Brief an Corona

"Ich trieb ab, weil ich in diese Welt kein Kind setzen will"

Die Pandemie hat viel verändert: Sie ließ Träume platzen, ruinierte Existenzen, durchkreuzte Pläne. Wir haben mit Betroffenen gesprochen, was sie dem Virus zu sagen haben. Herausgekommen sind emotionale Briefe, die uns zu Tränen rührten. Hier berichtet Marie von der schwierigen Entscheidung, ihre Schwangerschaft zu beenden.

Marie mit dem Ultraschallbild ihres Babys. Sie entschied sich für einen medikamentösen Schwangerschaftsabbruch.© Foto: privat
Marie mit dem Ultraschallbild ihres Babys. Sie entschied sich für einen medikamentösen Schwangerschaftsabbruch.

Hallo Corona-Virus,

ich sitze im sterilen Wartezimmer einer gynäkologischen Klinik, während ich diese Zeilen schreibe. Ich trage eine Atemmaske, so wie die fünf anderen Frauen, die hier mit mir sitzen. Was die fünf von mir unterscheidet, ist, dass man ihren Kugelbauch schon erkennt – und dass sie in diesem Jahr Mama werden. Das Kind, das ich im Bauch habe, hat erst die Größe einer Himbeere. Ich habe sein Herzchen beim letzten Ultraschalltermin noch nicht schlagen sehen, und das werde ich auch nie. Ich bin die Patientin, die gerade an der Rezeption wegen eines Schwangerschaftsabbruchs aufgenommen wurde, und das schockiert mich offen gestanden selbst ein bisschen. Hätte man mir vor ein paar Jahren gesagt, dass ich eines Tages ein Kind abtreiben werde: Ich hätte es nicht geglaubt und vehement das Gegenteil behauptet.

Meine Tochter und mein Sohn waren absolute Wunschkinder, ich war unfassbar gerne schwanger und habe eigentlich auch ein drittes Kind nie ausgeschlossen. Würde es dich, du ätzendes Virus, nicht geben, wäre ich vielleicht heute nicht hier. Doch als ich vor drei Wochen diesen Schwangerschaftstest mit den zwei Linien in den Händen hielt, befanden wir uns mittendrin in diesem anstrengenden Corona-Alltags-Chaos, das du in Millionen Familien angerichtet hast. Ich arbeite seit mehr als zwei Monaten von morgens um acht bis nachts um zwei Uhr im Homeoffice – immer dann, wenn die Kinder es zulassen. Ich bin durch, dünnhäutig, dauergestresst. Zeit für mich? Fehlanzeige. Die Vorstellung, demnächst neben all den aktuellen Herausforderungen zusätzlich einen kleinen Schreihals zu haben, der mir auch noch die wenigen Stunden Schlaf raubt, die ich im Moment bekomme, trieb mir Tränen in die Augen und Schmerzen in den Magen.

Ich will in diese Welt kein Kind setzen, diese Entscheindung war nach wenigen Minuten gefasst. Mein Mann reagierte toll. Er sagte, er sei traurig darüber – stelle aber meinen Entschluss nicht infrage. Am 13. Januar hatten wir ein Date. An diesem Tag wäre die Himbeere zur Welt gekommen, wärest du nicht gewesen.

Deine Marie

Lade weitere Inhalte ...