
Sarah Wiener – zur Person
Zum professionellen Kochen kam Sarah Wiener (geboren 1962), die weder einen Schulabschluss noch eine Berufsausbildung besitzt, über die Arbeit im Berliner Lokal "Exil" ihres Vaters. Der Einstieg in ihr eigenes Unternehmen war 1990 die Gründung eines Catering-Services. 1999 folgte die Eröffnung ihres Restaurants "Das Speisezimmer" als erstem von mittlerweile drei gastronomischen Betrieben in Berlin. Einem breiten Publikum bekannt wurde Sarah Wiener durch ihre Kochsendungen "Die kulinarischen Abenteuer der Sarah Wiener" sowie "Sarah und die Küchenkinder" auf Arte. Wichtig ist ihr aber auch soziales Engagement, ganz besonders im Rahmen der 2007 gegründeten Sarah Wiener Stiftung "Für gesunde Kinder und was Vernünftiges zu essen", die vor allem Koch- und Ernährungskurse an Kitas und Schulen durchführt.
Juli 2012
Gibt es kulinarische Erinnerungen, die Sie mit Ihrer Kindheit verbinden?
Sarah Wiener: Meine Mutter war berufstätig und hatte drei Kinder. Deswegen habe ich mich zu einer Hälfte von Margarine-Broten mit Extrawurst ernährt. Ansonsten hat meine Mutter, die eine ausgezeichnete Köchin war, frisch gekocht. Denn ich hatte das Glück, dass in meiner Kindheit Grundnahrungsmittel viel billiger waren als Fertigprodukte. Das hat meine Geschmacksnerven geprägt.
Wann haben Sie angefangen, mehr Interesse am Essen zu entwickeln?
Ich habe mich schon immer für Lebensmittel und Essen interessiert und mit zwölf Jahren freiwillig meinen ersten Kochkurs an der Schule gemacht. Das Thema ging aber dann für Jahre verschütt, weil Köchin zu meiner Zeit ein unvorstellbarer Beruf war, der mit unemanzipierten Hausfrauen gleichgesetzt wurde. Deswegen war für mich klar: Kochen und Handarbeiten lerne ich nicht, genauso wenig wie Hauswirtschaften. Ich hätte nie damit gerechnet, dass ausgerechnet ich Jahrzehnte später sage, dass wir diese Fächer brauchen ...
... und dass Sie eine der erfolgreichsten Köchinnen Deutschlands werden würden. War Ihnen von Anfang an klar, dass man das Thema Ernährung auch anders promoten müsste?

Nein. Aber in den letzten zehn Jahren habe ich gemerkt, dass die Leute nicht mehr kochen, und wir nicht entscheiden können, was oder wie wir essen, kurzum unsere Ernährungssouveränität nicht mehr vorhanden ist. Denn im Zuge der Industrialisierung sind jede Menge Nutztierrassen und Pflanzen über die Klinge gesprungen. So ist extrem viel Geschmack verloren gegangen, weil es nur noch darum geht, wie lange etwas gelagert werden kann und ob die Farbe leuchtet. Das führt dazu, dass wir von natürlichen Lebensmitteln entkoppelt sind und keine instinktive körperliche Sicherheit mehr zu ihnen haben.
Andererseits habe ich das Gefühl, dass Kinder das durchaus besitzen. Meine Tochter zum Beispiel sagt oft: Mama, ich möchte eine Karotte nach den vielen Keksen. Kinder können das, wenn man sie mit natürlichen Nahrungsmitteln groß werden lässt und nicht ständig Dinge in sie reinstopft. Wir ziehen zu Kinderspielplätzen wie in den Krieg. Bei gut meinenden Eltern sind es Dinkelkekse, Bananen und Früchtetee, bei anderen Schokoriegel und Limonade. Immer, wenn das Kind angerannt kommt, schieben wir ihm irgendwas in den Mund, wodurch man ihm die Wahlmöglichkeit nimmt, Vertrauen zu seinem Körper zu entwickeln.
Müssten Sie da in Ihrer Arbeit nicht schon bei den Eltern ansetzen?
In der besten aller Welten würde ich allen das Kochen beibringen. Mit unserer Stiftung erreichen wir Kinder an staatlichen Stellen, machen deshalb Kochkurse an Kitas und Schulen, bilden Multiplikatoren wie Erzieher und Lehrer aus, die nach unseren Vorgaben Kindern das Kochen beibringen. Mir geht es darum, bei den Kindern ein Geschmacksgedächtnis von natürlichen Zutaten anzulegen, ein Samenkorn zu pflanzen, das hoffentlich irgendwann mal aufgeht.
