
Sechs Prozent von 245 Eltern hielten das Schütteln des Babys für eine geeignete Methode, um es bei exzessivem Schreien zu beruhigen. Das zeigte sich im Rahmen einer Analyse für den Kampagnenstart der Initiative "#schüttelntötet" am Hamburger Universitätsklinikum im November 2021. Erschreckenderweise hatten nur 40 Prozent der Eltern auf die Frage nach dem richtigen Handeln eine korrekte Antwort parat. Es zeigt sich, hier ist Aufklärung notwendig.
Was bei einem Schütteltrauma passiert
Doch was ist eigentlich so gefährlich daran, wenn man sein Baby schüttelt? "Das Gehirn des Kleinkindes wird durch das Schütteln im Schädel hin- und hergerissen", erklärt Kinderarzt Dr. Stefan Renz aus Hamburg. "Es hängt an Blutgefäßen, den sogenannten Brückenvenen. Diese reißen und es kommt zu einer Hirnblutung. Je nach deren Ausmaß verbleiben neurologische Schäden." Das ist es, was man unter einem Schütteltrauma versteht. Wird ein Baby geschüttelt, schnellt sein Kopf "wie eine Peitsche" vor und zurück, da es seinen Kopf nicht halten kann. "Die Symptome hängen ab vom Grad der Hirnschädigung", so der Kinderarzt. Erste Symptome können sein: Erbrechen, Abgeschlagenheit oder Unruhe.
Auch leichtes oder kurzes Schütteln sei bereits gefährlich für das Baby, da sollten Eltern sich nichts vormachen. "Das Schütteltrauma-Syndrom gehört zu den schwersten misshandlungsbedingten Verletzungen bei Säuglingen und Kleinkindern. Und es weist die höchste Sterberate auf", warnt Dr. Stefan Renz. Laut Apotheken-Umschau landen jährlich etwa 100 bis 200 Babys mit Schütteltrauma in deutschen Kliniken. Mehr als die Hälfte bleibt lebenslang schwer behindert, erblindet, oder leidet an Krampfanfällen. Jedes dritte Kind stirbt.
Fälle von Kindesmisshandlung nehmen zu
Es gab laut Dr. Renz im Jahr 2020 insgesamt über 3700 Fälle von Kindesmisshandlung, die Dunkelziffer ist sicher sehr viel höher. "Aus Befragungen von älteren Kindern und jungen Erwachsenen wissen wir, dass etwa fünf bis zehn Prozent aller Eltern schwerwiegende Körperstrafen bei ihren Kindern anwenden, und dies wiederholt", berichtet der Kinderarzt.
Vermutlich führt auch die gesellschaftlich angespannte Lage aufgrund der Pandemie, in der viele Eltern ohnehin ein hohes Stresslevel haben, zu einem Anstieg der Fälle. Dazu Dr. Stefan Renz: "Wir gehen davon aus, dass es durch die gesellschaftliche Isolierung zu mehr Fällen von Kindesmisshandlung kommt."
Ein Baby NIEMALS schütteln
Manchmal kommt man als Eltern tatsächlich in Situationen, in denen man nicht weiter weiß. Das Baby hört einfach nicht auf zu schreien, man selbst ist nervlich total am Ende. Da kann einen der Impuls, das Baby zu schütteln, damit es aufhört, schon mal überkommen. "Ein Baby sollte nie, aber auch wirklich niemals, geschüttelt werden. Es ist ein weitverbreiteter Irrglaube, dass kurzes Schütteln die Kinder beruhigt", betont der Kinderarzt. Die meisten Babys, die ein Schütteltrauma erleiden, sind zwischen einem und fünf Monate alt.
Wie verhält man sich also in solchen Situationen, in denen man sich einfach nur überfordert fühlt, korrekt? Zuerst sollte man das Baby an einem sicheren Ort ablegen. Dann sollte man versuchen, selbst zur Ruhe zu kommen, tief durchatmen, sich Hilfe bei Freunden oder Nachbarn suchen und eventuell die Notfallhotline (Nummer siehe unten) anrufen. Und dann wieder nach dem Kind sehen. Auf der Website der Initiative heißt es: "Geht kurz weg und lasst euer Kind allein, wenn ihr merkt, dass euch der Kragen platzt." Das ist im Zweifel immer die sicherste Variante.
Was tun, wenn das Baby geschüttelt wurde?
Und wenn man sein Kind nun doch geschüttelt hat? Dann ist es wichtig, sofort die Notrufnummer 112 anzurufen und zu sagen, dass es dem Baby nicht gut geht. Außerdem muss der Arzt unbedingt erfahren, dass das Baby geschüttelt wurde. "Die Symptome sind nicht eindeutig. Bei einem schläfrigen Säugling denkt man vielleicht an eine Vergiftung oder eine Hirnhautentzündung, aber nicht als Erstes an ein Schütteltrauma", erklärt Dr. Stefan Renz.
Viele Eltern haben möglicherweise erst mal Angst zu sagen, dass sie ihr Baby geschüttelt haben, da das als Kindesmisshandlung gilt. Doch sie können es dem Arzt im Vertrauen sagen oder angeben, jemand anderes hätte das Kind vermutlich geschüttelt. Die Ärzte können nur helfen, wenn sie vom Schütteln wissen. Bei frühzeitiger Behandlung könne man das Ausmaß der Schäden noch begrenzen, so der Kinderarzt.
Aufklärung über Schütteltrauma hilft
Ein Etappenziel, das die Initiative bereits erreicht hat: In Hamburg wird ab sofort in der U3 beim Kinderarzt auf die Schütteltrauma-Problematik hingewiesen. Viele Eltern wissen einfach nicht um die Gefahr des Schüttelns. Geplant ist, die Aktion auch auf andere Bundesländer auszuweiten.
Notfallhotline und Info
Mehr Info unter: schuettelntoetet.de/vorsicht-schuetteltrauma
Notfallhotline (24 Stunden an 7 Tagen der Woche erreichbar): 0152/22 89 52 61