Elternkurse für mehr Online-Sicherheit

Online-Erziehung: Hilfe, mein Kind ist im Internet!

"YouTube"-Videos und Kinder-Apps für Kleinkinder, Social-Media-Accounts und Online-Games für Grundschüler: Welche Gefahren drohen wirklich im Internet? Leonie Lutz wollte es genau wissen. Sie meldete sich auf zahlreichen Plattformen an – mit dem Profil eines Kindes. Heute bietet sie Kurse an, die alle Eltern zu Online-Experten machen.

Online-Erziehung ist wichtig, denn: Kinder kommen immer früher in den Kontakt mit dem Internet. © Foto: Getty Images/Thanasis Zovoilis
Online-Erziehung ist wichtig, denn: Kinder kommen immer früher in den Kontakt mit dem Internet.

Liebe Leonie, sind die Grundregeln und Gefahren des Internets nicht längst allen Eltern bekannt? Wir brauchen ja auch keine Kurse, in denen uns erklärt wird, warum unsere Kinder nicht zu Fremden ins Auto steigen sollten.

Leonie Lutz: Nun, wenn du möchtest, dass dein Kind Schwimmen lernt, wirfst du es nicht einfach ins Wasser und sagst: Schwimm mal! Im Gegenteil: Du buchst einen Schwimmkurs, damit dein Kind begleitet und geschützt lernt. Und um auf das Beispiel mit dem Auto zurückzukommen: Im Straßenverkehr gibt es Regeln, die Straßenverkehrsordnung. Regeln, die du deinem Kind beibringst, und Regeln, an die sich alle halten. Auch wenn mal jemand die Regeln bricht, befindet sich dein Kind zunächst einmal in einem geschützten Raum, durch Bürgersteige, Fahrradwege, Ampeln. Im Netz ist das nicht gegeben. Da kannst du dich an die Regeln halten, aber andere tun es einfach nicht. Weil sie sich anonym bewegen, als wären sie in einem rechtsfreien Raum. Deshalb kläre ich in meinen Kursen Eltern nicht nur über die Stolpersteine, also Gefahren, auf. Ich gebe Lösungswege an die Hand und Ideen für einen entspannten Familienalltag, trotz Tablets oder Smartphones. Sich nicht mit Fremden auszutauschen, ist natürlich einer von vielen Tipps. Aber sobald Kinder in einem Onlinespiel mehrmals gegen ein und denselben Gegner virtuell spielen, empfinden sie den Mitspieler irgendwann nicht mehr als fremd. Und dann braucht es altersgerechte Aufklärung durch die Eltern, weil die Mechanismen ganz viele Facetten haben. 

Du bietest auch einen Kurs für Eltern von Kita-Kindern und Vorschülern an. Warum benötigen auch sie schon deine Informationen? 

Gewiss sind jüngere Kinder vor gewissen Gefahren geschützt, weil sie weder eine Schreib- noch eine Lesekompetenz haben. Das kann ihnen aber auch zum Verhängnis werden, weil diese Kinder zum Beispiel bei "YouTube" nach Vorschaubildern entscheiden. Ich habe in meiner Recherche massiv verstörende, gewalttätige und auch rassistische "YouTube"-Videos für Kinder gefunden. Im Kurs für Eltern von Kleinkindern geht es also vielmehr darum, wo sich Kinder im Netz sicherer bewegen können, welche Apps auch pädagogisch wertvoll sind und wie man Kleinkinder für Werbung sensibilisiert. 

Als "MySpace", "StudiVZ" und Facebook auf der Bildfläche erschienen, haben die Kids sich da reingefuchst, ohne digital begleitet zu werden. Warum brauchen unsere Kinder heute unsere Hilfe, wenn sie sich bei "TikTok", Instagram oder Snapchat zurechtfinden wollen?

Kinder fuchsen sich da unverändert rein. Verändert hat sich, dass Eltern die Apps nicht mehr kennen, und somit nicht als Ansprechpartner von ihren Kindern wahrgenommen werden. Und genau das ist eine berechtigte Sorge, Eltern wollen ja ihren Kindern beistehen und vermitteln: Egal was dir passiert, egal was du erlebst, du kannst es mir erzählen. Wenn Eltern wissen, was online wirklich abgeht, haben sie nicht irgendwann einen Teenie vor sich sitzen, der sagt: "Ihr habt doch eh keine Ahnung!"

