Erholsamer Schlaf tut allen gut – will aber erlernt sein.© Foto: Getty Images/Cavan Images
Erholsamer Schlaf tut allen gut – will aber erlernt sein.

Mia ist ein fröhliches, neugieriges Kind. Aufmerksam erforscht sie ihre Umwelt. Seit sie mit acht Monaten krabbeln gelernt hat, ist nichts mehr vor ihr sicher. Was Mia überhaupt nicht mag? Schlafen. Nur wenn Papa Alex seine Tochter im Auto spazieren fährt, herrscht himmlische Ruh. Kein Wunder, dass der Tank ständig leer ist und die Eltern oft ziemlich schlecht gelaunt sind.

Schlaf-Sprechstunde für Eltern von Säuglingen

Schlafstörungen? Das Wort mögen Experten nicht, sie sprechen lieber von Regulationsstörungen, zumindest wenn Kinder bis zu einem Jahr Probleme mit dem Schlafen haben. Seit einigen Jahren werden in Deutschland immer mehr Sprechstunden zu diesem Thema angeboten. Am Sozialpädiatrischen Zentrum des Malteser Krankenhauses St. Anna in Duisburg leitet sie der Psychologe und Psychotherapeut Gero Hufendiek. Zu ihm kommen häufig Eltern am Rande des Nervenzusammenbruchs. "Beim Ersttermin versuchen wir festzustellen: Wie geht es den Eltern? Was erwarten sie? Wie verhält sich ihr Kind? Wie lange liegt die Problematik vor, was wurde bisher unternommen?", erzählt der Psychologe.

Ein Kind wie Mia ist für den Experten ein echter Klassiker: Viele Kinder, die Schwierigkeiten mit dem Einschlafen haben, sind neugierig und extrovertiert. Wegen ihrer unbändigen Lust, ihre Umwelt zu entdecken, ist es für Eltern oft schwer zu erkennen, wann diese Kinder müde werden. "Wenn das Kind dann quengelt oder schreit", sagt Hufendiek, "denken sie, dass ihm langweilig ist, und starten ein Unterhaltungsprogramm." Die Kinder reagieren darauf erst positiv, sind aber körperlich an einem Punkt, an dem sie eigentlich nicht mehr können. Sie gehen dann über ihre Müdigkeit hinweg – "mit dem Effekt, dass sie Minuten später wieder schreien."

Jedes Kind braucht eine Einschlafstrategie

Babys müssen lernen, dass es kein Problem ist, hingelegt zu werden. Und zum Einschlafen müssen ihnen die Eltern Wege zur Entspannung zeigen. "Jeder Mensch, ganz egal wie alt, braucht eine Einschlafstrategie", weiß Ärztin und Schlafberaterin Daniela Dotzauer. Ganz entscheidend bei Schlafstörungen ist für die Medizinerin das Alter des Babys.

"Natürlich ist es okay, wenn kleine Säuglinge an der Brust einschlafen", findet unsere Expertin. "Doch etwa im zweiten Lebenshalbjahr sollte eine andere Einschlafstrategie her, damit auch der Papa das Kind ins Bett bringen kann." Grundsätzlich gilt: Je älter das Kind ist, desto schwerer wird es, ihm lieb gewonnene Rituale abzugewöhnen. "Das nächtliche zweistündige Aufwachen hat etwa ab dem fünften Monat nichts mehr mit Hunger, sondern mit dem Wechsel der Schlafphasen zu tun", erklärt Dotzauer und rät Eltern, das Kleine zu beruhigen und ihm zum Weiterschlafen gut zuzureden, statt es hochzunehmen und zu füttern.

Schlafprobleme sind sehr belastend – und völlig normal

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Schlaflose Nächte zehren an den Nerven und führen zu Stress.

Dass Kinder nachts aufwachen, ist völlig normal. "Das sieht unser genetisches Programm so vor. Wir müssen kontrollieren, ob alles in Ordnung ist", beruhigt Barbara Nardmann-Stahl, die viele Jahre an der Schreiambulanz im Duisburger St.-Anna-Krankenhaus tätig war. Warum machen Babys durch Schreien auf sich aufmerksam? "Es kann das Bedürfnis nach Nähe sein, nach den Eltern oder Geschwistern", sagt Nardmann-Stahl.

Ähnlich sieht das die Sozialpädagogin und Schlafberaterin Petra Weidemann-Böker: "Sehr viele Kinder haben Phasen, in denen sie schwer ein- oder durchschlafen. Das fängt schon nach der Geburt an. Schließlich muss sich der Säugling auf das Leben außerhalb des Mutterleibs einstellen." Spätere Schlafprobleme entstehen mit dem Zahnen oder weil spannende Erlebnisse zu verarbeiten sind.

