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"Engelchen flieg" – warum das Spiel gerade für Kleinkinder so gefährlich ist:
Die Bänder, die das Ellenbogengelenk bei kleinen Kindern stützen, sind noch sehr locker. Häufig reicht schon ein kleiner Ruck am Arm, der das Gelenk so weit auseinanderzieht, dass umliegendes Gewebe, das sogenannte Ringband, in den Gelenkspalt rutschen kann. Sobald das Gelenk dann wieder in seine Ausgangsposition zurückgeht, wird das Gewebe eingeklemmt, was schlimme Schmerzen verursacht. Ärzte sprechen bei dieser Verletzung von einer Radiusköpfchen-Subluxation. Laut Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte e. V. tritt die Lockerung des Ellenbogengelenks vor allem zwischen dem ersten und vierten Lebensjahr auf – Kinder im Alter von zweieinhalb Jahren sind besonders häufig betroffen.
Wie kommt es zu einer Subluxation des Ellenbogens?
Manchmal reicht es schon, wenn Kinder an einer Reckstange baumeln oder am eigenen Arm zerren, weil dieser irgendwo eingeklemmt ist. Die häufigste Ursache für das Rausspringen des Radiusköpfchens aber ist eine ruckartige Bewegung. Und die passiert oft reflexartig, wenn Eltern ihr Kind beispielsweise vor einem Sturz schützen möchten oder es zurückhalten, weil es auf die Straße rennen will.
Tatsächlich ist bei etwa 70 Prozent der Kinder der linke Arm betroffen, da rechtshändige Eltern ihr Kind bevorzugt an diesem hochziehen beziehungsweise festhalten. Und es gibt noch eine weitere Gefahrenquelle: das Herumtoben. Wenn Eltern ihre Kinder an den Armen im Kreis herumfliegen lassen, wirken auf die Gelenke große Fliehkräfte. "Auch das Hin-und-Herschwingen des Kindes, während je ein Elternteil eine Hand hält – auch als 'Engelchen flieg'-Spiel bekannt –, gilt als ein Risikofaktor für diese Verletzung", bestätigt Dr. Prof. Hans-Jürgen Nentwich, ehemaliges Vorstandsmitglied des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte. Eltern sollten kleine Kinder grundsätzlich nicht an den Armen hochziehen, sondern sie mit beiden Händen um die Brust beziehungsweise unter die Achselhöhlen greifen.
Ab zum Arzt!
Das Einklemmen des Gewebes tut sehr weh, weshalb die meisten Kinder – vor Schmerz und Schreck – auch schreien und weinen. Ist der erste Schock vorbei, nehmen sie für gewöhnlich eine Schonhaltung ein: Sie halten den Unterarm gebeugt vorm Bauch, die Handfläche zeigt nach innen. Dieses Symptom ist typisch für eine Radiusköpfchen-Subluxation, weil die Kinder den Arm nicht mehr bewegen wollen und zudem kaum hochheben können. Ärzte nennen diese Schonhaltung Chaissagnac-Lähmung, da der Arm aufgrund der Unbeweglichkeit wie gelähmt aussieht.
"Eltern sollten mit ihrem Kind umgehend zum Kinder- und Jugendarzt gehen. Er kann das Gelenk eventuell gleich wieder in die richtige Position bringen", so Prof. Nentwich. "Das ist zwar kurzzeitig für das Kind unangenehm, aber nach etwa fünf bis zehn Minuten können die meisten Kinder ihren Arm wieder ohne Probleme nutzen. Ohne Behandlung kann die Beweglichkeit des Arms auf Dauer eingeschränkt bleiben." Wenn die Lähmung erst nach einigen Stunden behandelt wird, bekommt das Kind anschließend meist noch eine spezielle Schlinge, um das Gelenk zu schonen. Sind bereits mehrere Tage vergangen, wird der Arm häufig geschient.
Wann müsst ihr mit einer Chaissagnac-Lähmung in die Notaufnahme?
Am besten macht ihr euch auf den Weg, nachdem ihr eurem Kind Schmerzmittel gegeben habt. Euer Ziel muss aber nicht die Notaufnahme sein, es reicht auch ein Besuch beimder Kinderarzt.
Was passiert in der Notaufnahme?
Wenn euer Kind in die Notaufnahme kommt und den Arm hängenlässt, fast ausgestreckt mit leicht angewinkeltem Ellenbogen, die Handfläche zeigt nach unten, klingelt es bei uns schon. Trotzdem wird der Arm vor einem Repositionsversuch (Einrenken) erst vorsichtig untersucht. Häufig gibt euer Kind, falls es das schon kann, Schmerzen vom Ellenbogen bis zum Handgelenk an. Findet sich weder Schwellung noch Bluterguss noch Druckschmerz an einer bestimmten Stelle, wissen wir, dass es nichts anderes sein kann. Dann wird das Einrenken mit euch zusammen vorbereitet. Das Wiedereinrenken ist ein kurzer, etwas schmerzhafter Eingriff, den wir natürlich so angenehm wie möglich für euch und eure Kleinen durchführen wollen. Dazu erklären wir euch zunächst ausführlich, was wir vorhaben. Euer Kind darf dabei bei euch auf dem Schoß sitzen. Der Arzt nimmt den betroffenen Arm in die Hände und führt ein bestimmtes Repositionsmanöver durch. In der Regel hört man das Band wieder zurückschnappen. Das ist das Zeichen, dass alles wieder in bester Ordnung ist. Manchmal hört man aber auch nichts, und es hat trotzdem funktioniert.
