Meinung

Genervt von der Vergleicheritis im letzten Kita-Jahr: "Also, meiner kann schon lesen!"

Der Sohn unserer Autorin kommt dieses Jahr in die Schule – und kann noch nicht lesen! Dabei ist das Wettrennen um sie herum schon längst im Gange: Wer hat noch vor der ersten Klasse sämtliche Grundschulkenntnisse drauf?

Ein kleiner Junge liegt in einer Bibliothek und liest Bücher. © iStock/Ulza
Ambitioniert: Wenn Kinder schon vor der Schule Lesen lernen? 

In letzter Zeit kommen immer häufiger Erinnerungen an das allererstes Babyjahr zurück. 2017, ich war gerade frischgebackene Mami, wurde ich häufiger Folgendes gefragt:

"Schläft er schon durch?"

"Krabbelt er denn schon?"

"Und hat er schon Zähnchen?"

"Ah, kann er noch nicht laufen?"

"Na, sagt er schon Mama?"

...

Und ich gebe zu: Auch ich habe solche Fragen gestellt. Irgendwie gehörte es ja auch zum guten Ton unter Pekip-Elternzeit-Coffee-to-go-Mamis dazu. Small Talk eben! Eigentlich auch nicht wild, wenn bei diesen Fragen nicht immer auch ein Hauch von Wettrennen mitschwingen würde: Wer ist das schnellste Baby, wer checkt alle Meilensteine der frühkindlichen Entwicklung ab – und setzt damit die anderen Eltern ein Stück weit unter Druck!? Dabei weiß man doch jetzt, rückblickend, mit ein paar Jahren im Rücken: Völliger Quatsch, diese Vergleicheritis! Es geht doch eh alles viel zu schnell. Plötzlich sind sie Kleinkind und dann, schwupps, gehen sie zur Schule.

Ja und dann ist es da schon wieder dieses latente Vergleichen unter Kindern, im letzten Kitajahr. Geht es nur mir so? Oder "battlen" sich Eltern von Vorschulkindern auch ganz gerne mal: Wer kann was als Erstes? 

Haben wir das wirklich nötig?

Letzte Woche auf dem Spielplatz. Die sehr nette Kita-Mama erzählt mir von zwei Kindern aus der Gruppe meines Sohnes, die bereits lesen können. "Und wie ist das bei euch so?" 

"Ähm, nein! Er kann noch nicht lesen", entgegne ich erstmal betont locker. Natürlich nicht! Mein Sohn ist fünf und Kitakind. Da muss er schließlich noch nicht lesen können. Und dennoch habe ich das Bedürfnis hinterherzuschieben: "Aber das Alphabet kann er natürlich rauf und runter. Und schreibt schon ganze Wörter. So süß! P-O-L-I-Z-E-I, M-A-M-A, P-A-P-A ..." Hm, hab ich das wirklich nötig, zu betonen, dass mein Kind nicht völlig unterbelichtet ist? Natürlich nicht!

Aber tatsächlich passiert es in letzter Zeit nicht selten, dass um uns herum mit dem Können der eigenen Vorschulkinder gern mal ein bisschen angegeben wird: "Ben liebt Zahlen, er kann schon sooo gut rechnen. Ben, was ist 42 + 21?" Oder: "Ihren Namen schreiben? Das konnte Carla schon mit drei Jahren!!! Ich diktiere ihr mittlerweile ganze Sätze." Oder auch: "Tom wollte sich U-N-B-E-D-I-N-G-T mit dieser App das Lesen beibringen! Nun hat er schon Erstklässler-Bücher zu Hause."

Erwischt ...!

Ich erwische mich dabei, bei Ebay Kleinanzeigen nach Vorschulbüchern zu recherchieren. Hat die Falle zugeschnappt!?

Versteht mich nicht falsch: Die meisten Kids haben wahnsinnig viel Spaß am Lernen haben – und das finde auch ich erstmal: großartig! Ja, das sollte man sogar nutzen und ihr Gehirn ordentlich füttern. Und schließlich gibt doch nicht Besseres, als wenn Schule auch noch Freude bringt. Ich bin davon überzeugt, dass die Grundlagen für die gesamte Schullaufbahn in den ersten Schuljahren gelegt werden. 

Vielleicht fühle ich mich auch deshalb ein bisschen unter Druck gesetzt: Es ist ja so: Wir wollen automatisch immer nur das Beste für unser Kind. Das ist bei Eltern fest einprogrammiert! Manchmal verwechseln wir das aber mit dem Besten von unserem Kind. Jeder und jede hat sein eigenes Tempo. Und das richtet sich eben nicht unbedingt nach meinen mütterlichen Ansprüchen, sondern viel eher nach dem ureigenen Setting, das die Kinder mitbringen. Ja, auch ich muss mich mal wieder daran erinnern, weniger nach links und rechts zu schauen und dafür geradeaus – auf mein eigenes Kind! 

Autorin: Linda Lange

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