Haben Kinder über einen längeren Zeitraum Schwierigkeiten, in den Schlaf zu finden, ist der Schlaf der Eltern ebenfalls gestört. Dauerhafter Schlafmangel führt zu Stress und Aggressionen. Eltern brauchen daher zunächst mal Entlastung und Unterstützung. Aber "gerade wenn Eltern etwas ändern sollen, steigert sich ihr Stresslevel manchmal noch", weiß Nardmann-Stahl. Erste Hilfe für die Eltern? Die Versicherung, dass Schlafprobleme weit verbreitet sind, weiß Psychologe und Psychotherapeut Gero Hufendiek. Käme diese Botschaft bei den Eltern nicht an, dächten sie, "wir machen etwas falsch".

Das Bettchen richtig gestalten

Ob das Kind im Ehebett oder im eigenen Zimmer schläft, hat so trotz anders lautender Behauptungen vieler Großeltern kaum Einfluss auf die Durchschlafqualität. Entscheidender ist, wie die Schlafstatt gestaltet ist. Hier lauert ein Problem: In vielen Familien ist das Kinderbettchen kein richtiger Schlafplatz: "Vor lauter Kuscheltieren und Spielsachen hat das Kind häufig selbst kaum ausreichend Platz", berichtet Schlafberaterin Weidemann-Böker.

Klug, wer beherzigt, dass der Kinderschlafplatz der kuscheligste und schönste Platz in der Wohnung ist. Ein Ort, an dem sich das Kind geborgen und sicher fühlt. Deshalb warnt Weidemann-Böker auch davor, Kinder "zur Strafe" ins Bett zu schicken. Kinder sollen gern ins Bett gehen, um dort allein zur Ruhe kommen. Damit das klappt, müssen sie laut Schlafberaterin Dotzauer erfahren, "dass Geborgenheit ein innerer Ort ist, unabhängig von der körperlichen Anwesenheit der Eltern".

Die häufigsten Schlafräuber: Angst und Stress

Oftmals sind es psychische Belastungen wie Angst und Stress, die den Jüngsten den Schlaf rauben. Was hilft? Liebe, Zuwendung, Geborgenheit und Verständnis. Wer sein Kind stark und ausgeglichen machen möchte, sollte zuverlässig für es da sein, es zudem nicht unter Leistungs- oder Erwartungsdruck setzen und übermäßige Reize etwa durch Fernseher oder Tablets vermeiden.

Viele Eltern unterschätzen zudem die Auswirkung von eigenem Stress oder Streit mit dem Partner. "Eltern, die oft streiten, sind für jedes Kind ein Stressfaktor. Streit zwischen Eltern macht Angst", sagt Weidemann-Böker.

Daneben gibt es allerdings auch Stressfaktoren, die sich dem Einfluss der Eltern entziehen: etwa ein pränatales Trauma oder Geburtstrauma oder neue Entwicklungsphasen. Im ersten Lebensjahr durchlaufen Kinder mehr körperliche Entwicklungsstufen als im gesamten Rest ihres Lebens. Es braucht also zunächst mal Geduld und den ein oder anderen Trick:

Anzeichen für Müdigkeit erkennen

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Wenn Babys sich die Augen reiben, ist dies ein eindeutiges Zeichen für Müdigkeit.

Besonders Babys und Kleinkinder haben um die Mittagszeit und zwischen 17 und 19 Uhr einen "toten Punkt". Weidemann-Böker: "Ein Kind, das zu diesen Zeiten ins Bettchen gelegt wird, hat mit dem Einschlafen weniger Probleme." Die Expertin nennt vier objektive Anzeichen, an denen Eltern erkennen können, ob ihr Kind müde ist:

  • Blick ins Leere: Beim Neugeborenen werden die Augen zuerst müde. Es wendet den Blick ab. Ist es etwas älter, wendet es entweder den Blick ab oder drückt den Kopf – wenn ihr es im Arm haltet – an euren Körper. Die Kinder werden still, hören auf zu spielen. Manche reiben sich mit Fingern und Fäusten durchs Gesicht.
  • Kein Interesse: Selbst die liebsten Spielsachen sind jetzt uninteressant. Es schiebt sie zur Seite. Es will keine Ablenkung oder Anregung – es will Ruhe.
  • Wackelig auf den Beinen: Ist das Baby in der Lage, sich auf die Beine hochzuziehen, erkennt man seine Müdigkeit daran, dass es unsicher wird und sich bei Mama oder Papa am Bein festklammert.
  • Auf der Flucht vor dem Schlaf: Zwei- oder Dreijährige sind mitunter wie aufgedreht, wenn sie müde sind. Sie laufen dem Schlaf regelrecht davon. Meist hilft es, das Kind sanft festzuhalten und in den Armen zu wiegen. Oder ihr nehmt es auf den Schoß und erzählt ihm eine Geschichte. 

