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Kinder und die Delta-Variante
07. September 2021: Bislang waren Kinder zwar von Covid19-Erkrankungen betroffen, litten jedoch nur selten unter schweren Verläufen. Nach den Schul- und Kitaferien fragen sich nun viele Eltern: Wie gefährdet sind unsere Kinder?
Generell infizieren sich durch die höhere Übertragbarkeit der Delta-Variante in kürzerer Zeit 30 bis 40 Prozent mehr Menschen im Vergleich zu anderen Mutanten. Anders als im letzten Herbst sind nun vor allem Kinder und junge Erwachsene betroffen. Der Grund ist einfach: Sie sind noch nicht oder nicht vollständig geimpft, während viele Erwachsene bereits wieder deutlich mehr Kontakte haben als im Vorjahr um diese Zeit. Allerdings, so Jörg Dötsch, Direktor der Kinderklinik Köln, ist die Hospitalisierung unter Kindern nach wie vor sehr gering. Von schweren Verläufen betroffen sind vor allem Kinder mit Adipositas oder Multisystem-Erkrankungen wie Trisomie21.
Ist die Durchseuchung von Kita- und Grundschulkindern sinnvoll?
Auf keinen Fall, so Dötsch, denn selbst wenn sich nicht alle Kinder anstecken würden: Dass ein Kind an oder mit Corona stirbt, ist nicht augeschlossen – und jeder einzelne Todesfall ist zu vermeiden.
Um eine Durchseuchung zu verhindern, stehen maßgeblich die Erwachsenen in der Verantwortung: Nur wenn diese sich weiterhin rücksichtsvoll verhalten und Hygiene-Vorschriften ernst nehmen, können Kinder, die noch zu jung für eine Impfung sind, geschützt werden.
Sind neue Kita- und Schulschließungen im Falle weiter steigener Infektionszahlen sinnvoll?
Die derzeit größte Gefahr für Kinder sieht Dötsch nicht in Covid, wenngleich das Virus weiterhin ernst zu nehmen ist, sondern in Begleiterscheinungen wie Depressionen, Angststörungen und Missbrauchsfällen bei Kindern. Die Zahlen steigen alarmierend und die Dunkelziffer dürfte noch um ein Vielfaches höher liegen.
Oberstes Ziel in diesem Herbst und Winter muss es deshalb sein, dass Kinder so wenig wie möglich in Quarantäne gehen müssen. Schul- und Kitaschließungen dürfen nur das allerletzte Mittel der Wahl sein, vorher müssen alle anderen Bereiche des öffentlichen Lebens wieder eingeschränkt werden. So die Meinung eines Arztes – was die Politik daraus macht, bleibt abzuwarten.
Mai 2021: Im ersten Pandemie-Jahr machte Covid-19 den meisten von uns zumindest in Bezug auf unsere Kinder wenig Sorgen: Der Urtyp des Virus verschonte die Kleinen, viele Infizierte blieben symptomfrei. Spätestens mit der britischen Mutante B.1.1.7, die sich schneller verbreitet und in Deutschland inzwischen die vorherrschende ist, hat sich das geändert: Zum einen sind immer mehr Kinder betroffen, zum anderen gibt es auch deutlich schwerere Verläufe – und das nicht nur bei kleinen Risikopatienten, die an Lungenvorerkrankungen, einer geschwächten Immunabwehr oder anderen chronischen Krankheiten leiden. "Kinder haben seltener schwere Verläufe als Erwachsene", beruhigt Dr. Folke Brinkmann vom Katholischen Klinikum Bochum. "Bei den Erwachsenen benötigen zehn Prozent eine Hospitalisierung, bei den Kindern sind es nur ein bis zwei Prozent. Allerdings gibt es tatsächlich auch bei Kindern schwere Verläufe mit einzelnen Todesfällen."
PIMS als Folge einer Corona-Infektion
Darüber hinaus beobachten die Mediziner eine seltene, aber besonders tückische Folgeerkrankung, die oft erst Wochen nach einer teils milden oder gar nicht erkannten Corona-Infektion auftritt: PIMS (Pediatric Inflammatory Multisystem Syndrome) ist eine starke Immunreaktion, bei der sich Organe und Blutgefäße lebensbedrohlich entzünden können. "Bei uns in der Klinik waren gerade erst zwei Kinder, die nach einer starken Überreaktion des Immunsystems auf die Intensivstation verlegt werden mussten", erklärt Sibylle Mottl-Link. "Sie haben überlebt, aber bei einem der beiden bleiben schwerwiegende Schäden am Herzen mit Folgen für sein restliches Leben." PIMS-Fälle gab es bei Kindern in Deutschland bislang zwar erst rund 300 – doch auch unabhängig davon beobachten Mediziner zunehmend Spätfolgen wie Kurzatmigkeit oder ständige Müdigkeit bei Kindern und Jugendlichen, auch nach eigentlich milden Verläufen. Das Astrid-Lindgren-Kinderkrankenhaus in Stockholm zählt zu den ersten weltweit mit einer Langzeit-Covid-Abteilung für Kinder – für die, die nach einer Corona-Infektion nicht mehr richtig gesund werden.
