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Unsere Beziehung ruhte auf festen Säulen. Wir hatten schon einiges gemeinsam durchgemacht, waren monatelang fast rund um die Uhr zusammen. An Liebe mangelte es nicht. Wir zeigten auch genügend Respekt voreinander, brauchten uns gegenseitig, förderten und forderten uns. Einer gab, einer nahm – mal mehr, mal weniger, aber immer so, dass es für uns beide okay war. So ging es fast zwei Jahre lang gut. Bis er anfing, regelmäßig auszurasten. Er brüllte mich an, er schmiss mit Sachen um sich, und wenn es ganz übel kam, blamierte er mich vor Publikum als Versager. Im Rausch der Gefühle war er zu einem vernünftigen Kompromiss nicht mehr in der Lage.
Typisch Trotzkopf: vorgeschobene Unterlippe und theatralische Zusammenbrüche
Die Rede ist nicht von meiner Ehe. Zum Glück. Denn die hätte so etwas nicht ausgehalten. Gemeint ist eine ganz normale Mutter-Kind-Beziehung, bei der das Kind – in diesem Fall unser kleiner Sohn – in die gefürchtete Trotzphase kommt. In dieser Zeit mutierte unser einst so süßes Baby regelmäßig zum Wüterich. Zu einem kleinen (natürlich immer noch überwiegend niedlichen) Geschöpf, das – von der schmollend vorgeschobenen Unterlippe bis zum theatralischen Zusammenbruch – alle Register zieht, mit denen es unmissverständlich klarmacht: Ich bin stinksauer.
Warum eigentlich? Die schönste Antwort auf diese Frage lautet: Weil es uns gelungen ist, ihm in seinem bisherigen Leben so etwas wie Urvertrauen zu geben. Na prima. Kleine Kinder trauen sich nämlich nur zu trotzen, wenn sie sich darauf verlassen können, dass ihre Liebsten zu ihnen stehen – komme, was wolle. Das macht es doch gleich viel leichter, die alltäglichen Dramen einigermaßen entspannt auszuhalten. Wir sind nämlich keineswegs schuld an seinem Desaster.
Sein merkwürdiges Verhalten liegt an seiner rasanten Entwicklung. In den ersten Jahren des Lebens lernt ein Kind so viel, dass es logischerweise oft stolpern, hinfallen, wieder aufstehen, erneut hinfallen und noch mal aufstehen muss. Da es dabei noch nicht nach sinnvollen Lernregeln vorgehen kann, hält es sich ans Prinzip "Versuch und Irrtum" – so lange, bis es klappt.
Um durch die lange Trotzphase (ja, sie kann tatsächlich von eineinhalb bis sechs Jahre dauern, erreicht aber bei Zweijährigen ihren Höhepunkt) sicher hindurchzunavigieren, sollten Erwachsene sich immer wieder klarmachen, was ihr kleiner Nachwuchs alles lernen muss und wo die Frustfaktoren dabei liegen.
Zum Beispiel:
Sprechen. Vom einzelnen Wort über den ersten Satz bis zu komplexen grammatikalischen Gebilden dauert es ein paar Jahre. In dieser Zeit müssen Gefühle auf andere Weise raus. Um Freude und Glück zu zeigen, kann das Kind lächeln, glucksen, strahlen, die Welt sprichwörtlich umarmen. Um Wut, Enttäuschung und Frust rauszulassen, muss es brüllen, strampeln, toben oder mit Sachen werfen, solange es noch nicht richtig sprechen kann.
Etwas schaffen. Ich kann das! So lautet eine wunderbare Erkenntnis. Doch Zweijährige scheitern naturgemäß oft an dem, was sie gerne können würden. Weil sie sich weiterentwickeln wollen (und müssen), geben sie sich nicht mit Sachen zufrieden, die sie längst beherrschen. Sie suchen sich dann freiwillig (tolle Leistung eigentlich!) Aufgaben, die sie herausfordern. Und sie tun das, was Motivationstrainer Erwachsenen später mühsam wieder antrainieren: Sie geben nicht auf. Wenn’s nicht klappt, empfinden sie das als Zumutung, ärgern sich, heulen vor Wut, aber machen weiter.
