
Zu viel Ego, zu wenig Mut? Beides lässt sich ändern
Zwei Kinder, wie sie unterschiedlicher kaum sein könnten. "Ein bisschen mehr Zurückhaltung würde Emma nicht schaden, dann wäre sie auch besser in der Schule", sagen ihre Eltern. "Wäre unser Sohn nicht so schüchtern, würde ihm vieles im Leben leichter fallen", meinen Maltes Mutter und Vater.
Die Eltern von beiden Kindern haben Recht. Jeder auf seine Weise. Unbestritten ist Durchsetzungsvermögen eine der wichtigsten Eigenschaften in unserer Leistungsgesellschaft. Doch nur mit Ellenbogen-Einsatz kommt man nicht weiter. Damit lässt sich zwar manches Ziele schnell erreichen, langfristig erzeugt die rabiate Tour jedoch viele Widerstände. Und sie macht einsam. Ob zu viel Ego oder zu wenig Selbstvertrauen – beides ist keine gute Voraussetzung für ein glückliches, erfolgreiches Leben. Doch alle Eltern, die sich Sorgen um ihr Kids machen, können sich trösten: Jedes Kind hat zwar verschiedene Anlagen, doch sein Verhalten im Bezug auf die Mitmenschen ist nicht angeboren, sondern lernbar.
Deshalb haben die Eltern von Emma und Malte für ihre Kinder auch den Besuch in einer Kreativ-Einrichtung wie der Stage Coach-Schule in Hamburg-Bahrenfeld ausgesucht. Jeweils am Freitag Nachmittag und Samstags vormittags kommen die beiden mit gut 20 anderen Kindern in ihrer Gruppe zusammen – und erlernen sich darzustellen. Ein Stunde Gesang, eine schauspielern und eine tanzen. "Durch das Erfahren des eigenen Körpers dabei bekommen die Kinder mehr Vertrauen zu sich selbst", erläutert Alexandra Greye, Leiterin der Hamburger Stage Coach- Einrichtung.
Haben Kinder Schwierigkeiten, weil sie entweder schüchtern oder draufgängerisch sind, können Eltern auch gut helfen, indem sie authentisch interessierte Fragen stellen und ihre Kinder begleiten, ihnen aber kein Verhalten vorgeben. Unterstützende Fragen sind zum Beispiel "Wie ist das für dich?", "Was hindert dich?" und "Wovor hast du Angst?"
Mitgefühl mit anderen ist heute mehr gefragt denn je
Pädagogen sind sich heutzutage einig, darüber dass Kinder langfristig die besten Chancen haben, die genau die Dinge beherrschen, die eine moderne Gesellschaft von ihnen erwartet. Die in der Lage sind, gleichermaßen zurückzustecken wie vorzupreschen – jeweils der Situation angemessen. Empathie, also die Fähigkeit, sich in andere Menschen hineinzuversetzen, ist heute mehr gefragt denn je. Doch wie lernt ein Kind das?
Dieser Prozess beginnt mit einer Erziehung zu einem gesunden Selbstbewusstsein. Das geht schon bei den Kleinsten los. Babys kommen erst einmal – und das hat die Natur sinnvollerweise so vorgegeben – als grenzenlose Egoisten auf die Welt. Um zu überleben, müssen sie ihre Bedürfnisse ohne Rücksicht auf andere durchsetzen. Mit allen Kräften, die ihnen zur Verfügung stehen, was sich insbesondere in der Schreifähigkeit zeigt. Instinktiv reagieren Erwachsene darauf.
Urvertrauen schaffen: Wir sind für dich da!
In den ersten Monaten des Lebens wird das Urvertrauen gelegt. Das Beste, was Eltern ihren Minis mit auf den Weg geben können, besteht in diesem Alter darin, Sicherheit zu vermitteln. Das Baby pflegen, liebkosen, tragen, trösten, streicheln, mit ihm reden. Ein Baby, das erfährt "Mir wird geholfen", kann sich später selbst helfen. Kurzum: Es wird ein starkes Kind.