Die Risiken abseits der Kinder-Intensivstation
Diese dramatischen Fälle sind zwar zum Glück nicht nur in Schweden, sondern weltweit in der Minderheit, dennoch: Selbst wenn unsere Kinder nicht krank werden, besteht doch die Gefahr, dass sie das Virus auch in die Familie tragen und dort Geschwister, Eltern oder Großeltern anstecken. Zumindest in den Phasen, in denen die Kitas und Schulen geöffnet haben und die Kinder deutlich mehr Kontakt zu anderen Menschen haben, als das bei uns Erwachsenen der Fall ist.
Jedes dritte Kind hat psychische Auffälligkeiten
Laut einer Studie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf leidet inzwischen fast jedes dritte Kind unter psychischen Auffälligkeiten. Sorgen und Ängste haben noch einmal zugenommen, auch depressive Symptome und psychosomatische Beschwerden wie Kopfschmerzen sind verstärkt zu beobachten. Besonders stark leiden Kinder aus "sozial benachteiligten" Familien. Studienleiterin Ulrike Ravens-Sieberer sieht deshalb vor allem die Schulen und Kitas in der Verantwortung. Sie müssten regelmäßig Kontakt zu den Kindern halten und ihnen dadurch Wertschätzung und Aufmerksamkeit entgegenbringen. Sonst bestehe die Gefahr, dass vor allem Kinder aus Risikofamilien ihre Motivation und Lernfreude verlieren. Gerade für sie wäre eine Rückkehr in den Alltag wichtig.
Leider haben die Kultusministerien auch nach über einem Jahr Pandemie ihre Hausaufgaben nicht gemacht. Drastisch ausgedrückt: Jeder Friseurladen hat heute ein besseres Hygienekonzept als Kitas und Schulen. Für Krippen und Kindergärten gibt es noch immer kein flächendeckendes Testkonzept – und weil die Kleinen keine Schutzmasken tragen, kommt es in Zeiten der Öffnungen in vielen der 56000 Kitas in Deutschland vermehrt zu Covid-19-Ausbrüchen. Und auch in den Schulen herrscht Chaos: In weiten Teilen Deutschlands stehen den Schülern zwar inzwischen zwei Tests pro Woche zur Verfügung, dafür funktionieren die Konzepte zur Reduzierung der Kontakte vielerorts nicht: Zu wenig Personal und fehlende Gelder für die Notbetreuung sorgen dafür, dass die Klassen trotz des Wechselmodells doch wieder durchmischt werden.
Bessere Konzepte und rasche Impfungen
Klar ist: Kinder und Jugendliche brauchen soziale Kontakte, Bildung und leider teils auch Schutz vor ihren Eltern. Deshalb gibt es kaum eine Alternative zu Öffnungen – allerdings mit Bedacht und deutlich besseren Konzepten. Einen wichtigen Teil können die noch laufenden Impfungen für Erzieher und Lehrkräfte beigetragen, gleichsam gilt natürlich auch ein höheres Impftempo für den Rest der Bevölkerung – inklusive unseres Nachwuchses.
"Eine Impfung von Kindern und Jugendlichen ist auch zusätzlich zum Gedanken der schnelleren Erlangung einer Herdenimmunität für den individuellen Schutz sinnvoll“, sagt Folke Brinkmann. Ähnlich sieht es auch Sibylle Mottl-Link: "Die Impfung der Kinder ist ein wichtiger Baustein für die endgültige Rückkehr zur Normalität." Erste Impfstoffhersteller liefern zwar bereits vielversprechende Studienergebnisse mit hohem Infektionsschutz und guter Verträglichkeit. Mit der Zulassung eines Kinderimpfstoffes in Deutschland rechnen Experten aber erst in ein paar Monaten.
Corona-Antikörper für Babys
Schwangere und stillende Frauen geben laut einer neuen US-Studie nach einer Corona-Impfung Antikörper an ihr Baby weiter – schon im Körper und über die Muttermilch. Außerdem führt eine Impfung bei ihnen "hochwirksam" zur Bildung von Antikörpern. Auch Nebenwirkungen zeigten sich kaum. Forscher der Harvard University und dem General Hospital in Boston hatten den Corona-Impfstoff von Biontech und Pfizer insgesamt an 131 Frauen getestet – 84 schwanger, 31 stillend und 16 weder noch. Sie bewerten ihre Ergebnisse als "sehr ermutigend" für schwangere und stillende Frauen. In Deutschland empfiehlt die Ständige Impfkommission (STIKO) die Impfung für Schwangere "derzeit nicht", die Datenlage sei nicht ausreichend. Dafür können sich zwei enge Kontaktpersonen priorisiert impfen lassen.
Autor: Birk Grüling