
"Wenn du nicht aufisst, scheint morgen nicht die Sonne." – "Wenn du zu viel fernsiehst, bekommst du noch quadratische Augen."
Zugeben: Derart plumpe Lügen würde heutzutage wohl kaum noch jemand auftischen. Dennoch erzählen die meisten Eltern ihren Kindern regelmäßig die Unwahrheit.
Studien zufolge lügen wir bis zu 200 Mal am Tag – oft ohne es überhaupt zu merken. Dazu zählen auch kleine Notlügen, wie beispielsweise den Kindern weiszumachen, dass die Schokolade alle ist. Oder man schneller wächst, wenn man sein Gemüse aufisst. Ach ja, und dann natürlich noch die Geschichte vom Weihnachtsmann und von der Zahnfee. Aber das sind ja auch keine richtigen Lügen. Oder etwa doch?
Fakt ist: Im Alltag sprechen wir oft mehr Schwindeleien aus, als uns bewusst ist. Eine kleine Halbwahrheit hier, eine Flunkerei da ... Eltern sparen sich so gern mal die ein oder andere nervenzehrende Diskussion, die es vermutlich gegeben hätte, wenn sie ehrlich gesagt hätten, wie es ist: "Ich möchte dir keine Schokolade mehr geben."
Nur: Sind solche Lügen wirklich problematisch? Oder völlig okay?
Lügen: Die Dosis macht das Gift
Einer Studie von Wissenschaftlern der singapurischen Nanyang Technological University zufolge ist die Anzahl der Lügen entscheidend. Eine gelegentliche Flunkerei hat demzufolge kaum negative Auswirkungen. Anders sieht es aus, wenn Eltern ihr Kind ständig belügen.
In manchen Fällen können sich Lügen sogar positiv auswirken: Wenn Eltern Flunkereien anwenden, um die Gefühle der Kinder zu schonen oder um ihren Sinn für Magie zu fördern (Stichwort: Weihnachtsmann), kann dies das kindliche Selbstwertgefühl und die kognitiven Fähigkeiten stärken.
Entscheidend ist, dass die Lügen nicht angewendet werden, um das Kind zu beeinflussen oder ihm Angst zu machen.
Lügen Eltern ihre Kinder regelmäßig an, wird dadurch Unehrlichkeit bei Kindern gefördert. Wissenschaftler fanden außerdem heraus, dass durch Lügen die Eltern-Kind-Bindung untergraben wird und das Vertrauen auf Dauer leidet.
Welche Arten von Lügen gibt es?
In vielen Fällen lügen Eltern ihre Kinder an, um ihr Verhalten zu beeinflussen, beispielsweise "Wenn du nicht dein Gemüse isst, wirst du nicht wachsen." Oder um ihnen zu drohen: "Wenn du nicht aufhörst, deine Schwester zu ärgern, rufe ich die Polizei." Diese Art von Lügen zielt darauf ab, das Kind zu täuschen oder zu manipulieren und gilt deshalb als besonders schädlich.
Oftmals greifen Eltern auch auf eine Lüge zurück, um die Gefühle des Kindes zu schonen, indem sie ihm erzählen: "Du spielst ganz toll Blockflöte", auch wenn es in Wirklichkeit schrecklich klingt, oder der verstorbene Hamster "lebt jetzt auf einem Bauernhof".
Die verbreitetste Form von Lügen sind wohl die Geschichten von Weihnachtsmann, Osterhase, Zahnfee & Co. Dies stellt jedoch eine Sonderform dar, da Eltern ihren Kindern von den magischen Wesen erzählen, um ihrer Kindheit Zauber zu verleihen und weil sie selbst positive Erinnerungen damit verknüpfen.
Hin und wieder lügen Eltern auch aus Verlegenheit, weil sie die Antwort nicht kennen und ihr Unwissen nicht zugeben wollen. Haben Eltern keine Lust oder Zeit, ihren Kindern etwas zu erklären, greifen sie gerne mal zu einer kleinen Lüge.
4 Tipps für mehr Ehrlichkeit in der Erziehung
1. Mit gutem Beispiel vorangehen
Kinder lernen von ihren Eltern und imitieren ihr Verhalten. Je mehr Eltern Ehrlichkeit und Offenheit vorleben, desto stärker wird sich dies positiv auf die Entwicklung auswirken. Zudem sollten sie ihre Kinder darin bestärken, selbst ehrlich zu sein.
2. Gründe erklären
Falls Eltern ihrem Kind in einem Bereich anlügen, sollten sie die Beweggründe dafür erklären, wenn das Kind älter wird und den Schwindel herausbekommt.
3. Ausnahmen bestätigen die Regel
Untersuchungen haben gezeigt, dass ein paar Notlügen nicht weiter tragisch sind, wenn die Eltern in der Erziehung im Allgemeinen offen kommunizieren, Grenzen setzen und auf die Einhaltung von Regeln achten. Wenn Eltern Lügen jedoch einsetzen, um ihr Kind zu manipulieren, kann dies eine schädliche Auswirkung auf die Entwicklung haben.
4. Alternativen finden
Manchmal braucht es gar keine Lüge zu sein – ein bisschen Diplomatie wirkt oft schon Wunder. Statt das Kind beispielsweise für sein Blockflötenspiel in den Himmel zu loben, obwohl es in Wirklichkeit schrecklich klingt, reicht es auch zu sagen: "Ich sehe, du übst fleißig und machst Fortschritte."
Fazit: Wie viele Lügen sind erlaubt?
Ehrlich währt am längsten. Das gute alte Sprichwort trifft auch auf die Eltern-Kind-Beziehung zu. Grundsätzlich gilt: Wenn Eltern mal zu einer Notlüge greifen, geht davon nicht die Welt unter. Wenn Lügen als Druckmittel eingesetzt werden, hat dies jedoch mit hoher Wahrscheinlich negative Folgen auf das Vertrauen und die Bindung zum Kind. Wichtig ist auch, dass Eltern ihre Lüge zugeben, wenn sie erwischt wurden, und erklären, weshalb sie nicht die Wahrheit gesagt haben. In vielen Fällen nehmen Kinder die Wahrheit viel besser auf als wir denken – und Eltern sollten nicht das gute Gespür ihrer Kids unterschätzen. Oft kommen sie den elterlichen Schwindeleien sowieso schnell auf die Schliche. Daher ist es am sinnvollsten, direkt mit der Wahrheit herauszurücken.