
Vor ein paar Tagen habe ich einen wundervollen Text von Jessica Pressler gelesen. Jessica ist eine New Yorker Journalistin und schreibt für so schicke Zeitschriften wie "Elle" und "GQ" oder das "New York Magazine". Ihre Arbeit verschaffte ihr schon immer Zutritt zu glamourösen Veranstaltungen und hippen Partys, auf denen sich die New Yorker High Society und Promis aller Branchen die Klinke in die Hand geben. Jessica war stets mittendrin. Dann wurde sie Mutter.
Baby da, Sozialleben vorbei?
In diesem Text, der mir so sehr ans Herz gegangen ist, beschreibt Jessica, wie sie nun mit ihrem Kind zu Hause sitzt und die Promi-Partys nur noch im Insta-Feed ihrer Freundinnen miterlebt. Eine von ihnen postete sogar ein Foto von sich mit Beyoncé! Genau in dem Augenblick, als Jessica das Selfie ihrer Freundin zusammen mit "Queen Bee" entdeckte (und auf dem sie vor wenigen Monaten ganz sicher noch selbst mit drauf gewesen wäre), ließ ihr Sohn eine Flut an dröhnenden, unglamourösen Pupsen los.
Und dennoch, so stellt Jessica in ihrem Text fest, macht ihr das alles überhaupt nichts aus. Sie verspürt keinerlei Neid, keinen Funken Eifersucht. Ein Blick auf ihren Sohn reichte, um ihr klarzumachen: Sie verpasst gerade nichts. Sie ist genau richtig, da wo sie ist. Und sie würde nirgendwo anders lieber sein. Nicht einmal, wenn Beyoncé höchstpersönlich vor Ort ist.
I feel you, Mama.
Ich war nie auf derselben Party wie Beyoncé. Und anders als Jessica auch bei keiner Veranstaltung, auf der nur annähernd die Chance bestanden hätte, ihr oder Rihanna oder J.Lo oder wem auch immer zu begegnen. Und trotzdem habe ich mich von jedem einzelnen Wort dieses Artikels sofort persönlich angesprochen gefühlt. Als würde die Autorin sich von der Seele schreiben, was ich seit Jahren fühle – und nur noch nie selbst so ausformuliert hatte. Ganz egal, wie Jessicas oder mein oder euer Leben einmal aussah: Seitdem wir Mütter sind, hat es sich schlagartig verändert. Was das anbelangt, sitzen wir Mamas alle im selben Boot. Und am Tag der Geburt unseres ersten Kindes mussten wir umsteigen. In ein engeres, unflexibleres, weniger schickes Boot. Eins mit Familienkabinen und Betten, in denen wir in den ersten Jahren kaum schlafen können. Und das uns erst jetzt erkennen lässt, in was für einem Luxus wir zuvor eigentlich gelebt haben.
Ich bin früher auf High-Heels zur Arbeit gestöckelt und danach zum "After-Work-Drink" mit den Kolleginnen und Kollegen weitergezogen. Ich habe regelmäßig meine Freundinnen in Kiel und Berlin und Stuttgart besucht und wenn eine von ihnen gefragt hat, ob wir nicht mal wieder spontan ein Wochenende ganz woanders hinfahren wollen, war mein niedriger Kontostand die einzige Hürde, die wir nehmen mussten. Während meines Jobs bei einem Kinderzeitschriftenverlag wurde ich sogar mal für eine Präsentation nach Paris eingeladen, inklusive Flug und Hotel und Verpflegung – ich musste nur noch JA sagen (und tat es auch).
Mit Kindern ist alles komplizierter
Ende letzten Jahres kam wieder so eine tolle Einladung – dieses Mal nach Lissabon. Ich hätte keinen Cent bezahlen und einfach nur JA sagen müssen. Konnte ich aber nicht, da es logistisch mit meinen beiden Kindern unmöglich gewesen war, diese Tage so kurzfristig umzuplanen. Also sagte ich Nein. Genau wie zu den zahlreichen After-Work-Einladungen, den WG-Partys, den spontanen Kinoabenden und Städtetrips zu lieben Freundinnen, die (ganz unabhängig von Corona und auch schon lange davor) für mich trotz Partner, der es mir jederzeit gern ermöglichen würde, einfach nicht mehr machbar waren. Meine letzte echte Partynacht ist Monate her, unser nächster romantischer Trip ohne Kids in weiter Ferne und obwohl ich an manchen Tagen von einem Termin zum anderen hetze, bleibe ich für die meisten meiner Kunden "die Mutti, die nach 15 Uhr schwer zu erreichen ist".
Mit Kindern ist alles wundervoller
Für mein High-Heels-tragendes Vergangenheits-Ich klingt dieser Zustand nach purem Horror. Aber mein Vergangenheits-Ich kannte auch noch nicht die beiden großartigen Gründe für diesen Zustand. Ich hatte keine Vorstellung von der bedingungslosen, uneingeschränkten, mit nichts zu vergleichenden Liebe, die einem im Kreißsaal mit den eigenen Kindern mitgegeben wird. Die ultimative Erweiterung der eigenen Emotionen. Ich wusste nicht, dass das Lächeln eines Babys, die Umarmung eines Kleinkinds oder das "Ich hab dich lieb, Mama" eines wackelzahnpubertierenden Grundschulkindes mich in Nanosekundenbruchteilen für jede verpasste Party, jeden ausgefallen Kurztrip und jedes "Nein, das schaffe ich leider nicht" entschädigen.
Natürlich vermisse ich manchmal die Flexibilität und die Sorglosigkeit von früher. Und ich freue mich darauf, dass die Kinder eines Tages alt genug sein werden, um zumindest die Flexibilität zurück in mein Leben treten zu lassen. Aber hier und heute bin ich nicht neidisch auf die Kolleginnen, die nun ohne mich zum After-Work-Treffen gehen. Noch nicht einmal auf die Mitarbeiterin, die an meiner Stelle nach Portugal fahren konnte. Als sie mir Fotos aus Lissabon schickt, sitze ich gerade mit meinen Kindern in der Küche, esse Waffeln mit Erdbeeren und spiele Memory.
Und ich möchte in dieser Sekunde nirgendwo anders sein als genau hier mit diesen beiden großartigen Menschen.
Autorin: Silke Schröckert