Diese Knetfiguren könnten von unserer Autorin aus der Eingewöhnungszeit stammen. © Getty Images
Diese Knetfiguren könnten von unserer Autorin aus der Eingewöhnungszeit stammen.

Irgendwo habe ich mal gelesen, dass der Besuch einer Kita für Kinder genau so anstrengend sein soll wie ein Zehn-Stunden-Tag eines Top-Managers. Das würde ich sofort unterschreiben, nachdem ich meinen Sohn in den vergangenen Wochen in seinen neuen Kindergarten eingewöhnt habe.

Eigentlich finde ich es ja schön, dass man zu Beginn so viele Einblicke bekommt: Man lernt die Erzieherinnen kennen, die anderen Kinder, Spiele, Lieder und bekommt obendrauf auch noch Essens- und Bastelideen. Beim täglichen Hinbringen und Abholen bleibt häufig ja nur Zeit für ein kurzes Tür-und-Angel-Gespräch, wenn überhaupt.

Doch dann kam dieser eine Tag während der Eingewöhnung, an dem ich einfach nur nach Hause und meine Ruhe wollte ...

Es war ein Dienstag. Waldtag.

Nach dem Frühstück schwirren die Kids durch die Garderobe. Sechs von 13 Kindern sind nicht eingecremt. In Hamburg ist für die ganze Woche Bombenwetter angesagt, jeden Tag über 30 Grad. Dienstags geht die Gruppe immer raus. Warum Eltern ihre Kinder an so einem Tag uneingecremt in die Kita bringen, ist mir ein Rätsel. Sechs Kinder einzucremen dauert. Besonders, wenn sie dabei hin- und herflitzen und keine Lust auf Sonnencreme haben. David* hat keinen Sonnenhut, die Erzieherin besorgt auf die Schnelle ein Cap. Das will er aber nicht aufsetzen und beginnt zu weinen. Olivia* kann ihre Schuhe nicht anziehen, wirft sie in die Ecke und schmollt. Der Geräuschpegel schmerzt in meinen Ohren. Es sind gefühlte 50 Grad in der Kita. Ich hocke mit Maske auf der Bank und hoffe, dass es gleich in den Wald geht. 

Kids, die fertig sind, dürfen sich bereits auf die Treppe setzen. Ich warte dort zusammen mit einer anderen Mutter, die sich ebenfalls mit ihrem Sohn in der Eingewöhnung befindet. Sie schaut sich hektisch um und raunt mir zu: "Die sind doch zu dritt. Wieso dauert das so lange?" Ich finde sie auf Anhieb unsympathisch, nicke nur kurz und wende mich von ihr ab. Ihr Sohn war übrigens auch nicht eingecremt ...

Der Weg in den Wald ist schön

Frische Luft durchströmt mein Hirn und lässt den klopfenden Kopfschmerz hinter der linken Schläfe allmählich verblassen. Die andere Mutter versucht ihren Sohn unentwegt einer Erzieherin an die Hand zu geben. Dann versteckt sie sich hinter Bäumen. Die anderen Kids deuten dieses Verhalten als Versteckspiel und verraten sie natürlich prompt, sobald der Kleine seine Mama sucht. Ich frage mich, wie groß ihr Druck sein muss, dass sie hier so eine Show abzieht?

Mein Sohn klebt indes an mir und macht nur wenig Anstalten, die Lichtung, auf der wir uns nun befinden, ohne mich zu entdecken. Ich versuche immer mal wieder, mich ein kleines Stück von ihm wegzubewegen, werde aber jedes Mal prompt von der kleinen Ines* in Beschlag genommen, die direkt beschließt "Du bist jetzt meine neue Mama" und mir ein Kotelett ans Ohr quatscht. Ich versuche immer wieder, ihr nett zu erklären, dass ich mich ein wenig zurückziehen möchte, damit mein Sohn mit den anderen Kindern spielt. Interessiert sie null. Also ignoriere ich sie, woraufhin sie sich vor mich stellt und mit erhobener Stimme sagt: "Also, jetzt hör mir mal zu ...!" Ich falle ihr ins Wort und zische sie an: "Ne, jetzt hörst du mir mal zu. Ich bin nicht deine Mama, ich bin nicht deine Erzieherin und ich will auch nicht mit dir spielen. Los Abflug!" Sie schaut irritiert und trottet zu den anderen Kindern. Ich fühle mich kurz schlecht, habe dann aber zumindest wieder Zeit, mich um die Eingewöhnung meines Sohns zu kümmern. 