Kinder nicht schreien lassen

Ein Fehler, von dem alle Experten abraten: Eltern sollten ein Baby niemals schreien lassen, auch wenn diese Methode einige Jahre lang sehr populär war. Nardmann-Stahl: "Man sollte die Signale des Kindes immer ernst nehmen und beantworten. Ein Kind schreien zu lassen, um ihm dieses Verhalten abzutrainieren, halte ich für ein absolut schädigendes Verhalten.

Eltern sollten immer zwei Signale aussenden. Das eine: Die Nacht ist zum Schlafen da, wir brauchen alle unsere Ruhe. Und das andere: Ich lasse dich aber nicht alleine, ich bin da, und ich helfe dir." Auch Hufendiek warnt: "Ein Kind schreien zu lassen kann auch bedeuten, dass es lernt, wenn ich schreie, wenn ich ein Bedürfnis habe, dann kommt keiner."

Ein guter Tagesrhythmus hilft Kindern beim Schlafen

Für die Expertinnen Nardmann-Stahl und Weidemann-Böker liegt der Schlüssel zu gutem Schlaf nicht in der Nacht, sondern im Tag. Die Ursachen von Ein- und Durchschlafproblemen sind ihrer Erfahrung nach:

  • ein unstrukturierter Tagesablauf 
  • ständig wechselnde Schlafplätze 
  • kein festgelegtes Einschlafritual 
  • das Kind hat nie gelernt, alleine einzuschlafen 
  • Ablenkung durch Ersatzbefriedigung 
  • inkonsequentes elterliches Verhalten 
  • unangebrachte Erwartungen der Eltern 
  • Angst vor Trennung 
  • Konfliktvermeidungsstrategien 
  • Krankheit beim Kind 
  • Entwicklungssprünge

"Wer versteht, was einem Kind den Schlaf raubt, der hat bereits einen wichtigen Schritt getan", sagt Schlafberaterin Petra Weidemann-Böker.

Veränderung des Schlafrituals nur in kleinen Schritten

Eltern tun gut daran, mit ihrem Kind gemeinsam eine Schlafstrategie zu entwickeln, die allen ruhigere Nächte beschert. Allerdings braucht das Geduld, gerade wenn das Kind bislang gewohnt war, nur im Familienauto einzuschlafen.

Psychologe Hufendiek rät zur Veränderung in kleinen Schritten: "Dass man am Anfang erst vor dem Bett liegt, dann mal sitzt, die Hand hält, peu à peu sagt: 'Ich geh jetzt noch mal kurz raus und schau dann wieder nach dir.'" Gutenachtkuss, Spieluhr aufziehen, Feierabend. So wünschen sich das viele Eltern, und in den meisten Fällen gelingt das auch in den ersten zwölf Lebensmonaten. Von Rückschlägen sollten Mütter und Väter sich nicht entmutigen lassen. Das Einschlafen hat bisher noch jeder Mensch gelernt.

Buch-Tipp

Buch-Tipp: So lernen Kinder schlafen

Petra Weidemann-Böker: "So lernen Kinder schlafen  – die sechs besten Einschlaf-Programme für Kinder"* (Verlag Oberstebrink, 19,95 Euro, z.B. via Amazon).

 

Die drei Säulen des Tages für guten Schlaf

Neben dem Ausschalten von Störfaktoren können Eltern aktiv darauf hinwirken, dass ihr Kind das geregelte Schlafen lernt. Drei wesentliche Faktoren helfen dabei:

