
Die Nacht war hart, das Baby schreit, die Kaiserschnittnarbe schmerzt – und der Mann muss frühmorgens los ins Büro. So oder so ähnlich geht es vielen Frauen kurz nach der Geburt. Ein Tag ganz allein mit Baby kann gerade im Wochenbett ziemlich an die Substanz gehen. Wie gut, dass in dieser Situation eine Mütterpflegerin einspringt! Wenn nur jemand diesen Beruf kennen würde ...
Viele Mütter brauchen Entlastung
Ein Baby zur Welt zu bringen, ist eine Extremsituation. Während sich der Körper noch von Schwangerschaft und Geburt erholt, dreht sich das Leben um 180 Grad. Und dann sind da auch noch die Hormone, die verrückt spielen ...
Kein Wunder, dass sich der Gemütszustand vieler Mütter zwischen Unsicherheit, Überforderung und Panik bewegt.
Die meisten Frauen haben zwar eine Hebamme, die anfangs meist täglich nach dem Rechten schaut. Aber spätestens wenn der Mann wieder arbeiten geht, stellt sich die Frage: Wer entlastet die Mutter im Alltag?
Dafür gibt es Mütterpflegerinnen wie Kirsten Gerst. Die Hamburgerin hat sich vor drei Jahren als Mütterpflegerin und Doula selbstständig gemacht. "Ich wollte etwas Sinnvolles machen. Etwas, das nicht nur mir wichtig ist, sondern auch anderen hilft", erzählt Kirsten gegenüber "Leben und Erziehen".

13 Jahre lang hat Kirsten davor in großen Werbefirmen gearbeitet. Dann stolperte sie zufällig über einen Flyer zu einem Infoabend über Mütterpflege. Kirsten meldet sich kurzentschlossen an und weiß danach: Das ist es! In einer einjährigen Ausbildung lernt sie alles über den Beruf.
Wertvolle Unterstützung im Wochenbett
Das Aufgabengebiet einer Mütterpflegerin ist breit gefächert: Dazu zählen Säuglingspflege, Entspannungsübungen, Massagetechniken für Mamas und Babys. Aber Kirsten lernt auch Kommunikationspraktiken. Wie gehe ich mit Problemen um? Wie kann ich mich selbst distanzieren? Diese Fragen werden in der Ausbildung behandelt. Aber auch der medizinische Hintergrund gehört dazu. Wann ist es eine Brustentzündung? Was sind die Anzeichen für eine postnatale Depression?
Die Ausbildung absolvierte Kirsten berufsbegleitend zu ihrem Teilzeitjob, doch weil sie auch Praxiseinsätze braucht, musste sie eine Entscheidung treffen: "Ich habe schnell festgestellt: Wenn ich das machen will, muss ich es richtig machen. Also habe ich meinen alten Job verlassen."
In Hamburg gehörte Kirsten zum zweiten Jahrgang, der sich zur Mütterpflegerin ausbilden ließ.
Jede Frau hat Anspruch auf eine Mütterpflegerin
Wer hat überhaupt Anspruch auf eine Mütterpflegerin? Dazu sagt das Gesetz folgendes: Theoretisch hat jede Frau nach Entbindung sechs Tage das Recht auf Betreuung durch eine Mütterpflegerin. Doch in der Praxis sind die meisten Mütter mindestens die halbe Zeit davon ohnehin noch im Krankenhaus, sodass dieses Angebot fast niemand nutzt.
Wer in den Wochen danach noch Unterstützung haben möchte, braucht ein ärztliches Attest, das eine Diagnose enthält. Das kann eine schwierige Wundheilung sein, ein Rückenleiden oder hoher Blutverlust unter der Geburt.
Ist der Antrag von der Krankenkasse bewilligt, plant Kirsten mit den Frauen gemeinsam, wie ihre Hilfe aussehen kann. "In der Regel bin ich zwei bis drei Mal pro Woche bei einer Familie für zwei bis drei Stunden. Bei hohem Bedarf komme ich auch täglich für sechs Stunden."
Kein Ersatz für eine Hebamme
Dass sich parallel auch eine Nachsorgehebamme kümmert, ist für sie die Voraussetzung. "Ich darf medizinisch nichts machen und ich möchte auch diese Verantwortung nicht tragen", stellt sie klar. "Was man in meinem Job vor allem macht, ist reden. Zuhören, die Frauen ernst nehmen."
Die übrigen Aufgaben unterscheiden sich von Fall zu Fall. "Es hängt von der Familiensituation ab. Ich gehe einkaufen, koche, ich sauge mal durch, beziehe das Bett, nehme das Baby, damit die Mama mal duschen kann. Ich begleite die Mütter aber auch zu Arztterminen, mache mal eine Nackenmassage und gebe Tipps zum Baby-Handling. Dafür haben Hebammen oft wenig Zeit."