Erst im Alter zwischen eineinhalb und zwei Jahren erkennen Kleinkinder sich als Person und die Konsequenzen ihres Verhaltens für andere. Die Familie ist jetzt ihre wichtigste Orientierung. Eltern oder größere Geschwister leben in dieser Phase vor, was gefragt ist, und vermitteln, wie man sich richtig verhält. Indem sie zum Beispiel klar und deutlich "Nein" sagen, wenn der eigene Spross im Sandkasten einem anderen eins überbrät, weil er die Schaufel des gleichaltrigen Kumpels haben will. Oder dass jemand nur etwas abbekommt, wenn er auch selber gibt.
Positive Motivation stärkt Kinder
Die beste Basis für Erfolg bei anderen und später in der Schule ist Selbstsicherheit, die aber nicht mit Egoismus verwechselt werden darf. Eltern fördern das, indem sie ihrem Kind von Anfang an möglichst viele Lernchancen geben und es dabei positiv motivieren. "Du schaffst das – probier es ruhig, wir helfen dir – Du kannst das schon alleine – Versuch es noch mal, bis es klappt" – solche Sätze sind für Kinder besser als Kritik an Defiziten ("Du kannst das ja immer noch nicht" – "Wie oft soll ich es dir noch sagen?").
Ist ein Kind auf einem Gebiet besonders gut, sodass es schon fast zur Hochnäsigkeit neigt, sollten Eltern ihre Aufmerksamkeit behutsam auf Bereiche lenken, in denen es noch Hilfe braucht. Ein hervorragender Schüler wie Malte zum Beispiel braucht keine Nachhilfe, um Selbstbewusstsein aus noch besseren Noten zu ziehen. Er braucht Unterstützung im Kampf gegen seine Schüchternheit. Und die kann er z. B. sehr gut in einer Situation erfahren, die ihn mit anderen Kindern ins Gespräch bringt. Er lernt zudem in Rollenspielen oder auf der Bühnen vor anderen laut zu sprechen. Oder sich ohne Scheu zu schöner Musik zu tanzen.
Selbstbewusstsein stärken bei Kindern: Lob und Anerkennung in "schwachen" Bereichen
Emma hingegen müsste sich mehr zurücknehmen und sich auf Lerninhalte konzentrieren. Sie braucht Lob und Anerkennung, nicht nur, wenn ihr eine Tanzübung gelingt, sondern auch in der Schule. Grundsätzlich sollten Eltern darauf achten, dass ihre Kinder sich nicht durch zu große Herausforderungen frustrieren lassen und durch zu kleine zu Angebern werden.
Gleichgültig, ob ein Kind zu schüchtern oder zu forsch ist – für alle gilt: Bleibt mit eurem Nachwuchs im Gespräch. Redet zu Hause über Emotionen. Erlaubt eurem Kind zu weinen oder traurig zu sein. Zeigt Mitgefühl und Wege aus Krisen, indem ihr vorlebt, dass es immer lohnt, eine Lösung zu suchen. Gebt euch nicht selbst auf, damit es eurem Sprösslingen vermeintlich besser geht. Erlaubt Fehler, ohne zu schimpfen oder rechthaberisch aufzutreten ("Ich habe dir doch gleich gesagt, dass du das nicht schaffst"). Erklärt euren Kindern, warum ihr wütend, schlecht gelaunt, stolz oder gerade besonders glücklich seid. Wer die eigenen Emotionen und die Gefühle anderer kennt, wird automatisch empathisch.
Sich selbst nicht rücksichtslos behandeln zu lassen, stärkt auch das Kind
Daher spielt gegenseitige Rücksichtnahme auch innerhalb der Familie eine große Rolle. Eltern gehen dabei als gutes Vorbild voran, indem sie sich selbst rücksichtsvoll verhalten, gleichzeitig aber "Stopp" sagen, wenn sie sich rücksichtslos behandelt fühlen. Damit leben sie vor, "dass man Rücksichtslosigkeit nicht über sich ergehen lassen muss", sagt die Kölner Psychologin Elisabeth Raffauf. Andererseits müssen Kinder lernen, für sich einzustehen. Aber auch in diesem Fall gilt gegenseitiger Respekt als Maßstab. Eltern können ihren Kindern vermitteln, dass sie sie ernst nehmen und dass die Meinung ihrer Kinder wichtig ist. Elisabeth Raffauf: "Das ist das Signal, das wir Kindern senden können und das Selbstvertrauen und Selbstwirksamkeit vermittelt."
Autoren: Stephanie Albert, Christian Personn