Familien, aufgepasst!

"Melamin-Geschirr eignet sich maximal für die Sandkiste!"

Kürzlich wurde der Stoff von der Europäischen Chemikalienagentur in der Kandidatenliste der besorgniserregenden Substanzen aufgenommen ... Wir sprachen mit der Influencerin und Bioanalytikerin Ann-Kathrin Ortmann (#annisbuntewelt) über Melamin-Geschirr für Kinder.

Zwei Jungen halten Teller hoch, auf die ein Gesicht gemalt ist.© iStock/fstop123
Melamin-Geschirr kann giftig sein, daher bitte nur in der Sandkiste verwenden. 

Melamin-Geschirr erlebte in den letzten Jahren regelrechten Aufwind. Doch leider völlig zu Unrecht, wie jetzt herauskommt. Anni verrät uns im Interview, unter welchen Umständen Melamin-Geschirr für Kinder giftig oder in Ordnung ist, welche Alternativen es gibt und was wir damit machen können, wenn wir nun mal die Schränke voll davon haben.

Was ist Melamin eigentlich?

Ann-Kathrin Ortmann: Melamin-Formaldehyd-Harze (MFH) sind Kunststoffe, die aus den Grundbausteinen Melamin und Formaldehyd hergestellt werden. Nachdem man die beiden Stoffe durchgehärtet hat, entsteht ein bruchsicherer Kunststoff. Daher ist es zunächst einmal verständlich, dass er gerne für Kinder-Geschirr verwendet wird. 

Wie giftig ist Melamin wirklich?

Nicht nur Öko-Test rät inzwischen von diesem Material ab, auch das Umweltbundesamt. Das ist hier in Deutschland dafür verantwortlich, besonders besorgniserregende Stoffe zu identifizieren. Seit Januar 2023 steht auch Melamin auf der Kandidatenliste der Europäischen Chemikalienagentur für besonders besorgniserregende Stoffe.

Was ist daran denn giftig?

Im Langzeit-Tierexperiment an Nagern wurde die Bildung von Blasensteinen und ein damit verbundenes erhöhtes Auftreten von Blasenkrebs beobachtet. Zudem trat eine Schädigung der Nieren auf. Milchpulver, das mit größeren Mengen an Melamin verunreinigt war, hat im Jahr 2008 bei Kleinkindern in China zu schweren Symptomen bis hin zum Tod durch Nierenversagen geführt. Die aufgenommenen Mengen an Melamin lagen jedoch um mehrere Größenordnungen höher als die Mengen, die für die Übergänge aus Küchenutensilien und Geschirr aus Melamin-Formaldehyd-Harz nachgewiesen wurden. Bei Geschirr kann es aber zu solchen Mengen nicht kommen, Eltern müssen hier also keineswegs in Panik verfallen. Dennoch sind auch durch Melamin-Geschirr unter bestimmten Umständen Haut- und Schleimhautreizungen möglich.

In welchen Fällen ist Melamin-Geschirr schädlich?

Untersuchungsergebnisse der Landesüberwachungsbehörden und des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) haben gezeigt, dass Teller, Becher, Schüsseln und andere Gebrauchsgegenstände aus MFH beim Kochen von Lebensmitteln Melamin und Formaldehyd freisetzen können. Die freigesetzten Mengen lagen zum Teil deutlich über den vom BfR ermittelten gesundheitlichen Richtwerten. Beim Einfüllen sehr heißer Lebensmittel (bspw. Tee, Kaffee) können ebenfalls hohe Mengen an Melamin oder Formaldehyd freigesetzt werden. Zudem zeigten Langzeittests der Landesbehörden und des BfR, dass MFH im Kontakt mit heißen Lebensmitteln nicht stabil ist. Der Kunststoff wird angegriffen und zersetzt sich. Aus Sicht des BfR ist Geschirr aus MFH daher nicht für den Kontakt mit heißen flüssigen Lebensmitteln (zum Beispiel Kaffee, Suppe, Säuglingsfolgenahrung) sowie zur Verwendung in Mikrowellengeräten geeignet. In der Spülmaschine ist es in Ordnung, da es dann ja nicht direkt mit Lebensmitteln, die gegessen oder getrunken werden, in Kontakt kommt.