Konflikte: "Könnt ihr nicht mal schön miteinander spielen?" Offenbar nicht. Was Eltern sich so sehr wünschen, ist für Zweijährige schwer umzusetzen. Sie sehen ein tolles Spielzeug und wollen es haben. Wer es gerade in der Hand hat oder wem es gehört, das spielt in dem Moment für sie gar keine Rolle. Also zugreifen, kräftig dran ziehen und darauf setzen, dass das andere Kind loslässt. Tut es das nicht, gibt’s Geschrei. Konfliktlösung ist noch ein Fremdwort. Die Regeln eines fairen Miteinanders müssen Kinder genauso lernen wie sprechen und laufen.
Enttäuschungen: Sich Strümpfe anziehen, auf eine kleine Mauer klettern, auf dem Roller des großen Bruders fahren, das Garagentor mit Papas Schlüssel öffnen – der Wunsch, etwas allein zu machen, ist oft so stark, dass das Kind ausflippt, wenn jemand anderes solche Aufgaben erledigt, statt sie ihm zu überlassen. Die Hoffnung auf ein Erfolgserlebnis beflügelt so, dass die Enttäuschung riesig ist und einen Wutanfall auslöst. Nur Übung macht den Meister.
Frust ertragen. Eltern, die es gut mit ihrem Kind meinen, wollen ihm allzu viel Frust gerne ersparen. Doch das ist der falsche Weg. Viel besser: Die Erwachsenen finden sich damit ab, dass das Größerwerden ganz ohne Enttäuschungen leider nicht geht. Sie suchen nicht nur nach Vermeidungsstrategien, sondern auch nach Möglichkeiten, aus den unangenehmen Situationen Hilfreiches herauszuholen.
Denn im Trotzkopfalter wird noch eine weitere Fähigkeit entwickelt: Das Kind lernt, angemessen mit Fehlern, Frust und Fehlschlägen umzugehen. Wenn zum Beispiel Gefahren drohen (das Kind kann sich verletzen) oder kein Kompromiss möglich ist (es gibt grundsätzlich keine Süßigkeiten vorm Essen), sollten Mama und Papa ihren Willen durchsetzen – und zwar auch gegen den des Kindes. Nur so lernt es, Frustrationen auszuhalten.
Regeln einhalten. Darf ich das? Wenn ein kleines Kind auf Entdeckertour geht, gerät es immer wieder in Situationen, in denen es etwas Neues ausprobieren möchte, aber noch nicht weiß, was dann passiert und ob es das überhaupt darf. Also legt es einfach los, um herauszufinden, wo die Grenzen sind. Die Erwachsenen haben jetzt die Aufgabe, ihm genau zu zeigen, was erlaubt ist und was nicht. Am besten erklären sie bei Regelverstößen auch gleich, wie es besser geht.
Schlafen lernen. Natürlich: Irgendwann schläft jedes Kind vor Müdigkeit ein. Doch bis es endlich so weit ist, müssen viele Hürden überwunden werden. Der Abschied von den Liebsten, allein im dunklen Zimmer sein, nicht mehr weiterspielen dürfen – Kinder von eins bis drei gehen selten so ins Bett, wie sich die Eltern das wünschen. Mama und Papa dürfen sich hierbei durchaus flexibel zeigen. Will das Kind nur einschlafen, wenn jemand neben ihm sitzt? Nach zwei Geschichten und drei Liedern? Mit Nachtlämpchen am Bett oder mit geöffneter Zimmertür zum beleuchteten Flur? Nachgeben ist erlaubt, solange die Familie damit zurechtkommt und es tatsächlich zu Ruhe führt.
Im Trotzalter besonders wichtig: konsequent Nein sagen
Der Grat zwischen wohltuender Flexibilität und schädlicher Inkonsequenz ist allerdings schmal. Im Sinne des Familienfriedens ist Nachgeben oft die leichtere Lösung. Doch Eltern sollten genau darauf achten, wann das das Kind weiterbringt und wann es kontraproduktiv ist. Sie können für die eigene Familie festlegen, in welchen Situationen ein klares Nein angebracht ist. Zum Beispiel: "Nein" heißt es, wenn das Kind …
- … vor Wut etwas kaputt macht.
- … an der Straße nicht hört und auf die Fahrbahn laufen will, ohne zu gucken.
