Die Kinderlos-Kolumne

"Kein Kind wird mich je 'Mama' nennen"

Unsere Autorin Antonia ist kinderlos, hat aber sehr viele Kinder im Familien- und Freundeskreis. In ihrer Kolumne erzählt sie, wie sie die Welt "mit ohne" erlebt.

Unsere Autorin beschreibt, wie sich ihr Leben ohne eigene Kinder anfühlt (Symbolbild). © Foto: Getty Images/Westend61
Unsere Autorin beschreibt, wie sich ihr Leben ohne eigene Kinder anfühlt (Symbolbild).

Ich bin kinderlos. Bin ich die Kinder los? Oder bin ich einfach frei davon? Auf jeden Fall bin ich ohne Kinder. "Mit ohne" quasi. Das lässt sich nicht leugnen.

Wenn auch nicht ganz freiwillig, denn natürlich war irgendwann mal mein Plan, später selber Kinder zu bekommen. Leider hat die Gesundheit mir einen Strich durch die Rechnung gemacht.

Heute stellt sich die Frage, ob mir etwas fehlt. Ich vermisse eigentlich nichts, da ich das Gefühl mit leiblichem Kind ja nie gekannt habe. Und ich bin nicht alleine. Dabei ist tatsächlich jedes zehnte Paar in Deutschland (ungewollt) kinderlos. Aus diesem Grund stigmatisiert zu werden, ist tief verletzend, kommt aber immer wieder vor. Bohrende Fragen, warum man keine Kinder hat, heutzutage gebe es doch so viele Möglichkeiten, stehen bei vielen Kinderlosen an der Tagesordnung.

Dabei ist Kinderlosigkeit weder Makel noch Tabu und im Zweifel die privateste Entscheidung, die jeder für sich selber treffen muss.

Die vorsätzlich "mit ohne" wurden in Studien sogar in Kategorien eingeteilt: Da gibt es die emanzipierten Karrieristinnen, die Sozialkritiker, die freiwillig Kinderlosen sowie die nachgiebigen Partner. Jeder hat seine Entscheidung bewusst getroffen und kann scheinbar gut damit leben. Gibt es so eine Einteilung für gewollte Mütter eigentlich auch?

Leerstellen füllen

Gut damit leben kann ich auch. Nur mein Umfeld zeigt mir durch seinen Nachwuchs so etwas wie eine Leerstelle auf. Da die Paare in meinem Freundeskreis fleißig gesammelt und fast ausnahmslos je bis zu vier Kinder haben, merkte ich mit der Zeit, dass bei mir und meinem Mann irgendetwas anders ist. Früher waren doch immer die anderen mit den Kindern die Exoten, mittlerweile gehören wir gefühlt selbst dazu – die Welt hat sich umgedreht und es ist faszinierend zu beobachten, wie sehr meine Freundinnen im Muttersein aufgehen und alles andere zweitrangig wird. Ihr Leben findet ab jetzt ausschließlich in der Umlaufbahn des Lebens ihrer Kinder statt, sie werden fremdbestimmt und wer die Kontrolle auf Dauer nicht abgeben will, steigt in den Helikopter und trackt auf Babys Spuren los.

Manchmal verspüre ich einen kurzen Stich, wenn ich glückliche Eltern gemeinsam mit ihren Kids lachend auf Picknickdecken sitzen sehe, wenn das kleine Mädchen in Papas Arme stürmt und er es beseelt herumwirbelt.

Das sieht alles so leicht aus, so selbstverständlich. Dabei weiß ich genau, wie viel Arbeit in den Beziehungen steckt. Wir machen also Platz für Familie. Da unsere Nachbarn vor lauter Nachwuchs aus ihrer Wohnung quollen und wir es lieber cosy mögen, haben wir uns freiwillig verkleinert und unsere geräumigen vier Wände mit ihnen getauscht, damit sie sich voll entfalten können.

Die liebe Tante, nicht mehr und nicht weniger

Es ist verblüffend: niemand in unserem Freundeskreis außer uns ist kinderlos; selbst die sind Eltern, die nie wirklich daran dachten. Aber wir sind nicht allein, wir sind umgeben von Kindern und profitieren vom Nachwuchs der anderen. Da sind etwa unsere sieben Patenkinder.

Und zum Glück habe ich mit meinen Nichten und meinem Neffen, mit denen ich sehr eng bin, auch ein ganz bisschen das Gefühl von Ersatz-Mutterschaft. So ein Moment, wenn meine große Nichte mir ein Geheimnis anvertraut, das selbst ihre Mutter nicht kennt oder mein kleiner Neffe mir einen Liebesbrief mit lauter Herzen schreibt, ist Balsam für meine Seele und macht mich stolz.

Gemeinsam schaffen wir schöne Erinnerungen und mein Vorteil ist: Ich teile nur die guten Momente der Kinder, wenn sie sich von ihrer besten Seite zeigen. Ich bin und bleibe die liebe Tante, nicht mehr und nicht weniger. Erstaunlich ist, dass fast alle Kinder mich mögen, dass ich sie interessiere. Kinder kommen gerne zu mir, warum auch immer, vielleicht sind sie neugierig, weil es einfach mit mir anders ist. Nie musste ich Windeln wechseln oder schlimmste Schreianfälle über mich ergehen lassen, nie den Kids hinterherräumen, nie in eine derart neue Rolle hineinwachsen.

