
"Neeeeiiiin, Theo, leg das weg! Leg das SOFORT weg! Wir gehen sonst nach Hause!"
Der Panik in den Augen der Mutter nach zu urteilen, würde ich denken, der kleine Theo leckt gerade an einer Handgranate. Dabei hält er nur ein Sandeisförmchen in der Hand, an dem er probeweise mal kurz geschleckt hat – bevor es ihm aus der Hand gerissen wurde.
Eine ganz alltägliche Szene in der Sandkiste. Tatsächlich sind "Igitt" und "Das ist BÄH" so ziemlich die häufigsten Ausdrücke, die ich auf dem Spielplatz so höre. Geäußert von angsterfüllten Eltern, deren Kinder es wagen, die Schaufel in den Mund zu nehmen. Oder auch nur die schmutzigen Sandfinger.
Meinem eigenen Sohn wurde in der Matschecke sogar mal von einer fremden Frau ein Förmchen aus der Hand geschlagen, weil er sich anschickte, daraus zu trinken. Als sie seinen und meinen erstaunten Blick sah, entschuldigte sie sich: "Ich wollte nicht, dass er das trinkt. Wer weiß, was da für Keime drin sind …"
Dreckt reinigt den Magen – oder nicht?
Schon klar: Reines Vollmond-Wasser fließt durch die Rohre an den Matschplätzen wohl eher nicht. Aber ganz ehrlich: Ich komme ganz gut klar damit, wenn der Organismus meines Sohnes auch mal mit was anderem in Berührung kommt als mit gekeimtem Bio-Vollkorn-Brot.
Stellt sich die Frage: Bin ich zu lax? Oder die anderen zu übervorsichtig?
Man sagt doch schließlich auch: Dreck reinigt den Magen. Ist an diesem alten Spruch denn gar nichts dran? Dr. Celine, Ärztin und Expertin für Kindergesundheit, sagt: "Säuglinge und Kleinkinder erkunden gerne auch ihre Welt mit dem Mund. Das ist völlig normal und wichtig für die kindliche Entwicklung. Denn vor allem in den ersten zwei Jahren der oralen Phase ist der Tastsinn in der Mundregion sehr gut ausgeprägt – besser als andere Sinne der Kinder. Solange die aufgenommene Menge an Dreck klein bleibt, ist dies in der Regel nicht schädlich. Kinder werden in der Regel nicht krank, wenn sie etwas Dreck essen." Na, bitte.
Gereinigt wird durchs Sandfuttern allerdings auch nichts. "Der Magen kann sich sehr gut selbst reinigen. Es ist sogar eher umgekehrt: Der Magen reinigt den Dreck. Denn der Magen produziert sowohl Magensäure als auch Verdauungsenzyme. Die starke Magensäure ist bis zu eine Million Mal saurer als Wasser. Sie zerkleinert den Mageninhalt und tötet die allermeisten Keime ab, bevor sie in die Blutbahn gelangen. Kleine Steine, die die Säure nicht kleinkriegt, scheidet der Körper dann einfach wieder aus. So wird verhindert, dass der Dreck Schaden anrichtet, wenn das Kind Sand und Schmutz verschluckt."
Studien zeigen, dass etwas Schmutz im Alltag sogar gesundheitliche Vorteile für Kinder hat, vor allem für das Immunsystem.
Schmutz (in Maßen) hat Vorteile für Kinder
Klingt doch so, als würden die Körper unserer Kinder alles ganz wunderbar im Griff haben – ohne panische Zwischenrufe der Eltern.
Dr. Celine erklärt: "Oft meint man den Spruch ja nicht wörtlich, sondern meint damit eher, dass das bisschen Dreck der Gesundheit nicht schadet. Daran ist tatsächlich was dran. Denn Studien zeigen, dass etwas Schmutz im Alltag sogar gesundheitliche Vorteile für Kinder hat, vor allem für das Immunsystem."
Wie so oft gilt: Die Dosis macht das Gift. "Zu viel Schmutz kann auch krank machen. Forscher aus den USA haben 2014 festgestellt, dass das Allergierisiko von Kindern sank, die im ersten Lebensjahr Kontakt zu Hinterlassenschaften von Katzen, Kakerlaken und Mäusen hatten. Allerdings erkrankten Kinder häufiger an Allergien, wenn es zu dreckig wurde und sie zu großen Mengen an Staub und Kot ausgesetzt waren."
Die meisten Keime sind harmlos
Und jetzt noch eine Info, bei der alle Sand-Phobiker ganz stark sein müssen: "Bei einer Untersuchung von Sandkästen in Italien entdeckten Forscher in 21 von 40 Proben das Darmbakterium C.difficile, das Durchfall verursachen kann. Natürlich spielt hier auch die Menge eine Rolle", erklärt Dr. Celine. "Im Schnitt schlucken Kindern im Alter zwischen ein und vier Jahren übrigens rund 40 mg Sand pro Tag. Dies zeigte eine Untersuchung aus dem Jahre 1989 in einer Kindertagesstätte."
Ihr Rat: "Wie so oft ist auch hier der Mittelweg das Optimum. Kinder sollen auf jeden Fall draußen spielen, ruhig auch auf dem Spielplatz im Sandkasten. Durch den Kontakt mit vielen verschiedenen Keimen sinkt das Allergierisiko. Es ist also nicht schlimm, wenn Kinder etwas Sand schlucken. Zum Dreckessen ermutigen sollten Eltern sie aber nicht. Denn Kinder kommen ganz natürlich mit ausreichend Erregern in Kontakt über die Luft und den Boden. Manche davon sind harmlos und trainieren das Immunsystem, andere sind eben potenzielle Krankheitserreger. Hier reinigt der Magen aber in der Regel dann den Dreck und nicht umgekehrt."