- … mit Sachen um sich wirft, sodass andere gefährdet werden.
- … haut, beißt, tritt, schubst, andere an den Haaren zieht oder anspuckt.
- … sich selbst in Gefahr bringt (Strom, heißer Herd).
Auch der Umgang mit Süßigkeiten, Fernseh- und Computerzeiten, Mithilfe beim Aufräumen, richtiges Anziehen, Pünktlichkeit und gemeinsame Mahlzeiten erfordern Grundregeln, an die sich alle halten sollten – selbst dann, wenn ein Kind versucht, sie mit Trotz zu durchbrechen. Gut funktioniert das, wenn Familien individuell festlegen, was ihnen wichtig ist. Zur Orientierung gilt die Devise: In Sachen Liebe, Zuverlässigkeit, Schutz und Entwicklungsmöglichkeiten geben die Großen den Kleinen alles, was sie brauchen, aber nicht alles, was sie wollen.
Vorbeugen: So reduziert ihr die Ursachen von Wutanfällen bei kleinen Trotzköpfen
Der Alltag lässt sich leichter bewältigen, wenn es so wenig Regeln und Verbote wie möglich gibt. Denn die Kleinen lernen besser, wenn sie viel ausprobieren und so viel wie möglich alleine machen dürfen. Wenn es gelingt, ein konsequentes Nein nur selten auszusprechen, reduzieren sich die Gründe für Wutanfälle automatisch. Ebenfalls entkrampfend wirken folgende Maßnahmen:
- Oft draußen sein. Kinder, die viel auf dem Spielplatz oder in der Natur sein dürfen, reagieren seltener bockig.
- Bewegung. Rennen, toben, tanzen, hüpfen, zu Fuß gehen, Fangen spielen – wer sich viel bewegt, kann dabei Dampf ablassen.
- Fester Rhythmus. Aufstehen, anziehen, essen – wenn der Alltag für die Kinder verlässlich verläuft, gibt es weniger Reibungspunkte.
- Zeit einplanen. Kleine Kinder entdecken fast immer etwas Tolles am Wegesrand. Wenn Erwachsene genug Zeit einplanen, verlaufen die Touren friedlicher als in Hektik.
- Zutrauen. Alles, was das Kind schon kann, sollte es auch alleine machen dürfen. Selbst wenn es am Anfang etwas länger dauert.
Die Angst vor peinlichen Auftritten
Besonders gefürchtet sind Wutanfälle in der Öffentlichkeit. Denn dabei fühlen sich Erwachsene gleich doppelt gedemütigt – vom eigenen Kind, das den Wutwichtel gibt, und von ungebetenen Zuschauern, die abschätzige Blicke mit entsprechenden Kommentaren abgeben ("Die hat ihr Kind wohl überhaupt nicht im Griff"). Die Angst davor sitzt erfahrungsgemäß tief. Da die Eltern meist wissen, wann und wo die Wutausbruchsgefahr lauert, lässt sich in vielen Situationen gut vorbeugen. Ist das Kind müde oder hungrig? Dann besser erst einmal schlafen oder essen, bevor es in den Supermarkt geht. Droht Langeweile? Auch das kann die Neigung zum Trotz fördern.
Wie wäre es mit kleinen Beschäftigungsprogrammen? Das Kind darf im Supermarkt bestimmte Sachen selbst aus dem Regal holen und in den Wagen legen. Es bekommt kleine Aufträge ("Such mal nach Klopapier"). Manchmal lässt sich mit etwas älteren Mädchen und Jungen auch verhandeln: "Wenn du es schaffst, keine Szene zu machen, darfst du dir einen Lolli aussuchen" (es muss dann aber auch bei einem bleiben).
Mit einer Mischung aus Verzweiflung, Verhandlungen, Vermeidungsstrategien, Nachgeben und Durchhalten haben auch mein Sohn und ich die schwierige Autonomiephase überstanden. Vor allem, weil wir doch immer wieder zusammenfanden. Wir konnten uns prima wieder vertragen, zeigen, dass wir uns trotzdem lieb haben, Tränen trocknen, in den Arm nehmen, loben und uns zusammen freuen, wenn das Gefühlsgewitter endlich wieder abgezogen war.
