
Meine Tochter (5) lag uns wochenlang in den Ohren, dass sie gern zum Ballett-Unterricht gehen möchte. Zwei Probestunden später meldeten wir sie also an. Sie liebt tanzen und hat viel Freude im Unterricht, doch seit ein paar Wochen beginnt jeden Freitag vor dem Training das große Drama: keine Lust, nach Hause, lieber kuscheln. Erstmal angekommen, ist dann alles gut und sie tanzt mit.
Eine nicht-repräsentative Umfrage unter Freunden zeigte, dass viele Eltern ähnliche Situationen erleben. Aber wie reagiert man dann richtig? Sollten wir an Disziplin und Durchhaltevermögen appellieren und unsere Kinder zu ihrem Glück zwingen (schließlich macht es ihnen ja dann doch Spaß) oder ist es besser, das "keine Lust" zu akzeptieren und ihre Bedürfnisse wahrzunehmen?
Kinder treffen Moment-Entscheidungen
Ob Sport, Musikschule oder gar Treffen mit Freunden: Kinder haben bis ins Grundschulalter hinein noch kein Verständnis dafür, welche Folgen eine Anmeldung oder eine Verabredung mit sich bringt, erklärt mir Imke Dohmen (45, verheiratet, zwei Kinder, Mamacoachin, Podcasterin und Autorin aus Hamburg, www.imkedohmen.de), und was es bedeutet, diese zu canceln. Ihnen fehlt der Weitblick, sie entscheiden immer nur aus dem Moment heraus und immer nur für sich selbst. Wenn Kinder sich also gegen ihr Hobby oder das Treffen mit einer Freundin, einem Freund aussprechen, ist das gar nichts gegen den Kurs oder die Freundin, sondern eine Momentaufnahme: "Ich bin HEUTE müde, ich will im Dunkeln nicht mehr draußen unterwegs sein, ich will HEUTE lieber kuscheln."
Bei Kindern zwischen etwa fünf und sieben Jahren kommt übrigens noch ein weiterer Aspekt hinzu: Sie befinden sich innerlich wie körperlich in einem enormen Wachstumsprozess. Sie lernen langsam loszulassen, begreifen ihre Umwelt noch mal anders und sind deshalb nach einem normalen Kita-Alltag oft schon platt. Wachsen ist einfach kräftezehrend!
Auf unsere Ballett-Situation bezogen könnte das bedeuten: Im Sommer war meine Tochter emsig bei der Sache, doch nun im Winter ist ihr in der Umkleide oft zu kalt. Zudem kann ich ihr beim Wachsen gerade zusehen, vielleicht ist sie deshalb nach der Kita einfach energieloser als noch vor ein paar Monaten. Aber was heißt das jetzt für den Moment: Soll ich meinem Kind "in den Hintern treten" oder auf sie hören und nach Hause fahren?
Richtig reagieren, wenn Kinder keine Lust (mehr) auf ihr Hobby haben
In der Situation selbst lohnt es sich, das Kind einfach mal zu fragen: "Was brauchst du, damit du nachher Spaß an deinem Kurs haben kannst?" Die häufigsten Antworten dürften sein:
- Eine Pause: Dann hilft es, das Kind beim nächsten Mal etwas eher aus der Kita abzuholen und vor dem Hobby noch eine kleine Pause einzulegen.
- Was zu Essen: Wie schon gesagt, der Kita-Alltag ist anstrengend und Wachsen ebenso. Ein Bananenshake oder Fruchtjoghurt liefern einen Energieschub für den Rest des Tages und ja, auch eine Süßigkeit kann mal die Laune heben.
Wiederholt ein Kind Woche für Woche, dass es nicht mehr zum Sport, in die Musikschule, etc. gehen möchten, ist es sinnvoll regelmäßig zu reflektieren (zum Beispiel alle drei Monate): Macht dem Kind sein Hobby noch Freude? Wenn es im Schnitt zwei von drei Monaten gern hingegangen ist, besteht kein Grund zur Abmeldung. Entwickelt es sich aber zu einem wiederkehrenden Kampf, ist es besser, neue Wege zu gehen – oder erstmal gar keine!
Bei unserem Ballett-Drama hilft es übrigens, dass wir die Ballett-Sachen nun schon in der (gut beheizten) Kita anziehen und im Fahrradkorb eine Banane und ein Naschi für den Weg warten.
Kindheit ist ausprobieren
Ganz wichtig ist, betont Imke Dohmen, dass Eltern sich bewusst machen: Ausprobieren gehört zur Kindheit dazu! Nur weil ein Kind mit vier Jahren gesagt hat, dass es gern Ballett tanzen möchte, heißt das nicht, dass es das mit fünf oder sechs Jahren immer noch möchte. Oder aber es stellt nach dem dritten Mal Fußball fest, dass es sich das anders vorgestellt hat. Eltern sollten Kindern unbedingt die Freiheit einräumen, sich selbst kennenzulernen, sich zu entwickeln und herauszufinden, wo die eigenen Talente und Leidenschaften liegen (und wo eben nicht).
Als Eltern haben wir schnell Angst, dass sich das Tor zur Hölle öffnet, wenn wir einmal "etwas durchgehen lassen". Erlauben wir dem Kind einmal, nach Hause statt zum Sport zu gehen oder ein Spielplatz-Date kurz vorher abzusagen um stattdessen auf dem Sofa zu lümmeln – fordert es das dann nicht immer wieder ein? Es muss doch lernen, durchzuhalten! Frische Luft ist doch so wichtig! Oft ist dieses Denken durch die eigene Kindheit geprägt. Aber mal ehrlich: Ist es nicht genauso wichtig, dass Kinder lernen, auf ihre Bedürfnisse zu achten?
Wenn Kinder häufig lustlos sind
Hat ein Kind immer wieder keine Lust etwas zu unternehmen oder ein Hobby auszuüben, das ihm eigentlich Spaß macht, lohnt sich ein Blick auf den Familienalltag: Oft planen Eltern die Nachmittage komplett durch, aus Angst vor Langeweile oder dass das Kind nicht genug gefördert wird.
Bleibt zu Hause, habt Langeweile, werdet zu Hause kreativ, kommt in Beziehung und entzerrt die Nachmittage!
Imke Dohmen rät ausdrücklich dazu, häufiger einfach mal nichts zu machen. Es reiche für Kinder zwischen drei und sechs Jahren völlig aus, einen Nachmittag die Woche zu verplanen und an den anderen einfach zu Hause zu sein. Es muss auch nicht täglich auf den Spielplatz gehen! Oft ist es gar nicht Wunsch des Kindes, jeden Tag etwas zu unternehmen oder sich zu verabreden, sondern der Eltern.
Vielleicht hattet ihr aber auch gerade einfach eine längere Krankheitsphase, es ist seit Wochen kalt und dunkel draußen, die Bezugserzieherin ist schon länger krank oder der beste Freund gerade doof – das alles sind Dinge, die für Kinder enorm anstrengend sein können. Da hilft nur, einen Gang runterzuschalten und die Situation vielleicht in zwei oder drei Monaten noch mal neu zu bewerten.