
Es gibt Kinder, die total schüchtern und zurückhaltend sind. Und es gibt Kinder, die mit allem, was sie tun und haben, nach außen treten und immer ein Publikum brauchen. Wir haben den Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten Ralph Schliewenz aus Soest gefragt, ob es normal ist, wenn Kinder immer wieder angeben, und was dahinterstecken könnte.
Nicht alles ist bloße Angeberei
Ralph Schliewenz betont, dass Kinder individuell verschieden sind und aufgrund unterschiedlicher Voraussetzungen eben auch unterschiedlich reagieren und sich verhalten. Daher solle man ein bestimmtes Verhalten nicht schlicht als Angeberei interpretieren und bewerten, sondern genauer hinschauen und hinterfragen. Kinder lernen eben unterschiedlich schnell, und wer eine neue Fähigkeit erlernt hat, ist stolz darauf. Das ist erst mal gut und gesund. Und natürlich ist es schön, wenn man seine Freude darüber auch mit anderen teilen kann.
"Ich habe was, was du nicht hast!"
Wenn Kinder auf ihren Besitz stolz sind und damit "angeben" hänge das echte Gefühl, das dahintersteckt, wohl stark davon ab, wie sie in den Besitz gekommen sind und ob sie sich dabei als "selbstwirksam" erlebt haben, also selbst etwas zu der Situation beitragen konnten, die sie nun erreicht haben. "Schwierig wird es, wenn es beim Angeben darum geht, andere schlechter aussehen zu lassen", sagt der Psychologe. "Hier müsste man sich fragen, wie gut es wohl um das Selbstbild eines Kindes bestellt ist, das das nötig hat." Möglicherweise ist das angebende Kind nicht besonders selbstbewusst und versucht seine Unsicherheit mit der Angeberei zu überspielen. Ähnlich ist es mit dem Verlieren-Können. Wer ein gutes Selbstwertgefühl (und die Emotionsregulation grundsätzlich gelernt) hat, den kratzt es auch nicht, wenn er mal verliert.
Die eigene Wahrnehmung überprüfen
Wenn euer Kind also in euren Augen angibt, überprüft doch einmal, bzw. fragt euer Kind einfach, wie sein Verhalten gemeint ist. Das ist allemal besser, als vorschnelle Rückschlüsse zu ziehen und die Situation dabei möglicherweise falsch zu interpretieren. Und dann könnt ihr immer noch reagieren: "Selbstwirksamkeit und Stolz würde ich bekräftigen", schlägt Ralph Schliewenz vor. "Bei Selbstschutz oder Aggressivität lohnen sich möglicherweise Angebote, die das Kind in die Lage versetzen, sich zukünftig besser zu fühlen, ohne anderen ein schlechtes Gefühl zu vermitteln." Dabei brauchen Eltern durchaus Fingerspitzengefühl, um ihr Kind mit seinem vielleicht ohnehin schon minderwertigen Selbstbild nicht noch mehr zu verunsichern. Doch soziales Feedback sei wichtig, um sich nicht zum Egoisten zu entwickeln.
Ist Angeben also überhaupt nichts Schlechtes, sondern drückt vielleicht sogar eine gesunde Form der Selbstliebe aus?
Auch hier kommt es stark auf die Situation und die jeweilige Absicht des Kindes an. Ralph Schliewenz: "Egoismus oder Egozentrismus*, wie er als kognitive Entwicklungsphase natürlich ist, hat mit Angeberei vermutlich nur wenig zu tun. Egoistische Menschen denken nur an sich, sind vermutlich weniger empathisch und bleiben am Ende wohl doch allein." Und er philosophiert noch weiter: "Wenn nicht in jedem Menschen auch etwas Soziales stecken würde, wären egoistische Menschen wohl schon längst ausgestorben. Und übrigens: Wer nie geliebt wurde, wird sich auch nicht selbst lieb haben können. Wer sich selbst nicht lieben kann, wird auch nicht geliebt werden können." Das im Hinterkopf zu haben, kann Eltern mitunter helfen und sie daran erinnern, ihrem Kind möglichst viel authentische Liebe zu schenken.
Neben dem Liebe-Schenken können Eltern ihr Kind am besten unterstützen, indem sie es ermutigen, begleiten und loslassen, rät der Psychologe.
* Zur Erklärung: Egozentrismus ist hier im Sinne von der Entwicklung kurz nach dem ersten Geburtstag und mit dem Sprechenlernen gemeint, wenn Kinder sich selbst, also das "Ich", erkennen.