Neue Studienergebnisse

Hat ein Kaiserschnitt Folgen fürs Kind?

Neue Studien zeigen, dass bei Kaiserschnittkindern die für das Immunsystem wichtige Darmflora verändert ist. Was heißt das für Babys – und wie groß ist ihr Risiko, ernsthaft krank zu werden? Wir haben einen Mediziner gefragt.

Die Chance, dass Kaiserschnittbabys vollkommen gesund aufwachsen, ist trotz der Studienergebnisse groß.© Foto: Getty Images/Westend61
Die Chance, dass Kaiserschnittbabys vollkommen gesund aufwachsen, ist trotz der Studienergebnisse groß.

Fast jedes dritte Kind kommt in Deutschland per Kaiserschnitt zur Welt. Einer der Gründe ist, dass immer mehr Frauen sich gezielt und ohne medizinische Notwendigkeit für die operative Geburt entscheiden. Diese Fälle werden häufig diskutiert – und jetzt gibt es pikantes Futter für Kaiserschnitt-Kritiker. Denn eine aktuelle Studie aus dem Fachmagazin "Nature" mit 600 Neugeborenen (300 Kaiserschnitte, 300 vaginale Geburten) ergab, dass die Darmflora bei Kaiserschnittkindern im Vergleich zu spontan geborenen Babys verändert ist. Die zwölf britischen Forscher fanden heraus, dass nach einem Kaiserschnitt die schützende Darmflora nicht vollständig vorhanden ist – und sich Krankheitserreger so leichter ansiedeln können.

Die kindliche Darmflora bei Kaiserschnittkindern

Bei der Analyse von Stuhlproben der untersuchten Säuglinge zeigten sich bei den 300 Kaiserschnittkindern nur wenige "gute" Bakterienstämme. Vielmehr wurden Krankheitserreger wie Enterococcus, Enterobacter sowie Klebsiella nachgewiesen – alles Keime, die im Krankenhaus vorkommen. Die gute Nachricht: Die Kinder wurden durch die Bakterienstämme glücklicherweise nicht krank. Der Stress, den die natürliche Geburt für Mutter und Kind bedeutet, aktiviert verschiedene Prozesse beim Baby. So werden etwa die Lungenbläschen animiert, Fruchtwasser aus der Lunge zu pumpen. Zudem wird in der Leber Stärke freigesetzt, damit das Kind nach der Abnabelung auf eigene Energien zurückgreifen kann. Darüber hinaus unterstützt die Aktivierung der Depots des sogenannten braunen Fettes die eigenständige Regulierung der Körpertemperatur. Und schließlich wird der Säugling mit wichtigen Keimen der Mutter besiedelt, die wichtig für die Entwicklung sind. Diese Prozesse kann eine Kaiserschnittgeburt nicht auslösen.

Mögliche Kaiserschnitt-Folgen fürs Baby

"Der Umstand, dass das Kind auf seinem Weg durch den mütterlichen Geburtskanal mit den dort ansässigen Keimen in Berührung kommt, bestimmt die Erstbesiedelung des Darmes mit Bakterien", erklärt Prof. Singer aus der Neonatologie und Pädiatrie vom Universitätsklinikum Eppendorf in Hamburg. "Die Gesamtheit der im Darm vorhandenen Bakterien beeinflusst wiederum das sich entwickelnde Immunsystem. Ein abweichendes Mikrobiom kann so zu veränderten Abwehrreaktionen des Körpers und zu einer erhöhten Anfälligkeit für bestimmte Erkrankungen führen."

Prof. Singer hält den Zusammenhang von Kaiserschnitt und späteren Zivilisationskrankheiten zunächst für nicht zwingend. "Jedoch sind in den letzten Jahren Studien durchgeführt worden, in denen die Häufigkeit bestimmter Krankheiten in Abhängigkeit von unterschiedlichen Einflussfaktoren an sehr großen Bevölkerungsgruppen untersucht wurde. Dabei zeigte sich tatsächlich ein entsprechender Zusammenhang – vor allem im Hinblick auf Asthma, Übergewicht und gewisse psychosoziale Auffälligkeiten. Doch wie der Name 'Zivilisationskrankheiten' schon sagt, hängen diese auch von individuellen Lebensgewohnheiten ab."

Die Techniker Krankenkasse bestätigt ebenfalls, dass ein Kaiserschnitt die Wahrscheinlichkeit für bestimmte Erkrankungen (z. B. ADHS, Allergien, chronische Bronchitis, Autismus) in den in den ersten acht Lebensjahren erhöht.

Das Risiko ist höher, aber trotzdem gering

Kann also ein Kaiserschnitt wirklich krank machen? Professor Singer formuliert es anders: "Zutreffend ist vielmehr, dass er zu einer Risikoerhöhung für bestimmte Krankheiten führt, die man richtig einordnen muss: Wenn Kaiserschnittkinder ein relatives Risiko von 1,2 haben, an Asthma zu erkranken, dann ist das zwar eine Risikoerhöhung um 20 Prozent. Bezogen auf die absolute Häufigkeit bedeutet es, dass sich auf 100 Einwohner nach Kaiserschnitt später durchschnittlich ein Asthmatiker mehr findet als nach Spontangeburt. Für die Bevölkerung spielt dies dann eine Rolle, wenn immer mehr Kinder per Kaiserschnitt geboren werden." Generell rät Singer von einem Kaiserschnitt ohne medizinische Notwendigkeit ab. "Allerdings gilt es stets, den Wunsch der Schwangeren ernst zu nehmen, die Gründe zu hinterfragen. Ängste lassen sich durch eine kompetente Aufklärung oft ausräumen."

Kein schlechtes Gewissen nach dem Kaiserschnitt

Klar ist auch: Es gibt gute Gründe für die "Sectio caesarea". Wenn das Kind quer liegt, zu schwer oder mangelversorgt ist, kann die Operation für Mutter und Kind sogar lebensrettend sein. "Keine Frau sollte sich gegen einen medizinisch begründeten Kaiserschnitt aus Sorge um die Keimbesiedelung wehren oder sich Vorwürfe machen, der Gesundheit ihres Kindes geschadet zu haben", sagt der Neonatologie-Experte. "Solche Risiken sind viel zu gering im Vergleich zu einen Kaiserschnitt erforderlich machenden Geburtskomplikationen."

Ist eine nachträgliche Keimbesiedelung sinnvoll?

Trotz der geringen Gefahr diskutieren Wissenschaftler, Kaiserschnittkindern die für eine intakte Immunabwehr notwendigen mütterlichen Keime nach der Geburt zu verabreichen. Doch die Wirksamkeit dieser Maßnahme ist bislang nicht erwiesen. Darüber hinaus besteht die Gefahr, dass auch krankmachende Keime übertragen werden. "Viel sinnvoller ist es, das Kind gerade nach einem Kaiserschnitt konsequent mit Muttermilch zu ernähren", sagt Prof. Singer, "Neben der engen Mutter-Kind-Bindung können Inhaltsstoffe nachweislich die rasche Neubesiedelung des Darmes mit den 'richtigen' Bakterien förden."

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