
Lebenszyklen – selbst die von allerbesten Freundinnen – verlaufen manchmal komplett konträr: Die einen werden mit Anfang 20 schwanger, die anderen können sich mit Mitte 30 noch nicht vorstellen, bald (oder überhaupt) Mutter zu werden. Und deshalb kommt es selbst in den langjährigsten Freundeskreisen vor, dass der Nachwuchs zur Bewährungsprobe für die Freundschaft wird. Vor allem dann, wenn man mit seiner Form der Familienplanung allein dasteht.
"Erste" zu sein hat viele Vorteile
Ich wurde schwanger, lange bevor meine engsten Freundinnen überhaupt ans Kinderkriegen dachten. Das hatte wahnsinnig viele Vorteile: Alle waren gemeinsam mit mir herrlich aufgeregt, shoppten voller Freude die Baby-Abteilungen leer, organisierten eine atemberaubende Baby Shower Party nach allen Vorbildern, die das amerikanische Kinoprogramm hergab (großzügige Geschenke inklusive) und überhäuften mich im Kreißsaal mit Luftballons, Kuchen, Zeitschriften und der zweiten Ladung Baby-Geschenke. Selbst die Eltern meiner Freundinnen freuten sich wie Schneekönige auf "das erste Enkelkind" der Clique. Keine Frage: Diese Form der Baby-Euphorie lässt beim x-ten Nachwuchs im großen Freundeskreis irgendwann nach. Ich kann mich also beim besten Willen nicht beschweren: Ich hatte jeden Vorteil, den das Dasein als "erste Mami" hergibt, zu spüren bekommen. Yeah!
Das Baby ist da und der Alltag verändert sich
Doch nach der Geburt kam die große Realitäts-Keule: Das Leben aller anderen ging weiter wie bisher – nur meins spielte sich plötzlich in völlig anderen Bahnen ab. Ob Kino oder Partynacht, spontaner Tagestrip oder auch nur der Besuch im schicken Restaurant: Ich war ich erst einmal "raus". Natürlich: Je älter das Baby wird, desto mehr gewinnt man Stück für Stück seine Freiheiten zurück. Doch die Umstellung von "kein Kind" auf "ein Kind" ist erst einmal gewaltig (und im Übrigen kaum zu vergleichen mit der Umstellung auf "zwei Kinder" – denn die läuft tatsächlich irgendwie so nebenher, aber das ist ein anderes Thema).
Mein ganzes Leben war plötzlich fremdbestimmt, meine Abendgestaltung quasi nicht mehr existent. Tagsüber hatte ich dafür auf einmal alle Zeit der Welt – nur eben keine Freundinnen, die diese mit mir hätten verbringen können, schließlich hockten die alle bei der Arbeit.
Tipp 1: Hol alle gemeinsamen Aktivitäten zu dir nach Hause
Ich merkte schnell, dass mir das auf Dauer nicht gefallen würde. Also begann ich, alles, was ich an Abendplanung außerhalb meiner vier Wände verpasste, so gut wie möglich zuhause nachzuholen: Meinen wöchentlichen Stammtisch verlagerte ich in mein Wohnzimmer. Statt ins Kino zu gehen, lud ich zum Filmegucken auf unserer Leinwand ein. Und um den Restaurantbesuch mit quakendem Baby zu umgehen, bestellte ich Essen nach Hause (und die Freundinnen gleich mit).
Tipp 2: ... aber übertreib es nicht!
Das lief oft gut und machte immer Spaß. Meistens aber überforderte es mich total. "Gleich kommt wieder Besuch, ich muss noch saugen, den Tisch decken, das Baby wickeln, stillen und: aaah! Warum zum Geier habe ich schon wieder Leute eingeladen?" Gedanken wie diese folterten mein völlig übermüdetes Hirn. Ich habe zunächst selbst nicht verstanden, warum mir das Gastgeber-Dasein plötzlich so viel Stress bereitete – schließlich hatte ich doch den ganzen Tag Zeit, ich war ja "nur" mit dem Kind zuhause! Es dauerte daher eine Weile, bis ich das für mich richtige Pensum herausgefunden hatte: Über Besuch ein bis zwei Mal die Woche freute ich mich riesig! Alles andere wurde (zumindest in den ersten Monaten) schnell zu viel.