Ihre Entscheidung, Mütterpflegerin geworden zu sein, hat Kirsten noch nie bereut – im Gegenteil. "Am schönsten finde ich, dass es so abwechslungsreich ist. Ich lerne so viele Frauen kennen und gehe den Weg mit ihnen zusammen, ich begleite und stärke sie."
Die Mütter wissen, dass ihre Babys bei Kirsten in den besten Händen sind. Das Feedback auf ihrer Homepage hey-mum.de spricht Bände:
- "Ich weiß nicht, wie ich ohne sie die schwierige Zeit um die Geburt unseres dritten Sohnes geschafft hätte."
- "Frauen wie euch sollte jede frisch gebackene Mama an ihrer Seite haben."
- "Ich bin unglaublich dankbar für diese Wochen. Viel mehr Mütter sollten es sich wert sein, bei der Krankenkasse den Antrag einzureichen."
- "Kirsten kümmert sich einfach um alles, hat ein offenes Ohr für Sorgen und Probleme, gibt Tipps und bietet den Müttern eine liebevolle Betreuung."
"Es braucht ein Dorf"
Das große Problem ist jedoch: "Viele Frauen kennen den Anspruch nicht. Wir laufen bei den Krankenkassen noch unter Haushaltshilfen und es ist in Deutschland keine Selbstverständlichkeit. Selbst die Frauenärzte kennen diesen Beruf oft nicht." Andere Länder wie die Niederlande seien hier schon viel weiter.
Dabei sei ihr Beruf heute wichtiger denn je, sagt Kirsten. "Früher gab es einen ganz anderen Familienzusammenhalt, aber jetzt ist es dringender als je zuvor, dass man sich wieder zusammenfindet. Es braucht ein Dorf, um ein Kind zu erziehen – nur haben wir dieses Dorf nicht mehr. Keiner weiß von diesem Berufsbild, und das müssen wir ganz dringend ändern."
Ihr Wunsch: Mütterpflegerin muss ein anerkannter Ausbildungsberuf und besser bezahlt werden. "Wir sparen den Krankenkassen ja auch viele Folgekosten ein, wenn wir zum Beispiel verhindern, dass eine Frau in eine Depression rutscht."
Doch es ist noch ein weiter Weg für Kirsten und ihre Kolleginnen. "Es ist ein sozialer Beruf und leben kann man davon mäßig."
"Sie war unser Engel und meine Rettung"
Auch unsere Kollegin Claudia wurde nach der Geburt ihrer Zwillinge von einer Mütterpflegerin betreut. Sie sagt rückblickend:
"Wenn ich an die Wochenbettzeit mit meinen Zwillingen zurückdenke, dann denke ich an Nächte, in denen gefühlt immer eine/r wach war; an Milchstau und Schmerzen in diesen plötzlich riesigen Brüsten, an das große Chaos in unserer Bude, für dessen Beseitigung wir keine Kraft hatten. Und ich denke an Andrea, die unser ENGEL und meine Rettung in dieser Zeit war.
Andrea ist Mütterpflegerin und wurde mir damals von meiner Hebamme empfohlen. Ich liebte sie ab Minute 1, in der sie sich vorstellte: Warme Stimme, sanftes Lächeln – und der Typ Mensch, der vermutlich selbst dann noch ruhig bleibt, wenn unter ihm gerade das Haus einstürzt.
Als mein Mann zwei Wochen nach der Geburt unserer Kinder wieder arbeiten ging, kam Andrea an zwei Nachmittagen pro Woche zu uns. Manchmal brachte sie hausgemachte Stillkugeln oder frisch gekochten Hirsebrei mit Honig, Birnen und Cashewkernen (so gut!) mit, an anderen Tagen kochte sie das beste Rote-Beete-Risotto, das die Welt je gesehen hat – mit den frischen Zutaten, die sie vorher für uns auf dem Markt besorgt hatte.
Sie massierte mich, hörte mir zu, trocknete meine Tränen, wenn mir alles zu viel wurde – oder nahm mir einfach mal für 30 Minuten eins der Babys ab, räumte mit der freien Hand dabei noch auf. Ihr Fokus bei allem, was sie tat, war: dass es mir gut geht.
Es ist ein wunderschönes Gefühl, wenn Freunde oder Familienmitglieder all das für einen tun, und zum Glück gab es auch davon in dieser Zeit reichlich. Aber zusätzlich jemanden zu haben, der (von der Krankenkasse!) dafür bezahlt wird, regelmäßig und verlässlich auf der Matte zu stehen und dafür zu sorgen, dass es einem selbst gut geht – das ist großartig und eine riesige Entlastung, die ich seitdem allen Neu-Mamas in meinem Umfeld (auch ohne Mehrlinge) allerwärmstens empfehle."