sagt: "Toll, wie ruhig Sie bleiben." Die Unterstützung ist nett, für Levi ist die ganze Situation aber viel zu viel. Nicht nur, dass die Zahnpasta immer noch auf dem Band liegt, jetzt schreien sich auch noch vier Frauen an.

"Mamaaaaaa, ich will den Schaum nicht." Ich streichle ihm über den Kopf: "Es ist alles gut, mein Schatz", sage ich und denke: "Verdammt noch mal, dieser blöde Sch***-Schaum kommt jetzt mit!" Ich entdecke einen Duplo und versuche es mit Bestechung: "Magst du dir einen Schokoriegel nehmen?" Meine zugegebenermaßen fragwürdige Beruhigungsmethode macht die Frau jetzt richtig wütend: "Das gibt es doch nicht! Jetzt kriegt das Kind auch noch einen Schokoriegel, obwohl es hier die ganze Zeit rumbrüllt! Kinder sind heutzutage total verzogen ...." Sie wettert weiter, während ich zahle und es endlich nach draußen schaffe. Ich hebe Levi in seinen Fahrradsitz, als die Frau durch die Schiebetüren tritt. Eine Flasche Wein, die sie gerade gekauft hat, fällt auf den Boden und zerbricht in tausend Scherben. 

Während sie sich – natürlich lautstark – darüber aufregt, dass das alles meine Schuld sei, weil das Kind die ganze Zeit so laut sei, ist Levi auf einen Schlag mucksmäuschenstill und völlig fasziniert. Er ist nämlich großer Scherben-Fan und hat das erste Mal live beobachten können, wie eine Flasche zerbricht. "Mama, sind das jetzt alles abgeschrabbte Scherben?", fragt er mich freudig. Ich lächle erst ihn und dann die Frau an. Dann rufe ich ihr zu: "Vielen Dank, mein Sohn liebt Scherben. Da haben Sie ihm gerade eine richtig große Freude gemacht." Dann schwinge ich mich auf mein Rad und murmle: "Tja, Karma, b****, Karma!"

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