Nur werde ich auch nie das an mich gerichtete Wort 'Mama' hören.

Die Sorgen der anderen

Wenn es mir zu bunt wird, kann ich immer weg. Tatsächlich gibt es genügend Situationen, in denen ich froh bin, nicht diese latente Fürsorgepflicht zu haben. Diese Sorge um einen Menschen, dem etwas passieren könnte, der von mir abhängig ist, den ich erziehen muss, für den ich voll verantwortlich bin. Meine Sensibilität stünde mir da garantiert im Wege und würde mich verunsichern.

Nein, diese kleinen Scheißerchen fehlen mir ehrlich gesagt nicht wirklich zu meinem Glück. Ich hätte wahrscheinlich weder die Kraft noch die Geduld, damit umzugehen.

Auch wenn die Zwerge ja auch bestechend süß sein können und man unter ihren Blicken zerfließt wie warme Butter. Dabei bestätigen mir meine Freundinnen ständig, wie viel man bei aller Anstrengung doch zurückbekommt und ich sehe es an ihren leuchtenden Augen, was ihnen das Mamasein gibt. Ich genieße die Kleinen eher passiv und schneide mit ihnen lustige Grimassen. Wobei ich auch mal eine Geschichte vorlese oder ein Mandala ausmale.

Natürlich interessiert mich wirklich, was sie machen, was sie bewegt, wie sie sich entwickeln und heranwachsen. Das muss es auch, wenn mir an meinen Freundinnen etwas liegt.

Dennoch bin ich erleichtert, wenn ich mich wieder rausziehen kann, keine schlaflosen Nächte verbringen oder mich um deren vernünftige Erziehung kümmern muss. Das würde mich garantiert überfordern, obwohl mir Mamas unisono bestätigen, man wachse mit seinen Aufgaben und der Instinkt sei oft der beste Ratgeber.

Großartig, Kinder!

Wenn ich nun aber die smarten Jungs sehe und die zarten Mädels, die ich seit ihrer Geburt kenne und nun bemerke, wie sie von Zauberhand ihren Müttern über den Kopf gewachsen sind sind, sehe, was aus ihnen wird, wie cool sie sind, wie eigen und wie kommunikativ, dann regt sich plötzlich was in mir und ich denke, wie schön das sein muss. Große Kinder, großartig! Die Post-Pubertiere, die wach und von ganz alleine vollständige, grammatikalisch korrekte Sätze bilden, die selber vernünftige Dinge anstoßen und ihre eigene Meinung vertreten. Die mit einem Mal aussehen wie ihre Mutter, meine Freundin, sich so elegant bewegen wie sie oder genauso die Augen verdrehen. Wenn der Riese von Sohn meiner Freundin den Arm um die Schulter legt und ihr liebevoll einen Kuss aufdrückt oder wenn ich die Blicke sehe, die sich Mama und Tochter zuwerfen, in denen so viel steckt, so viele Sorgen, so viel Vertrauen, so viel Nähe und Liebe. Diese Momente rühren mich und bewegen mein Herz. Denn ich weiß auch, wie viel Blut, Schweiß und Tränen dahinterstecken, bis es so weit ist.

Denn ich weiß natürlich auch, dass ich dieses einzigartige Gefühl nie erleben werde. Ich kann nur hoffen, dass die großen Kinder der anderen auch zu mir kommen werden, wenn sie Rat und Austausch suchen.

Das größte Glück geht auch mit ohne

Große Kinder bedeuten allerdings auch, dass meine Freundinnen als solche aus ihrer Nestzeit zurückkehren. Als wäre nichts gewesen sind sie plötzlich zurück aus ihrer selbstverordneten Heim-Quarantäne und wieder verfügbar.

Manchmal denke ich, es wäre schön gewesen, ebenfalls nachzuspüren, wie sich das anfühlt – einen Menschen zu haben, der ein Teil von mir ist und mir von seiner DNA nähersteht als mein Mann. Dass etwas von mir nach meiner Zeit bleibt.

Leider habe ich diese Chance verpasst. Aber ich habe nichts zu bereuen, da ich keine Wahl hatte, es ist absolut okay so, wie es ist. Schließlich ist auch unser Leben kinderreich. Bedingungslos zu lieben und zurückgeliebt zu werden ist für mich das größte Glück und Sinn des Lebens – auch ohne eigene Kinder. Das zu erleben und ganz nebenbei die Kinder meiner Familie und Freunde großwerden zu sehen, macht mich jeden Tag happy.

Die Kinderlos-Kolumne

Ohne Helikopter, ohne rosarote Brille, ohne Mama-Gen: Unsere Autorin Antonia Müller (auf diesem Bild mit ihren beiden Nichten) betrachtet Kids und ihre Eltern aus einer anderen Perspektive – nämlich der ohne eigene Kinder. Eine Kolumne mit Herz, Humor, ein bisschen Kritik und ganz viel Respekt.

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