
"Es gibt keine Mädchen- und Jungsfarben", zitierte mein Sohn bereits seine Vorschullehrerin. Was für eine gute Aussage. Ich freue mich, dass unsere Kinder eine genderneutrale Einstellung beigebracht bekommen, auch was die Kleidung betrifft. Und dass immer mehr Eltern das auch zu begreifen scheinen. Johannes zum Beispiel, der beste Freund meines Sohnes, ist ein großer Rosa-Fan. Zur Einschulung wollte er eine Meerjungfrau mit Glitzer auf seiner Schultüte haben – und bekam sie. Letztens, erzählte mir seine Mutter neulich auf einem Kindergeburtstag, sei er mit einer rosafarbenen Maske mit weißen Totenköpfen zur Schule gegangen. "Warum ist die denn rosa?", wollte ein Mitschüler wissen. Ein einfaches "Weil ich das schön finde", stellte Johannes' Gegenüber zufrieden fest. Und genau so sollte es doch eigentlich sein: Wir tragen etwas, weil es uns gefällt, und nicht, weil es der Norm entspricht oder weil es uns irgendjemand vorgibt. Ich finde, wir haben allen Grund, stolz auf unsere Kinder zu sein, wenn sie selbstbewusst zu ihrer eigenen Meinung stehen. Und die anderen das selbstverständlich so hinnehmen.
Rosa für Mädchen? Blau für Jungs?
Doch leider versucht die Modeindustrie nach wie vor, unseren Nachwuchs in überholte Rollenbilder zu pressen. Zumindest kommt es mir so vor, wenn ich im Bekleidungsgeschäft rosa Kleidchen für Mädchen und Bauarbeiter-Prints für Jungs sehe. Warum ist das so? "Ich wollte nie, dass meine Tochter ständig Rosa trägt", sagt meine Freundin. "Aber sie liebt Rosa, da werde ich es ihr bestimmt nicht verbieten, nur weil ich keine Rollenklischees bedienen will." Auch wieder wahr, denke ich. Andererseits ist es kein Wunder, dass viele Mädchen diese Farbtöne lieben, wenn es so ein großes Angebot an Mädchenklamotten (und anderen Dingen) in Rosa, Pink und Lila gibt. Man kommt ja kaum darum herum.
Und wenn Jungs wie Johannes Rosa tragen wollen? Ich erinnere mich an einen Jungen in der Kita meines Sohnes, der regelmäßig verkleidet dorthin ging. Zum Beispiel als Schmetterling. Das fand niemand komisch. Und das ist aus meiner Sicht das Entscheidende: dass unsere Kinder früh mitbekommen, dass sie (und die anderen auch) so sein dürfen, wie sie wollen.
Größere Nachfrage nach genderneutraler Kleidung
Liebe Modeindustrie – wie wäre es, wenn ihr nicht nur Mädchen-, sondern auch Jungsklamotten in Rosa anbietet oder gleich gar nicht mehr zwischen den Geschlechtern unterscheidet?! Pressesprecher der Kindermodehersteller Vertbaudet und Ernsting's family erklären mir, dass ihre Mode generell bunt und farbenfroh sei. Aktuelle Trends werden aufgegriffen, und es gebe durchaus auch im Kinderbereich Unisex-Teile. Marcello Concilio, Pressesprecher von Ernsting's family, sagt: "Wir möchten unsere KundInnen nicht 'erziehen', aber wir versuchen natürlich, neue Entwicklungen in unseren Kollektionen zu integrieren. So greifen wir mit großem Engagement auch immer wieder genderübergreifende Themen auf, zum Beispiel mit unseren Baby-Geschenkboxen, die wir auch in einem genderneutralen Grau anbieten." Vertbaudet steht nach eigenen Angaben ebenfalls "für ein modernes Rollen- und Familienverständnis". Pressesprecherin Gabriela Roth: "Wir bemerken jetzt schon einen Trend zu mehr Unisex und einer steigenden Nachfrage für diesen Bereich. Und wir gehen davon aus, dass dieser Trend sich fortführt. Besonders im Möbel- und Babybereich."
Tatsächlich sind die Menschen schon vorsichtiger geworden, auf das Geschlecht eines Babys zu schließen, nur weil es etwas Blaues trägt. Aber trägt ein Baby Rosa, ist meiner Erfahrung nach gleich jedem klar, dass es sich um ein Mädchen handeln muss. Dabei gibt es doch auch Väter (und andere Männer), die gerne mal ein rosafarbenes Hemd tragen ... Solange es die entsprechende Nachfrage gibt, wird die Modeindustrie weiterhin pinke Prinzessinnenkleider herstellen und anbieten. Uns und unseren Kindern bleibt es offen, einfach zu tragen und zu kaufen, was uns und ihnen gefällt – und uns dabei nicht zu sehr von den Normen einschränken zu lassen.
Die Tochter der Kollegin trägt Ninjago-Shirts: na und?!
Die Geschlechterklischees sind tatsächlich immer noch ziemlich weit verbreitet: Mein Sohn hat lange Wimpern und lange Haare. Er kann sich noch so "jungsmäßig" kleiden und wird von Fremden dennoch oft für ein Mädchen gehalten. Wenn ich den Irrglauben aufkläre, sagen viele: "Oh, ich dachte, bei den langen Wimpern ..." Können Jungs denn keine langen Wimpern haben? Bei meiner Kollegin Silke ist es genau andersherum: Ihre Tochter trägt am liebsten eine Hose mit Baggern drauf, dazu ein Ninjago-Oberteil. Kein Wunder, dass viele die Kleine für einen Jungen halten.
Kürzlich erwischte ich mich auf dem Spielplatz selbst dabei, dass ich ein Kind als "sie" bezeichnete, dabei war es ebenfalls ein Junge – mit langen Haaren. Auch ich gehe einfach nach wie vor viel zu sehr von altbekannten Mustern aus. Seitdem sage ich nur noch "das Kind", wenn ich mit meinem Sohn über fremden Nachwuchs spreche.