Hat sich Ihre Arbeit durch diese Einstellung verändert?
Meine Ansichten werden immer spitzer und radikaler, weil ich in tiefere Schichten vordringe und weiß, dass wahre Qualität nicht am Schneidebrett anfängt. Es geht um alle Stufen – vom Samenkorn, das jetzt durch Gentechnik manipuliert wird, über den Anbau, den Transport und das Lagern bis hin zur Verarbeitung in der Küche. Auf Arte versuche ich mit meiner Serie, Sehnsucht nach ursprünglichen Produkten zu wecken und handwerkliche Arbeit genauso wie bäuerliche Kleinproduktion wertzuschätzen. Mit meinen Restaurants will ich zeigen, dass sich das umsetzen lässt, was ich erzähle – auch wenn es mühsam ist. Deshalb habe ich meine eigene Hühnerzucht und eine Bäuerin gefunden, die für uns alte Gemüsesorten anpflanzt und mit dem Pferd pflügt. Auch in der Firma versuchen wir, nachhaltig zu leben, benutzen Fahrräder und Recyclingpapier, machen einmal im Monat eine ernährungspolitische Lesereihe. Und dann habe ich ja meine Stiftung.
Wie groß ist deren Anteil am Sarah Wiener-Kosmos?
Das Thema ist mir sehr wichtig und das Sinnvollste, was ich tun kann. Bislang haben wir an rund 500 Schulen und Kitas Botschafter ausgebildet.
Das hört sich viel an. Warum müssen es noch mehr werden? Und warum brauchen Sie Kooperationen wie mit Sanetta?
Erstens gibt es noch Tausende anderer Einrichtungen, sodass wir nur ein Tropfen auf dem heißen Stein sind. Zweitens müssen wir uns als arme, rein ideelle Stiftung jeden Euro erbetteln. Insofern ist es extrem wichtig, dass uns Leute wie Dr. Steffen Ammann unterstützen.
Könnten Sie sich noch andere Arten des Engagements vorstellen?
Ich merke, dass Ernährung mein Lebensthema ist. Ich hätte gerne einen Biobauernhof, würde gerne im Dreck rumwühlen, pflanzen und ernten, also die Sehnsucht ausleben, nicht nur zu theoretisieren. Sondern auch selbst zu machen.

Noch eine Möglichkeit wäre, ein Kochbuch für Kinder zu schreiben ...
Davor scheue ich mich, weil ich denke, dass Kinder so essen sollten wie Erwachsene. Außerdem lernt man Kochen nur durch Kochen.
Wie wäre es mit neuen Folgen für Ihre Arte-Serie, bei der Sie mehrere Wochen mit Kindern in Frankreich verbracht und gekocht haben?
Eine Fortsetzung ist unwahrscheinlich, weil das wahnsinnig teuer war. Außerdem hat der Dreh den Kindern viel Arbeit und Aufmerksamkeit abverlangt. Trotzdem haben alle in dieser intensiven Zeit Dinge gelernt und Erfahrungen gemacht, von denen sie ein Leben lang zehren werden.
Auch bei Ihrem Benefiz-Event für Sanetta waren die Kinder gleich Feuer und Flamme.
Meiner Erfahrung nach sind Kinder umso begeisterungsfähiger und offener, desto kleiner sie sind. Je älter sie sind, desto schwieriger wird es, weil sie viel größere Vorbehalte haben. Am Ende habe ich aber noch nie erlebt, dass Kinder ihr eigenes Werk nicht gegessen hätten und stolz darauf gewesen wären.
Was ist denn, wenn ich mein Kind nicht in einen Ihrer Kochkurse schicken kann?
Bei achtsamen Eltern ist das nicht nötig. Aber in anderen Fällen schon, denn wir haben leider eine Zweiklassengesellschaft. Wenn man solchen Kindern etwas Gutes tun will, nimmt man sie als Klassenkameraden von Sohn oder Tochter mit, um mit ihnen gemeinsam zu kochen. Oder man bietet sich beim Lehrer an, mal mit in den Wald zu gehen und etwas zu sammeln. Oder Marmelade zu kochen.
Wie hoch ist denn der Anteil der Kinder, die das nötig hätten?
Keine Ahnung. Aber es sind auf jeden Fall zu viele. Man lebt ja immer nur in seiner eigenen, kleinen Welt und denkt, das ist die Realität. Aber dann geht man 100 Meter weiter und beginnt zu schlucken.
Das Interview führte Angela Murr.