Tipp 3: Sei ehrlich zu deinen Freunden (und zu dir)!
Mir wurde zum Glück recht schnell klar: Wenn schon ich selbst Schwierigkeiten habe, mein neues Leben auf Anhieb zu verstehen, wie sollten es dann meine Freundinnen tun? Ich habe mir deshalb angewöhnt, ehrlich zuzugeben, wenn mir etwas zu viel, zu anstrengend, zu laut, zu kurzfristig oder einfach zu spät wurde. Und ich habe immer offen meine Gedanken zum Thema Stillen geteilt – denn das war mir selbst vor den meisten engen Freundinnen unangenehm (ein zusätzlicher Stressfaktor, den ich zum Glück mittlerweile hinter mir gelassen habe).
Ich bin mir sicher, dass nicht alle Freundinnen immer wirklich nachvollziehen konnten, warum ich am Samstag um 21 Uhr plötzlich müde war (Hallo? Ich war einfach immer müde – und bin es noch heute, vier Jahre später). Oder warum ich mich beim besten Willen nicht im neuen Café am anderen Ende der Stadt treffen konnte, weil ich schon auf dem Weg dahin im Bus vermutlich das erste Mal hätte stillen und wickeln müssen. Einfach zuzugeben "Es tut mir leid, das ist mir zu stressig, ich bin beim nächsten Mal gern wieder dabei" hat mir und unserer Freundschaft sicher besser getan, als eine Notlüge oder der verkrampfte Versuch, irgendwie doch dabei zu sein.
Tipp 4: Nimm es ihnen nicht übel!
Es wird immer wieder Sprüche geben, die dich zur Verzweiflung bringen. Das war bei mir so, und das wird selbst in den besten Freundschaften nicht anders sein. "Hä? Warum legst du ihn denn nicht einfach später schlafen?" – "Na und, dann schreit er halt kurz, der hat doch nichts, oder?" – "Und wieso kann dein Mann das nicht machen, dann kommst du wenigstens mal raus?" – "Nicht mal eine halbe Stunde hast du Zeit? Ist das dein Ernst?" und unzählige andere Weisheiten gehörten dazu. Und ich bin mir sicher: Keine einzige davon ist böse gemeint, nicht einmal vorwurfsvoll. Sie wissen es einfach nicht besser! Wie soll man auch wissen, wie es sich anfühlt, eine Mutter zu sein, bis man es wirklich erlebt hat. Die Hilflosigkeit deiner kinderlosen Freunde erkennst du an der Formulierung "Ich weiß, ich habe ja keine Kinder, aber…" – und ich rate dir: Alles, was nach diesem "aber" noch folgt, dir einfach nicht zu Herzen zu nehmen. Es wird bei vielen der Tag kommen, an dem sie selbst erleben werden, wie es ist, eine Mutter zu sein. Und dann werden sie es verstehen. Und sich vielleicht sogar bei dir entschuldigen. So wie Evelyn vom Blog "Little Paper Plane" es getan hat in ihrem wunderbaren Text "An die Freunde, die vor mir Kinder hatten: Es tut mir leid". Den Erfahrungsbericht kann ich nur wärmstes empfehlen – allen "ersten Mamis" und vor allem allen Freundinnen von "ersten Mamis"…
Tipp 5: Sag danke!
Auch für deine Freundinnen ist erst einmal alles neu, wenn dein Kind da ist. Vor allem: Du bist neu! Dir sind auf einmal Dinge wie salzfreie Babynahrung und schadstofffreie Kindermatratzen wichtig. Du weißt plötzlich, was Pastinaken sind und deine Kekse sind aus Dinkel. Du redest über Stuhlgang, als sei es das normalste von der Welt. Und eins ist auch klar: Deine Freunde vermissen den Teil von dir, der plötzlich von deiner neuen Mutterrolle absorbiert wurde.
Die Freundinnen, denen das alles nicht zu viel wird, die sich ehrlich für und mit dir freuen, die bei einer vollen Windel nicht die Nase rümpfen und die den Stammtisch aus der geliebten Raucherkneipe mit einem Lächeln zu dir nach Hause verlegen, die haben vor allem eins verdient: ein ernst gemeintes Danke, das von Herzen kommt. Und wenn es soweit ist und sie ihr erstes Kind erwarten, dann kannst du dich endlich revanchieren.
Text: Silke Schröckert