Umgang mit dem kleinen Trotzkopf: Was ihr unbedingt vermeiden solltet
Schreien oder bestrafen. Auch wenn Eltern am Rand eines Nervenzusammenbruchs sind, sollten sie sich in guten Momenten fest vornehmen, diese Dinge unbedingt zu vermeiden:
Zurückschreien. Selbst wenn Müttern und Vätern häufig danach ist, müssen sie den Impuls unterdrücken. Es macht die Sache nämlich nur noch schlimmer.
Schlagen oder Schütteln. Ist ohnehin in der Erziehung tabu. Sogar wenn Zweijährige ihre Eltern körperlich angreifen, dürfen die nicht zurückschlagen. Sie müssen sich aber auch nicht hauen lassen, sondern sollten das Kind mit Worten oder mit Festhalten in seine Schranken weisen.
Absurde Strafen androhen. "Wenn du nicht aufhörst zu schreien … nehme ich deinen Teddy für immer weg, hole ich die Polizei, bekommst du nichts zu essen, darfst du morgen nicht mit zur Oma." Erwachsene dürfen nicht mit Strafen drohen, die nichts mit der Tat zu tun haben und die sie sowieso nicht einhalten werden.
Aussperren. Der kleine Trotzkopf muss in den Keller, vor die Haustür oder ins Badezimmer, bis er sich beruhigt hat? So etwas erniedrigt Kinder enorm und schürt neue Ängste. Manche Experten raten stattdessen zu einem "Wutwinkel" in der Wohnung. Das kann eine Ecke mit Kissen sein, in der das Kind sich nicht verletzen kann. Dort kann die Wut rausgelassen werden (immer in Sichtweite der Eltern), bis der Sturm vorüber ist.
Liebesentzug. "Mama/Papa hat dich nicht mehr lieb, wenn du so böse bist." Eltern sollten sich solche Sätze verkneifen. Sie können zwar das Verhalten des Kindes kritisieren, aber nicht die Person. Außerdem müssen sie sich immer wieder ins Gedächtnis rufen: Ein Kind trotzt nicht, weil es böse ist.
Kumpel und Erzieher: Beide Eltern müssen beides sein
Es ist leicht, sich beim Kind beliebt zu machen, indem man alles erlaubt und ein lustiger Spielgefährte ist. Den undankbaren Teil des Spielverderbers, der die Pflichten vom Anziehen bis zum Zähneputzen übernimmt, bekommt dann der Partner oder die Partnerin (meistens ist es die Mutter). Um Gerechtigkeit in der Familie zu schaffen, sollten Mütter und Väter die Aufgaben fair teilen. Jeder darf mal der freundliche Kumpel sein, muss aber auch mal die lästigen Pflichten übernehmen.
Regeln geben kleinen Trotzköpfen Sicherheit. Ausnahmen sind mit Erklärung okay
Vor allem in der Trotzphase sollte Erziehung so konsequent wie möglich sein, damit die Kinder sich orientieren können und sich sicher fühlen. Darf ein Kind heute etwas, das morgen verboten und übermorgen wieder erlaubt ist, muss es immer wieder neu ausprobieren, wie die Eltern heute drauf sind. Das verzögert die wichtigen Lernprozesse. Faustregel: Unsere Regeln gelten immer. Nur wenn es einen guten Grund für Ausnahmen gibt, dürfen die gemacht, müssen aber erklärt werden.
Manchmal braucht ein kleiner Trotzkopf nur wenige Worte
Lange Erklärungen verhallen meist ungehört. Auch wenn Eltern ihr Kind mehrfach anflehen ("Bitte hör mir zu"), stoßen sie auf scheinbar taube Ohren, solange das Kleine wütet. Stattdessen sind wenige Worte meist wirkungsvoller: "Nicht treten, nicht hauen" Die Botschaft lautet: "Es geht nur um die Taten, nicht um die Wut. Denn die ist in Ordnung. Nur der Weg, sie zu zeigen, bringt dich nicht weiter."
Buch-Tipp

Viele praktische Tipps für einen stressfreien Alltag mit kleinen Trotzköpfen gibt das Buch von Annette Kast-Zahn: "Gelassen durch die Trotzphase", GU, 12,99 Euro.