Der Rückweg aus dem Wald ist weniger schön

Soraya* möchte unbedingt mit Judith Hand-in-Hand-Gehen. Das findet die aber total doof. Als sie sich losreißt, fällt Soraya aufs Knie und bekommt den schlimmsten Tobsuchtsanfall, den ich je erlebt habe. Erst weint sie bittere Tränen und beschwert sich, wie gemein alle zu ihr sind. Als sie endlich wieder laufen kann (das Knie ist nicht einmal aufgeschürft), will sie Judiths Kleid haben. Dann entdeckt sie einen Hund und will den haben. Als ein Flugzeug über unsere Köpfe hinwegfliegt, will sie das natürlich haben. Das sagt sie aber nicht einfach nur, sie brüllt es. So geht es den gesamten Rückweg.

Kurz vor der Kita laufen wir dann zu allem Überfuss auch noch Sorayas Mutter über den Weg, die um die Ecke arbeitet. Als sie ihr immer noch weinendes Kind sieht, stürzt sie auf die Gruppe zu und will ihr eine Wasserflasche geben. "Sie hat bestimmt Durst, bei diesen Temperaturen. Hat sie genug getrunken?" Eine der Erzieherinnen winkt ab: "Ja, hat sie. Bitte geh weiter. Das hilft jetzt wirklich nicht." Soraya weint jetzt nicht mehr nur, sie schreit: "Ich will zu meiner Mama!" Kurz vorm Eingang nutzt die Eingewöhnungs-Mutter Nummer 2 ihre Chance, drückt der Erzieherin ihren Sohn in den Arm und rennt um die Ecke. Ich bin zu diesem Zeitpunkt einfach nur genervt und frage mich, wie die Erzieherinnen so ruhig bleiben können. Respekt! 

Zurück im Kindergarten

In der Garderobe ist Sorayas Platz direkt neben dem Platz meines Sohnes. Alle Kids ziehen ihre Schuhe und Sonnenhüte aus, Soraya legt ihren Wäschebeutel neben mich und sagt mit jaulender Stimme: "Ich will einen Pullover." Ich erkläre ihr, dass es dafür viel zu warm ist. "Ich will einen Pulloooooooover." Ich ignoriere sie. "Ich will einen Pulloooooooover." Ich sage: "Super Idee bei 35 Grad." Ob sie wohl Ironie versteht? Dann fängt sie an, mich mit ihrem Finger ins Bein zu pieken. Immer und immer wieder. "Ich will jetzt einen Pullooooover!" 

Ich muss hier weg. Das macht mich wahnsinnig! Ich schnappe mir meinen Sohn, gehe mit ihm Händewaschen und setze ihn an den Mittagstisch. Ein kurzer Versuch mich zurückzuziehen scheitert natürlich. Also sitze ich auf einem Hocker gleich neben dem Mittagstisch. Und wer setzt sich direkt neben meinen Sohn? Soraya! Ich glaube kurz, dass das hier bestimmt "Versteckte Kamera" ist. Um den Eltern mal zu zeigen, wie hart so ein Tag im Kindergarten sein kann. "Kommt gerne raus – war bestimmt lustig für euch!" Es kommt aber keiner ... leider!