(Quelle: Bundesinstitut für Risikobewertung)

Ab welcher Temperatur wird es kritisch?

Man spricht von Werten um 70 Grad Celsius. Erhitzt man Melaminharze auf diese Temperatur, werden die einzelnen Bestandteile Melamin und Formaldehyd wieder freigesetzt und können dann Schaden anrichten. Dasselbe gilt übrigens, wenn sie mit Säuren – zum Beispiel aus Obst oder auch mit kohlensäurehaltigen Getränken – in Kontakt kommen. Daher macht es mich wirklich wütend, dass dieses Material überhaupt auf dem Markt ist! Die Eltern können ja nichts dafür, wenn ihnen diese Produkte angepriesen werden. Aber sie sollten am besten gar nicht erst verkauft werden.

Können unsere Kinder Melamin-Geschirr bedenkenlos nutzen, wenn wir es nicht erhitzen oder mit Säuren in Kontakt bringen?

Ja, für ein Butterbrot oder ein stilles Wasser ist Melamin-Geschirr unbedenklich. Da muss man sich keine Sorgen machen. Natürlich bleibt das Problem der Entsorgung. Denn Melamin ist – anders als andere Plastikarten – aufgrund seiner unterschiedlichen Komponenten noch nicht einmal recycelbar, sondern kann nur in der Müllverbrennungsanlage verbrannt werden. Bei Plastik generell hat man aber auch das Problem, dass Mikroplastik daraus entsteht, wenn es in der Natur landet.

Was ist mit Bambus-Geschirr – ist das generell besser?

Nur, wenn es sich um ein Produkt handelt, das zu 100 Prozent aus Bambusholz besteht. Leider werden auch Bambus-Teller, -Becher etc. oft mit Melaminharzen verklebt. Das gilt in vielen Fällen auch für die beliebten wiederverwendbaren Coffee-to-go-Becher. Reine Holzprodukte haben einen hygienischen Nachteil, da sich Keime und Bakterien anlagern können, wenn man die Teile nicht angemessen pflegt, was recht aufwendig ist.

Was hältst du dann von Edelstahlgeschirr für Kinder?

Das ist für unterwegs optimal, da es erstens leicht ist und zweitens keine Stoffe abgibt oder aufnimmt. Es eignet sich also super beim Camping, für Picknicks, Garten- oder Kita-Partys.

Welches ist denn nun das beste Geschirr für Kinder?

Alle Keramiken wie beispielsweise Steingut, Steinzeug, Porzellan, Glas, Emaille. Die können zwar zerbrechen, aber wenn Kinder diese Erfahrung einmal gemacht haben, passiert es (hoffentlich) nicht so schnell wieder. Solche Produkte sind auch zu günstigen Preisen erhältlich und gut für Umwelt und Gesundheit. 

Und was machen wir mit dem Melamin-Geschirr, das wir nun schon zu Hause haben?

Das werde ich häufig gefragt. Es eignet sich noch gut für die Sandkiste oder die Matschküche. Überall da, wo es nicht mit heißen oder säurehaltigen Lebensmitteln in Kontakt kommt bzw. wo wir nicht davon essen und daraus trinken. 

Annis neues Buch: "Hör auf Anni"

Ann-Kathrin Ortmann ist Mutter eines fünfjährigen Sohnes und setzt sich als studierte Bioanalytikerin schon lange mit den Inhaltsstoffen von Kosmetika und anderen Produkten auseinander. Ihre Erkenntnisse teilt sie auf Instagram mit ihren 172.000 Followern (Stand April 2023). Jetzt hat sie ein Buch geschrieben: "Hör auf Anni. Ohne Murks durchs erste Lebensjahr. Babyprodukte unter der Lupe" (Mindfulbooks, 22,95 Euro).

Hier seht ihr einen bewegenden Beitrag auf ihrem Instagram-Account, in dem Anni erzählt, weshalb sie ihr erstes Buch ihrem Vater widmet:

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