  1. Klare Regeln und Grenzen geben Orientierung. Sie sind die Halteleinen, an denen sich das Kind entlanghangeln kann, um sich die Welt Schritt für Schritt zu erschließen. Wichtig ist, dass die Eltern sich einig darüber sind, welche Grenzen und Regeln ihnen wichtig sind und dass sie diese konsequent durchhalten.
    Als Faustregel kann man davon ausgehen, dass ein Kind im Alter von einem Jahr maximal fünf Regeln mit einem "Nein" lernen kann. Wenn ein Kind erst einmal gelernt hat, dass Regeln und Grenzen am Tag verbindlich sind, dass ihr das, was ihr ankündigt, auch konsequent tut, dann akzeptiert es das auch nachts.
  2. Ein klarer Rhythmus bringt Ruhe in den Alltag: Oft sind die Schlafprobleme kleiner Kinder die Fortsetzung anderer Probleme, die sich tagsüber aufgebaut haben. Häufiger Fehler: zu viel Aktivität. Je mehr tagsüber los war, desto mehr hat ein Baby abends zu verarbeiten. Deshalb sollte das Kind am Anfang nicht allzu viel Abwechslung haben. Gebt dem Tag Ruhe, beobachtet euer Kind und seine Reaktionen. Dafür kann man auch ein Tagebuch führen: Sammeln sich darin sehr viele Aktionen an einem Tag, könnte das der Grund für unruhige Nächte sein.
    Schafft deshalb klare Strukturen am Tag – angefangen zum Beispiel beim Frühstück immer zur selben Zeit am selben Ort. Spielstunden oder gemeinsames Einkaufen können folgen, dann Mittagessen, vielleicht Spielplatzzeiten, schließlich das Abendessen. Wichtig: immer wieder Zeiten einplanen, in denen ihr mit eurem Kind kuschelt und ruhige Dinge tut, damit es selbst zur Ruhe kommt.
  3. Abendrituale erleichtern die Reise ins Land der Träume. In der letzten Stunde vorm Schlafengehen werden die Aktivitäten gedrosselt – und Bildschirme ausgeschaltet. Stattdessen: zusammen kuscheln, Bilderbücher anschauen oder ruhige Spiele spielen. Dann kündigt ihr an: "In einer halben Stunde ist Schlafenszeit." Daraufhin gibt es ein leichtes Abendessen. (Das ist für den Schlaf sehr wichtig, denn oftmals wachen Kinder auf, weil sie hungrig oder durstig sind. In diesem Fall ist das Wiedereinschlafen schwierig.)
    Nach dem Abendessen folgt die Ankündigung: "In zehn Minuten geht’s ins Bett." Dann Zähne putzen, und das Kind kann noch etwas spielen. Wenn es ins Bett geht, vielleicht in einen Schlafsack, dunkelt ihr den Raum ab, singt vielleicht noch ein Schlaflied oder erzählt eine Geschichte. In manchen Familien gehört auch ein Gebet zum Einschlafritual dazu. Manches Kind hat einen Teddy, den es bekommt, oder ihr zieht eine Spieluhr auf. Jetzt noch einen Gutenachtkuss, dann "Schlaf schön" sagen und das Zimmer ohne zu zögern verlassen.
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Einschlafrituale sorgen für gute Entspannung.

Schlaf-Tipps von Eltern-Beraterin Daniela Dotzauer

  • Für altersgemäßes Schlafen sorgen:
    Neugeborene schlafen etwa viermal am Tag. Sechs Monate alte Babys schlafen dreimal am Tag und sind zwei bis drei Stunden am Stück wach. Neun Monate alte Babys schlafen etwa zweimal am Tag und sind drei bis vier Stunden am Stück wach. Ab einem Jahr schlafen Kinder nur noch einmal am Tag und sind fünf bis sechs Stunden am Stück wach. Empfehlung: Kleine Babys wiegt man auf dem Arm, größere legt man schneller ab. Babys singt man ein Lied vor, bei Kleinkindern legt man sich dazu und bespricht kurz, was das Schönste am Tag war.
  • Einschlafroutine:
    Kinder nicht glockenwach hinlegen, sondern erst mal runterkuscheln. Das Kind muss müde und schlafbereit sein. Dabei unterstützen es die Eltern mit wiedererkennbaren Ritualen wie Kuscheln, ein Lied singen (mit Kleinkindern ein Buch anschauen), den Raum abdunkeln und mit ruhiger Einschlafsprache sprechen. Sch-Laute beruhigen zusätzlich. Außerdem: die Augen zu streicheln, Blickkontakt vermeiden, den Popo klopfen. So lernt das Kind, sich zu entspannen und einzuschlafen.
  • Selbst steuerbare Einschlafhilfen:
    Schnuller, Daumen, Kuscheltuch, Kuscheltier (Letzteres ab etwa 1 Jahr). Ab einem halben Jahr kommt der Schnuller in die Hand, nicht in den Mund. So lernt das Kind, sich selbst zu regulieren.
  • Abendroutine:
    früh abendessen, kurze Spielzeit, keine wilden Spiele mehr in der Stunde vorm Zubettgehen. Ins Bad gehen, das Kind bettfertig machen, das Baby tragen und wiegen, ein Lied singen/mit dem Kleinkind ein Bilderbuch anschauen.
  • Aufwachen in der Nacht:
    ist im Babyalter ganz normal. Weiterschlafsprache, ähnlich wie Einschlafsprache: beruhigend auf das Kind einreden, es streicheln und ihm sagen, dass alles gut sei und es weiterschlafen könne.
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