
Manchmal kommt es anders ... und es wird trotzdem schön. So erging es im vergangenen Sommer meiner Frau und mir. Eigentlich wollten wir mit unseren beiden Enkeln Linus (6) und Johan (5) auf Entdeckungstour gehen – nach Albanien. Das Land ist noch immer ein Geheimtipp für preiswerte Familienurlaube. Leider wurde nichts aus der geplanten Großeltern-und-Enkel-Tour. Denn der Jüngste brach sich zwei Tage vor der Abreise beim Fußballspielen den Arm. Die Eltern bestanden – zu Recht – auf Heimaturlaub für die Kinder. Für Sylvia und mich hieß das: Alleine nach Albanien. Unser Hintergedanke: Wir kundschaften das Land aus und machen nächstes Jahr gemeinsam Ferien.
Abenteuer Tirana
Der Flug von Hamburg nach Tirana über Wien dauert nur fünf Stunden. Einreise und Übernahme des Mietwagens sind im Nu und professionell erledigt. Wir merken sofort: Mit normalem Englisch kommen wir gut durch. Die Fahrt ins Zentrum ist das erste kleine Abenteuer.
Trotz Verkehrsregeln gilt fürs Autofahren meist: Groß schlägt Klein und im Kreisverkehr langsam mit dem Strom rollen. Aggressionen? Fehlanzeige. Ebenso das ständige Hupen, das in anderen mediterranen Ländern den Geräusch- und Stresspegel deutlich erhöht. In Tirana ist Hupen verboten. So erreichen wir erreichen problemlos unser gemietetes Familienapartment.
Schnell wird klar: Tirana macht Spaß. Auch mit Kindern. Wichtiges Ziel: der zentrale, mehrere Fußballfelder große Skanderbeg-Platz. An den albanischen Nationalhelden erinnert eine Reiterstatue. In unmittelbarer Nachbarschaft: pastellfarbene Wohnhäuser, Nationalmuseum und Oper im sozialistisch-modernistischen Stil, eine Jahrhunderte alte Moschee neben einer christlichen Kirche. Den Platz rahmen üppige Kräutergärten ein. Gleich um die Ecke wartet der Atombunker Nummer 2 – Gruseln beim Abstieg in die Betongewölbe inbegriffen. Wenige Schritte weiter könnten unsere Enkel waghalsige Radfahrer bewundern. Sie stürzen sich auf ihren Mountain Bikes die steilen Außenwände der "Pyramide" hinunter, eine verfallende Hinterlassenschaft des Diktators Enver Hoxha. Totaler Gegensatz: der Hinterhof des Hauses von Sali Shijaku. Die grüne Ruheoase lockt mit einem feinen Café und drei Doppelzimmern für Übernachtungen.

Wandern und baden
Aus dem Trubel Tiranas führt unsere Entdeckungsreise ins Valbona-Tal. Hier müssen Familienwanderer kleine Furten überqueren. Im flachen Wasser werden große Steine zum Steg. Ab und an begegnen uns schwer bepackte Esel und ihre Treiber. Zwischendurch locken Bauern mit selbstgebackenem Brot, einer kräftigen Suppe oder leckerem Bergtee.
Nächste Station: die Autofähre auf dem Koman-Stausee. Hier würden sich Linus und Johan wie im Herr-der-Ringe-Land fühlen. Eng rücken die hohen Felsen während der Fahrt vom Ufer heran. Türkisgrün schimmert das Wasser. Bizarre Formationen befeuern die Fantasie: Ist das ein Bär, der da aus der Ferne winkt? Oder lauern ganz in der Nähe Orks in den dunklen Felsspalten?
Aus den Bergen geht es an die knapp 400 Kilometer lange Küste. Was für ein Unterschied. Egal, wo wir rasten oder übernachten: An endlosen Sandstränden wie etwa im Nordwesten im Naturreservat Kunë-Vain bei Leshë oder im Süden bei Ksamil in kleinen Buchten, überall können Kinder bedenkenlos im flachen, sauberen Wasser spielen, Fische beobachten oder Muscheln sammeln. Viele Restaurants und Cafés punkten mit Spielplätzen. Das Personal ist immer kinderfreundlich und hilfsbereit.

Festungen und Altertum
Abenteuerlich wird es in den steileren Küstenregionen. Wer sein Auto zum Llogara-Pass in rund 1000 Metern Höhe gelenkt hat, wird mit einer atemberaubenden Aussicht auf die nur 40 Kilometer entfernte Insel Korfu belohnt. Jenseits des Küstengebirges warten malerische Orte wie Berat, die Stadt der tausend Fenster, oder das osmanisch geprägte Weltkulturerbe Gjrokastër. Auf der Festung über der Stadt können kleine Burgdamen und -herren von neuen Eroberungen träumen. Noch weiter zurück in die Vergangenheit führt ein Besuch der antiken Stätten von Butrint. Schon die alten Griechen schwärmten von der Heilkraft der Quellen, dem Amphietheater und den Badehallen.
Nicht verschwiegen werden soll die Armut, auf die wir abseits der größeren Orte vielfach treffen. Umso mehr erstaunt ein ums andere Mal die Gastfreundlichkeit der Albaner. Es sind solche Gegensätze und das Gefühl von Abenteuer, warum wir es in den kommenden Sommerferien noch einmal mit den Enkeln versuchen werden.

Unsere Reisetipps für Albanien mit Kindern
- Beste Reisezeit mit kleinen Kindern: im Mai und ab Ende August bis Anfang Oktober. Dann müssen Unterkünfte nicht unbedingt vorgebucht werden. Anders dagegen im Juni und Juli. Es ist sehr heiß und albanische Familien machen selbst Ferien einschließlich der vielen ausgewanderten Verwandten.
- Land und Leute Das Land grenzt an Griechenland, Kosovo, Mazedonien und Montenegro und hat fast 400 Kilometer Küstenlinie. 3 Mio. Einwohner, sehr gastfreundlich und hilfsbereit. Englisch wird vor allem von jüngeren Menschen verstanden und gesprochen, in Touristenorten vielfach auch Deutsch.
- Anreise Von deutschen Flughäfen meist mit einem Zwischenstopp nach Tirana. Auch möglich: Flug nach Korfu oder nach Podgoricia in Montenegro. Kosten: bei frühzeitiger Buchung sind Preise unter 200 €/Person möglich.
- Unterkünfte Große Auswahl über die einschlägigen Buchungsportale im Internet.
- Mietwagen Internationale und einheimische Mietwagen-Firmen am Flughafen Tirana und im Hafen von Saranda (Fähre nach Korfu).
- Essen und Trinken Die albanische Küche bietet eine reichhaltige Auswahl. Weil kaum Intensiv-Landwirtschaft betrieben wird, haben Fleisch und Gemüse quasi Bio-Qualität. Es schmeckt.
Autor: Holger Iburg