Stattdessen bekommt Soraya einen Klacks Erbsensuppe auf ihren Teller, den sie vehement von sich schiebt. "Das esse ich nicht! Der Teller soll weg!" Die Erzieherin sagt: "Du musst das nicht essen, Soraya. Lass den Teller einfach stehen, bis alle fertig sind." Soraya dreht sich in meine Richtung: "Ich esse das nicht!" Ich nicke und schaue weg. Das reicht ihr aber nicht. Denn jetzt fällt ihr ein, dass sie Nudeln will. Also jault sie mich an: "Ich will Nuuuuuuuudeln! Ich will Nuuuuuuudeln!" Immer und immer wieder. Hat dieses Kind keinen Aus-Schalter? Nervt die sich nicht selber?

Ich habe Kopfschmerzen, ich bin genervt, ich will hier einfach nur noch raus! Mein Sohn ist auch sichtlich irritiert. Er fragt mich: "Mama, warum macht das Mädchen so komische Geräusche?" "Weil sie scheiß Nuuuuuuudeln will", schießt es mir durch den Kopf. Stattdessen sage ich mit ruhiger Stimme: "Ich glaube, sie mag ihre Erbsensuppe nicht. Aber die ist doch bestimmt total lecker, oder?" 

Nach dem Mittagessen bastelt mein Sohn eine Sonnenblume mit einer der Erzieherinnen, sodass ich mich tatsächlich kurz mal ohne ihn in die Garderobe zurückziehen kann. Mein Puls, der mindestens auf 180 war, beginnt gerade, sich zu beruhigen, da stürmt die andere Mama herein. Sie luschert in den Gruppenraum, sieht ihren Sohn dort spielen und jauchzt mir zu: "Hach, ich bin so glücklich, ihn so zu sehen. Mir fällt gerade ein Stein vom Herzen, dass die Trennung so gut geklappt hat." Emphatie ist offensichtlich nicht ihre größte Stärke. Ich sage stumpf. "Schön für dich" und merke, wie ich allmählich heulig werde. Natürlich quasselt sie einfach weiter und erzählt, wie wichtig es ist, dass ihr Sohn lernt, schnell allein im Kindergarten zu bleiben. Mein Sohn ist fertig mit Basteln. Eigentlich hätten wir heute noch ein wenig länger bleiben sollen, aber mir reicht es für heute. Ich muss hier raus! Und zwar genau jetzt! Ich ziehe ihn an, bedanke und verabschiede mich kurz bei den Erzieherinnen und lasse meinen Tränen freien Lauf, als wir nach Hause radeln. 

Zu Hause mache ich meinem Sohn eine Folge "Peppa Wutz" auf dem Ipad an, kuschel mich mit ihm ins Bett und mache die Augen zu. Ich muss an Tage denken, an denen ich ihn aus der Krippe abgeholt habe und enttäuscht war, wenn er keine Lust hatte, auf den Spielplatz zu gehen oder Freunde zu treffen. Und das, obwohl ich mir extra Gedanken um coole Ausflüge gemacht oder Playdates für den Nachmittag organisiert hatte. Ich muss daran denken, wie oft ich genervt war, wenn er nach der Kita nur sehr einsilbig geantwortet hat, wenn ich wissen wollte, wie sein Vormittag war.

Und nun liege ich neben ihm im Bett und verstehe, wie anstrengend so ein Tag in der Kita sein kann. Es sind eben nicht nur fünf oder sechs Stunden Spielen mit anderen Kindern. Es ist der Geräuschpegel, wenn zehn bis zwanzig Kinder toben, lachen, quatschen, weinen oder auch mal schreien. Es sind die ganzen Regeln, an die man sich halten muss. Die vielen neuen Eindrücke und Erlebnisse ... 

Mein Sohn ist mittlerweile übrigens super in der Kita angekommen und fühlt sich dort pudelwohl. Und ich habe aus der Eingewöhnung zwei Erkenntnisse gewonnen: 

  1. Ich habe noch mehr Verständnis, wenn mein Sohn nach einem Vormittag in der Kita kaputt ist und sich ein wenig Ruhe statt Action wünscht. 
  2. Ich wäre keine gute Erzieherin, bin aber umso dankbarer, dass es tolle Menschen gibt, die ihren Job mit so viel Geduld und Liebe machen.

* Alle Namen der Kinder sind frei erfunden. 

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