
Aus großen, blauen Augen schaut Dominik seine Mutter an und kuschelt sich an ihre Brust. Gerade einmal eine Stunde ist er auf der Welt. Seine Mutter hat Dominik dennoch gleich erkannt – an ihrer Stimme, ihren Herztönen – und an ihrem Geruch.
Hebammen beobachten immer wieder fasziniert, wie Neugeborene ohne Schwierigkeiten den Weg zur Brust ihrer Mutter finden und bestenfalls schon bald nach der Geburt beginnen zu trinken.
Die Verbundenheit von Eltern und Kind hat aber schon lange vor der Geburt begonnen. Mutter und Vater haben mit ihrem Baby gesprochen, ihm vorgesungen, es gestreichelt. Auch ein ungeborenes Kind reagiert schon emotional, kann kommunizieren und sich erinnern – was früher Spekulation war, ist heute Gewissheit.
Das Baby hatte Anteil am Gefühlsleben der Mutter und war neun Monate lang live dabei, wenn sie glücklich, gestresst, zornig oder entspannt war. Seine Erinnerung an die Körperlichkeit der Mutter – ihren Herzschlag, rauschendes Blut, das Gluckern aus dem Magen oder die Geräusche ihrer Lunge ist sehr stark.
Mit allen Sinnen
Nach der Geburt saugen Babys mit all ihren fünf Sinnen ihre neuen Eindrücke auf. Aus wachen, weit geöffneten Augen blicken sie aus kurzer Distanz auf diejenigen, die sie bislang nur gehört und gespürt haben.
Neugeborene können bereits riechen und schmecken. Den Sinn für Geschmack haben sie in der Gebärmutter schon einsetzen können, wenn sie kleine Mengen Fruchtwasser geschluckt haben. Je nach aktuellem Ernährungsplan der Mutter schmeckt es vermutlich etwas unterschiedlich.
Geschmacks- und Geruchssinn eines Kindes sind eng miteinander verknüpft und entwickeln sich stetig weiter. Nach nur wenigen Tagen erkennen Babys ihre Mutter an ihrem spezifischen Geruch und können ihn sogar von anderen unterscheiden. Sie wenden sich der Seite zu, an der ein Brusttuch liegt, das ihre Mutter getragen hat und wenden sich vom Tuch einer fremden Frau ab. Selbst die Stilleinlagen aus den Büstenhaltern ihrer Mütter erschnüffeln Babys zarte Nasen.
Liebe geht durch die Nase
Der Körpergeruch der Mutter ist für ein Neugeborenes sehr wichtig. Über ihren Duft vermittelt sie ihrem Kind als engste Kontaktperson von Anfang an ein Gefühl von Schutz und Geborgenheit. Diese Sinneserfahrung knüpft ein besonders inniges Band zwischen Mama und Baby.
Umso wichtiger ist es, diese Verbindung künftig aufrechtzuerhalten: Parfums oder duftende Pflegeprodukte auf Mutters Haut überdecken ihren natürlichen Körpergeruch und verunsichern Babys Geruchssinn. In den ersten Wochen ist es daher ratsam, sparsam mit diesen Produkten umzugehen.
Wenn es um seine Nahrung geht, ist Babys Nase ebenfalls ein feiner Sensor. Säuglinge sind früh in der Lage, verschiedene Geschmacksrichtungen zu unterscheiden. Dennoch brauchen sie in den ersten Monaten keine geschmacklichen Abwechslungen und sind mit Mutter- oder Säuglingsmilch völlig zufrieden.
Für Stillbabys ist das Trinken an der Brust zudem nicht nur Nahrungsaufnahme. Sie verbinden damit immer den individuellen Geruch der Mutter, engen Körperkontakt und eine Extraportion Kuscheln. Hält ihnen die Mutter plötzlich ein Fläschchen vor die Nase, reagieren manche verunsichert und wenden den Kopf ab – von der Mutter sind sie die Brust gewöhnt.
In Familien, in denen ein Baby zusätzlich zur Stillmahlzeit ein Fläschchen bekommt, kann es daher sinnvoll sein, wenn eine andere Person das Füttern übernimmt.
Sippengeruch
Du riechst so gut: Babys sind in der Lage, einen „Sippengeruch“ wahrzunehmen. Wenn Besuch ins Haus kommt, der nicht zur Familie gehört, sind die Kleinen hinterher häufig unruhig und quengeln – fremder Geruch verunsichert manche Säuglinge.
Irritiert reagieren Babys auch häufig dann, wenn sie anstatt in ihrer vertrauten Wiege in einem neuen Bettchen schlafen sollen. Neue Möbel verströmen oft störende Gerüche und sollten daher erst einige Zeit ausdünsten, bevor sie ihren Platz im Kinderzimmer finden. Nicht ohne Grund hilft Kindern mit Einschlafproblemen ein getragenes T-Shirt der Mama in ihrer Nähe.
Auch Kuscheltiere und Decken, die der Nachwuchs später oft als stillen Gefährten begleiten, sind nicht mehr die gleichen, wenn sie einmal gewaschen wurden. Der spezielle Geruch, der dem geliebten Gegenstand anhaftet, ist dann verschwunden – und damit auch die Vertrautheit.
"Bonding": auf Tuchfühlung nach der Geburt
Nachdem Babys die schützende Hülle des Bauches verlassen haben, sind zarte Berührungen, Körperwärme, vertraute Gerüche und Stimmen besonders wichtig, um sich in der neuen Umgebung wohl zu fühlen.
Auch ertastet das Baby das erste Mal die Brustwarze seiner Mutter und trinkt. Aus diesen Gründen ist das so genannte „Bonding“, der erste intensive Kontakt des Babys mit seinen Eltern nach der Geburt, besonders prägend und elementar.
Es knüpft an die Zwiesprache an, die Mutter, Vater und Kind schon während der Schwangerschaft geführt haben. Die Stimmen der Eltern erkennt das Baby sofort wieder und lässt sich von ihnen schneller beruhigen als von fremden Stimmen.
Studien haben gezeigt, dass Säuglinge sogar mit einem Gehör für ihre Muttersprache auf die Welt kommen: Ihre Worte und Sprachmelodien haben sie bereits im Bauch aufgenommen.
Expertin: Dorothea Kühn, freiberufliche Hebamme,
2. Vorsitzende im Bund freiberuflicher Hebammen Deutschlands e.V. (BfHD), Frankfurt am Main