Häufig trauen eure Kinder sich nicht, den Arm direkt nach dem Einrenken wieder normal zu benutzen. Sie haben Angst vor Schmerzen bei der Bewegung. Der Arm tat die letzten Stunden ja auch wirklich doll weh. Hat das Einrenken geklappt, kann der Arm aber sofort wieder ganz normal und völlig schmerzfrei bewegt werden. Wir geben euch deswegen noch ein paar Minuten Zeit, den ersten Schreck gemeinsam zu überwinden und kommen dann mit einer kleinen Belohnung zurück. Das ist nicht ganz uneigennützig: Ziel ist, dass euer Kind mit dem wiedereingerenkten Arm nach der Belohnung (z. B. ein paar Gummibärchen) greift und sich diese ganz selbstverständlich zum Mund führt. Dann wissen wir sicher: Das Manöver hat geklappt, und der Arm ist wieder wie neu. Manchmal werden wir auch mit einem High-Five belohnt. Dann fühlen sich nicht nur die kleinen Patienten wie Helden und Heldinnen!
Das Wiedereinrenken gelingt in den allermeisten Fällen. Wenn es mal nicht funktioniert, wird der Arm für eine paar Tage beispielsweise in einem Gips ruhiggestellt. Nach drei bis fünf Tagen entfernt euer Kinderarzt den Gips wieder, und euer Kind sollte den Arm wieder frei bewegen können. Wenn diese Verletzung einmal bei eurem Kind aufgetreten ist, ist die Chance, dass es am selben Arm erneut passiert, höher. Es gilt, alles zu vermeiden, was einen direkten Zug auf den Arm ausübt. Das "Flugzeug“ ist für euch also erst mal tabu.
Wir alle wissen, dass Kinder häufig fallen und man reflexartig nach den Armen der Kleinen greift. Sollte der Arm dabei wieder ausrenken, macht euch keine Vorwürfe. Das passiert einfach. Und ihr seid nicht die Einzigen. Wir haben wirklich einige Dauergäste in unserer Notaufnahme. Langfristig hat diese Verletzung aber keine Konsequenzen. Denkt einfach daran und freut euch drauf, dass euer Kind aus der Geschichte herauswachsen wird.
Ist 'Engelchen flieg' schädlich?
Haben Eltern erst einmal von der Radiusköpfchen-Subluxation gehört oder selbst beim eigenen Kind erlebt, haben sie oft Hemmungen beim Herumtoben. Zum Glück müssen sie aber nicht voll und ganz auf "Engelchen flieg" verzichten. Wenn Kinder den Arm vorher anspannen, ist das Gelenk für gewöhnlich vor einer Überdehnung geschützt. Am besten erklärt man ihnen also, was man als Nächstes macht. Alternativ können Eltern auch mit der anderen Hand unterstützend unter den Oberarm des Kindes greifen, um das Gelenk zu schonen.
Zum Weiterlesen: Kinderunfälle – was ihr zu Hause tun könnt und wann ihr in die Klinik solltet

Das Kleinkind steckt sich eine Murmel in die Nase. Die Tochter kriegt beim Spielen im Wald einen Ast ins Auge. Der Sohn knallt auf dem Trampolin mit seinem Kumpel zusammen … Kinder tun sich ständig weh, manchmal ziemlich übel. Der erste Impuls vieler Eltern: Ab in die Klinik! Dabei sind die meisten Verletzungen gar keine echten Notfälle. Die Folge: überlastete Notaufnahmen und auf allen Seiten zum Zerreißen angespannte Nerven.
Genau das wollen die Kinder-Docs Benedict-Douglas Sannwaldt und Till Rausch mit ihrem neuen Buch ändern. Es soll Eltern eine Orientierungshilfe für die häufigsten Arten von Verletzungen und Unfällen bieten, um den Ernst der Lage besser einzuschätzen und die richtigen Maßnahmen zu ergreifen. Ein Buch zum vorsorglichen Drin-Schmökern, aber auch Schnell-mal-Nachschlagen. Mal hoch emotional, mal extrem dramatisch, zwischendurch sogar urkomisch. In jedem Fall aber immer mit viel Herz und Verständnis für alle Eltern, die sich Sorgen um ihren Nachwuchs machen.
"Verknackst, verschluckt, verbrannt: Wie ihr euren Kids zu Hause helft – und wann ihr in die Klinik solltet" von Till Rausch und Dr. Benedict-Douglas Sannwaldt (191 Seiten, Junior Medien, 18,95 Euro).