Die Befürchtungen waren riesig: Computerspiele könnten schädlich sein, Tablets das Lernen behindern. Insbesondere seit dem Durchbruch der Smartphones wird intensiv diskutiert, ob diese Geräte negative Auswirkungen auf das junge Gehirn haben. Denn schon viele Kleinkinder dürfen sich mit den Smartphones und Tablets ihrer Eltern beschäftigen, bei Grundschülern nutzen in Deutschland bereits zehn bis 25 Prozent solche Geräte.
Schreibschrift wird in Finnland an den Schulen abgeschafft
In den USA ist seit 2010 das Schreiben mit der Tastatur schon in der Grundschule vorgesehen. In Finnland wird die Schreibschrift Ende dieses Jahres ganz aus den Lehrplänen verbannt. Nur eine einfache Druckschrift soll noch vermittelt werden.
Nach Meinung vieler Experten verkennen diese Ansätze die Komplexität des Schreibenlernens und seine Bedeutung für die kognitive Entwicklung von Kindern. Welche Konsequenzen hat es also, wenn Kinder eher lernen, mit dem Drücken auf Tasten zu schreiben als mit einem Stift auf Papier? In der Grundschule stehen sie vor etlichen Entwicklungsschritten, die auf dem bereits Erreichten aufbauen. Dabei verändern sich die Verknüpfungen der Nervenzellen in ihren Gehirnen, und was sich dabei herausbildet, stellt die Grundlage dar für die sich anschließende Hirnentwicklung.
Der Leseschaltkreis des Hirns ist nicht digital geprägt
Da einmal Gelerntes sich in den Hirnschaltkreisen manifestiert, wird es schwierig, später wieder davon abzuweichen. Wer etwas nicht gelernt hat, dem fällt es mit der Zeit immer schwerer, es nachzuholen. Das alles gilt auch für das Lesen und Schreiben – Kompetenzen, auf die die Evolution unser Gehirn nicht vorbereitet hat.
Der "Leseschaltkreis" im Gehirn hat sich bei jedem Kind individuell durch Umwelteinflüsse herausgebildet. Jedes Defizit in ihrer Entwicklung oder Koordination kann zu Problemen bei der Entwicklung des Lesens führen, wissen Experten. Es ist deshalb wichtig, wie Kindern diese Fähigkeiten vermittelt werden. Gerade die Lese- und Schreibfähigkeit sei die grundlegende Voraussetzung des selbstständigen Lernens – was wiederum hilft, zu lernen, selbstständig zu sein.
Der Stift fordert das Gehirn viel stärker als der Touchscreen
Entscheidend ist dabei, wie sehr sich das Tippen oder Wischen auf den Geräten vom Schreiben mit der Hand unterscheidet. Es kommt dabei zu sehr unterschiedlichen kognitiven Prozessen. Das Tippen ist eine einfache Bewegung, die Handlung mit dem Finger und das Ergebnis auf dem Bildschirm hängen nicht unmittelbar zusammen.
Wird der Buchstabe dagegen mit einem Stift erzeugt, so muss er aus dem Gedächtnis heraus auf die richtige Weise gezeichnet werden. Natürlich ist dabei der Anspruch größer und die visuelle, sensomotorische und kognitive Leistung des Gehirns höher: Die Hand führt den Stift, während das Auge kontrolliert. Das findet in dem Bewusstsein statt, dass das Ergebnis nicht einfach gelöscht und ausgebessert werden kann. Es ist wichtiger, Fehler zu vermeiden, da ihre Korrektur einen höheren Aufwand bedeutet. Hinzu kommt, dass Kinder, die einen Buchstaben Strich für Strich üben, lernen, dass viele Variationen immer voneinander zu unterscheiden sind. So verstehen sie schon sehr früh das Prinzip von Kategorien.
Verlierer waren bei Tests in Ulm eindeutig die Tasten-Probanden
Ein weiterer Unterschied bezieht sich auf die Tätigkeit des Schreibens selbst, etwa um eine Idee festzuhalten. Das Schreiben mit dem Stift funktioniert nur mit einer Hand. Getippt wird mit beiden Händen, das geht schneller. Deshalb hat das Gehirn während des Tippens weniger Zeit, beim Schreiben zu reflektieren, was notiert wird, und die Informationen im Gedächtnis abzuspeichern.
"Mit der Handschrift forme ich dagegen den Gehalt eines Buchstabens", erläutert Psychologe Professor Dr. Markus Kiefer vom Transferzentrum für Neurowissenschaften der Uni Ulm den Unterschied. Im Auftrag des Schreibwarenherstellers Staedtler untersucht er die Folgen eines möglichen Ausstiegs aus der Schreibschrift. Es gehe um mehr als nur um den Erhalt einer überlieferten Kultur. Jeder per Hand geschriebene Buchstabe hinterlässt nach Ansicht des Ulmer Forschers eine "motorische Gedächtnisspur". In einer Vorstudie hatten die Forscher Grundschüler in Ulm vier Wochen lang durchgehend untersucht: Sie teilten die Kinder in zwei Gruppen ein – eine sollte per Tastendruck Buchstaben lernen, die andere Gruppe nahm einen Stift in die Hand. Verlierer waren dabei eindeutig die Tasten-Probanden. Bei den Handschreibern fanden die Tester heraus, dass sie Buchstaben besser erkennen konnten, und es wurde bei dieser Gruppe über Sensoren "eine höhere Aktivität der Gehirnareale" gemessen.
Kinder sind kreativer, wenn sie das Schreiben mit Stift lernen
Forscher in Seattle bestätigen dies mit ihren Studien, die bei Schülern in den Klassen 2 bis 5 deutlich unterschiedliche Hirnaktivität belegten – je nachdem, ob sie mit Stift oder Tastatur schrieben. Vor allem aber beobachteten die Wissenschaftler, dass Kinder mehr Wörter mit höherer Geschwindigkeit produzierten und mehr Ideen für Texte hatten, wenn sie mit dem Stift schrieben, als mit der Tastatur. Die Kreide und der Füller behalten also sicher weiter ihre Berechtigung in der Schule – und zu Hause.