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Viele Frauen, die ein Kind per Kaiserschnitt zur Welt bringen, haben das Gefühl, von der Geburt ihres Kindes nichts mitzubekommen, ja komplett ausgeschlossen vom Geschehen zu sein. Eine schmerzhafte Lücke tut sich auf, die nie wieder zu schließen ist.
Kaisergeburt – was ist das?
Vor gut 15 Jahren kam der australische Gynäkologe Dr. Nicholas Fisk auf die Idee der "Kaisergeburt". Eine Art "natürlicher" Kaiserschnitt, mit dem er den werdenden Eltern zu einem besseren Geburtserlebnis verhelfen wollte. Der Mediziner bezeichnet seine Methode als eine "familienzentrierte Operation". Die Mütter – und auch die Väter – bekommen die Möglichkeit, trotz OP an der Geburt des Kindes aktiv mitzuwirken.
Wie läuft eine Kaisergeburt ab?
Die Schwangere erhält wie beim Kaiserschnitt heute üblich eine Periduralanästhesie (PDA), die sie ab dem Rippenbogen abwärts schmerzunempfindlich macht. Nachdem der Bauchschnitt gesetzt und das Köpfchen draußen ist, wird der sterile Sichtschutz weggenommen – der beim normalen Kaiserschnitt Mutter und Vater vom OP Geschehen abschirmt. So erleben die Eltern mit, wie der Arzt das Baby aus dem Bauch hebt, und können sofort Blickkontakt mit dem Kind aufnehmen. Wenn sie mag, darf die werdende Mutter dabei leicht mitpressen und kann somit "aktiv" die Geburt beeinflussen. Der Vater wird ebenfalls miteinbezogen – er darf wie bei einer natürlichen Entbindung die Nabelschnur durchschneiden. Wenn alles glatt läuft, wird das Baby sofort zum Kuscheln auf Mamas Brust gelegt.
Damit ist die OP aber noch nicht vorbei: Die Bauchwunde der Mutter muss erst versorgt werden. Dafür wird der Sichtschutz wieder hochgezogen – sodass die Eltern die ersten Minuten mit ihrem Baby in Ruhe genießen können. Trotzdem: Wer kein Blut sehen kann, sollte sich eher nicht für diese Methode entscheiden. Sorgen, dass sich durch das leichte Pressen die Bauchwunde vergrößern könnte, müssen die Mütter aber nicht haben. Weil das Köpfchen schon draußen ist, hat das Pressen eher Symbolcharakter. Und: Genauso wie bei einem normalen Kaiserschnitt hat die Beachtung der Hygienevorschriften oberste Priorität.
Youtuberin Josie Wiba hat drei Kinder, die ersten Geburten waren Spontangeburten, die dritte dann eine Kaisergeburt. In diesem Video teilt sie ihre Erfahrungen rund um ihre Kaisergeburt mit ihren Followern:
Trendwende in der Geburtsmedizin
Dr. Annabell González, Gynäkologin und Fachärztin für Geburtshilfe und Frauenheilkunde am Berliner Krankenhaus Waldfriede, spricht von einer Trendwende in der Geburtsmedizin, da sie selbst immer häufiger diese Methode anwendet und das auch bei ihren Kollegen deutschlandweit beobachtet.
Falls werdende Eltern eine Kaisergeburt in Betracht ziehen, sollten sie diesen Wunsch mit dem Gynäkologen, der den Kaiserschnitt durchführt, im Vorfeld besprechen. Wo eine Kaisergeburt möglich ist, muss im Einzelfall geklärt werden, noch ist die Methode nicht überall angekommen – nicht alle Kliniken und auch nicht alle Ärzte bieten eine Kaisergeburt an. Allerdings könnte jede Klinik die Kaisergeburt durchführen, es braucht dazu keine extra Schulung des Personals, da der Ablauf der Sectio nicht sonderlich anders – nur etwas zeitaufwendiger – ist. Deshalb kommt eine Kaisergeburt bei Frühgeborenen, Notfällen oder wenn Komplikationen zu erwarten sind, nicht infrage, da die Abläufe dann sehr schnell und ohne zeitlichen Verzug erfolgen müssen.
Werbung für den Kaiserschnitt?
Die Kaisergeburt als eine Art "natürlicher" Kaiserschnitt hat aber auch Kritiker: Ein medizinischer Eingriff würde dadurch verharmlost und zu einem Familienereignis verklärt. Es würde so Werbung für den Kaiserschnitt gemacht, ja den werdenden Müttern der Kaiserschnitt regelrecht schmackhaft gemacht.
Tatsächlich ist die Zahl der Kaiserschnitte immer noch sehr hoch, jede dritte Frau in Deutschland entbindet im OP. Während der Corona-Pandemie sogar noch mehr. Hauptgrund dafür ist die bessere Planbarkeit für die Kliniken, die unter anderem wegen Corona überlastet sind. Aber ganz abgesehen von zeitlichen und ökonomischen Argumenten, gibt es eine Reihe von medizinischen Gründen für einen Kaiserschnitt: Bei Mehrlingen oder einer Querlage schlagen Ärzte oft einen Kaiserschnitt vor, weil das Risiko sonst zu groß wäre. Häufig wird bei einem geschätzten Geburtsgewicht von über 4500 Gramm zu einem Kaiserschnitt geraten. Ist die Mutter an einem HELLP-Syndrom (Anm. der Red.: schwere Form der Schwangerschaftsvergiftung) erkrankt oder hatte schon vorangehende Kaiserschnitte, wird in der Regel ebenfalls eine Geburt durch eine Operation empfohlen. Viele Frauen entbinden aber durchaus auch nach einem Kaiserschnitt das nächste Kind spontan. Während der Geburt kann es außerdem zu einem Notkaiserschnitt kommen – zum Beispiel wenn es nicht vorangeht, die Herztöne des Kindes sehr auffällig sind oder die Mutter irgendwann einfach zu erschöpft ist.
Mehr Selbstbestimmtheit im OP
Die wenigsten Frauen entscheiden sich aber freiwillig für einen Kaiserschnitt. Die sogenannten Wunschkaiserschnitte sind die Ausnahme. Was vielmehr überwiegt, ist die Sorge vor einem operativen Eingriff. Sorge deshalb, weil die Situation fremd ist und die Frauen Angst haben, die Kontrolle über den eigenen Körper zu verlieren. Eine Kaisergeburt kann den Frauen deshalb ein kleines bisschen mehr Selbstbestimmtheit zurückbringen.
Was die Kaisergeburt an Benefits mit sich bringt, ist das positive Gefühl der Eltern, an der Geburt des Kindes mit beteiligt gewesen zu sein und sofort Bindung zum Kind aufbauen zu können. Hautkontakt zur Mutter zu haben und deren Geruch anzunehmen ist für das Baby das Beste, da es sich dadurch viel schneller beruhigen kann. Was außerdem gar nicht mal so unwesentlich ist: Eine zufriedene Mutter schüttet Glückshormone aus. Und die sorgen dafür, dass natürliche Prozesse, wie zum Beispiel das Stillen, gut funktionieren.
Trotz aller Vorteile: Die Kaisergeburt sollte kein Marketinginstrument einer Geburtsklinik sein. Ein Kaiserschnitt ist immer nur der zweitbeste Weg, ein Kind zu bekommen, und sollte nur durchgeführt werden, wenn es absolut notwendig ist. Die Kaisergeburt ist vielmehr ein Mittel, den werdenden Müttern ein Angebot zu machen, durch das sie sich mit ihrem Kaiserschnitt etwas schneller versöhnen können.