Wie intensiv müssen wir Eltern uns mit diesen Apps auseinandersetzen, um unseren Kindern wirklich eine Hilfe und Stütze sein zu können?

Wenn ich die Grundmechanismen kenne, ist das schon viel wert. Und wenn ich weiß, wo ich die Sicherheitseinstellungen in der App für mein Kind vornehmen kann, noch besser. Die ganze Sache aber auch aus der Perspektive meines Kindes zu sehen, Spiele-Apps und ihre Faszination zu verstehen, das halte ich für wichtig. Dazu braucht es nicht überall eigene Accounts, aber Wissen und Interesse. 

Fast jedes zweite Grundschulkind ist online

40 Prozent der in Deutschland lebenden Kinder von sechs bis 13 Jahren nutzen das Internet täglich, 41 Prozent ein- oder mehrmals die Woche. Das geht aus der KIM-Studie des Medienpädagogischen Forschungsverbunds Südwest hervor (KIM steht für Kinder, Internet, Medien). Eine aktuelle österreichische Umfrage der Initiative Saferinternet.at aus dem Februar 2020 zeigt, dass auch die Kleinsten schon regelmäßige digitale Mediengeräte nutzen: 72 Prozent der befragten Eltern von 0- bis 6-Jährigen gaben an, dass ihre Kinder digitale Medien nutzen dürften, ein Viertel davon täglich.

Ein unvorteilhaftes Foto, ein verletzender Kommentar – diese Dinge haben selbst wir Erwachsenen vermutlich alle schon einmal erlebt. Doch welche "worst cases" sind dir während deiner Recherche und deiner Arbeit bereits begegnet? 

Ich recherchiere auf den gängigen Plattformen auch mit Accounts, in denen ich mich als Kind ausgebe. In der Regel dauert es keine 20 Minuten, da werden mir pornografische Selfies und Videos von Männern geschickt. Pornografie aber sollte Kindern nicht begegnen müssen, schon gar nicht, wenn sie gerade erst ein Smartphone bekommen haben und mit zehn, elf oder zwölf Jahren noch nicht richtig damit umgehen können. 

Umso wichtiger also, die Sicherheitseinstellungen zu kennen – damit man ungebetene Nachrichten gar nicht erst erhält. In deinen Kursen geht es aber auch um Kostenfallen. Ist man da nicht auf der sicheren Seite, weil Kinder nicht geschäftsfähig sind?

Es gibt einen Präzedenzfall, da hat sich eine Familie an den Verbraucherschutz gewandt, nachdem die Tochter 1.400 Euro in einem Online-Spiel ausgegeben hatte. Hier zeigte sich Google kulant und übernahm den Großteil der Kosten. Kinder sind je nach Alter und juristischer Lage nicht geschäftsfähig, viele Eltern scheuen aber den bürokratischen Aufwand und bezahlen einfach. Ich empfehle unbedingt, beim Mobilfunkanbieter eine Drittanbietersperre einzurichten, dann kann es so weit gar nicht kommen.

Was sind In-App-Käufe?

Download und Nutzung sind zwar oft kostenlos, viele Apps können aber dennoch ins Geld gehen: Upgrades in Spielen sowie Premium-Funktionen in bestimmten Applikationen lassen sich innerhalb der Anwendung kaufen. Bedenkliches Beispiel: Bei "TikTok" können Nutzerinnen und Nutzer ihre Idole auf sich aufmerksam machen, indem sie ihnen Geldgeschenke machen. Die "Coins" dafür werden mit realen Geldbeträgen zum Beispiel über die App Stores oder direkt über die Mobilfunkrechnung abgewickelt. Um solche Kostenfallen zu vermeiden, können Eltern In-App-Käufe durch entsprechende Einstellungen am Smartphone deaktivieren.

Das Interview führte Silke Schröckert

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