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- Definition Muttertät: Das passiert nach der Geburt im Gehirn
- Die Muttertät ist eine Zeit der Veränderung
- Wochenbettdepression als mögliche Folge
- Die Mutter-Kind-Bindung entwickelt sich langsam
- Die Hormone spielen nach der Geburt verrückt
- So lange dauert die Muttertät
- Muttertät und Matreszenz: Herkunft und Definition
Die Hormone spielen verrückt, Haut und Haare machen, was sie wollen, und die Gefühle fahren Achterbahn. Frischgebackene Mamas erleben im Wochenbett die volle Gefühlspalette – von himmelhoch jauchzend bis zu Tode betrübt. So ein Chaos im Kopf hatten wir das letzte Mal, wann noch gleich? Richtig: in der Pubertät! Und tatsächlich sind die Abläufe in den Körpern von jungen Müttern und von Teenagern gar nicht so unterschiedlich. Neue Forschungsergebnisse beweisen: Was Mamas nach der Geburt erleben, ist ähnlich drastisch wie die Pubertät. Für dieses Phänomen gibt es sogar einen eigenen Namen: Matreszenz. Oder auch Muttertät.
"Alle frischgebackenen Mütter haben eine körperlich und psychisch extreme Erfahrung gemacht: die Geburt. Etwas Außergewöhnliches zu verarbeiten, braucht vor allem eins: Zeit", erklärt Ruth Mücke, Psychotherapeutin und Autorin ("Mutter werden ist (nicht) schwer: Einfluss der Matreszenz auf psychische Gesundheit"). Genau die fehlt aber oft. "Nach dieser Extremsituation sind sie sofort in ihrer neuen Rolle als Mutter gefragt – als Hauptverantwortliche. Und so geht die Extremsituation in eine körperliche und psychische Herausforderungsphase über."
Definition Muttertät: Das passiert nach der Geburt im Gehirn
Neben den offensichtlichen Veränderungen spielt sich auch im mütterlichen Gehirn eine ganze Menge ab: Frauen befinden sich nach der Geburt in der sogenannte Matreszenz oder auch Muttertät. "Matreszenz" bedeutet 'das Erwachen der Mutter'", erklärt die Expertin. "Neben den körperlich sichtbaren Veränderungen in und nach einer Schwangerschaft, passiert auch ganz viel auf neuronaler Ebene. Das Gehirn bereitet die Frauen auf die neue Lebensphase vor. Es passiert ein Fine-Tuning." Besonders im Bereich des Gehirns, das für soziale Interaktionen zuständig ist, tut sich nun einiges. "Nach der Geburt wird die Fähigkeit, Emotionen in Gesichtern zu lesen, deutlich verfeinert. Wie in der Pubertät baut sich also das Gehirn um."
Muttertät ist ein Begriff, der im deutschsprachigen Raum erst 2021 von den Doulas Natalia Lamotte und Sarah Galan entwickelt und eingeführt wurde, um die tiefgreifenden emotionalen und neurologischen Veränderungen in der Mutterschaft besser zu erklären und zu verbreiten – obwohl der Zustand schon so alt ist wie die Menschheit selbst. Denn bislang konzentrierte sich die Wissenschaft eher auf die Entwicklung des Babys, anstatt darauf, was die Mutter nach der Geburt durchmacht. Gemeint ist mit der Muttertät – oder Matreszenz – der Prozess des Mutterwerdens. Im englischsprachigen Raum ist dieses Phänomen schon recht geläufig. Bereits 1973 prägte die Anthropologin Dana Raphael den Begriff, doch erst 2008 wurde er durch die US-Wissenschaftlerinnen Dr. Aurelie Athan und Dr. Alexandra Sacks einem breiten Publikum bekannt.
Die Muttertät ist eine Zeit der Veränderung
Doch was verbirgt sich hinter der Muttertät? Wohl jede Frau kennt die emotionale Achterbahn nach der Geburt: Hochs und Tiefs wechseln sich rasant ab, jedes Gefühl wird besonders deutlich erlebt. Dazu kommen Zweifel und Ängste, als Mama "nicht gut genug" zu sein. Die Muttertät beginnt jedoch bereits während der Schwangerschaft. "Jede Frau trägt ihren eigenen Weg in sich. Viele davon sind sehr steinig. Auch wenn nach der Geburt alle gesund sind, kann das große Glück erst mal ausbleiben", erklärt Ruth Mücke.
Wie die Pubertät ist die Muttertät eine Übergangszeit. Der Unterschied? "Jeder weiß, dass die Pubertät eine unangenehme Phase ist. Aber von jungen Müttern erwarten die Leute, dass sie glücklich sind, während sie gleichzeitig die Kontrolle darüber verlieren, wie sie aussehen und sich fühlen", so Dr. Alexandra Sacks.
Spätestens nach dem Wochenbett werde von den Frauen oft erwartet, dass sie wieder "funktionieren". Dabei kann die Muttertät bis zu zwei Jahre nach der Geburt andauern. So lange brauchen Körper und Geist, um sich an das neue Leben zu gewöhnen. In dieser Zeit finden tiefgreifende Veränderungen im Körper statt – psychisch, physisch und hormonell –, die in ihrer Intensität vergleichbar mit der Pubertät sind.
Das ist auch eine Erklärung dafür, warum sich Lebenseinstellungen in dieser Zeit oft um 180 Grad wandeln, Freundschaften zerbrechen oder neue berufliche Wege eingeschlagen werden.
Wochenbettdepression als mögliche Folge
In Zeiten von Social Media wird das Gefühl der Unzulänglichkeit bei vielen Frauen noch verstärkt. Bei Instagram präsentieren sich Mütter schon kurz nach der Geburt wieder frisch und strahlend beim Baby-Yoga und meistern den Übergang in ihr neues Leben scheinbar mühelos. Doch die Realität sieht anders aus. "Was sie selbst erlebt haben und jeden Tag erleben, kann nicht den Raum bekommen, den es braucht. Denn da gibt es dieses kleine hilflose, niedliche Wesen, das jetzt die gesamte Aufmerksamkeit bekommt, oft auch von der Außenwelt. Wir sehen in Werbebildern glückliche Mütter, die verträumt ihr Kind stillen, Babys, die dank der richtigen Windel friedlich schlafen und dann ausgeglichen in die Kamera strahlen", weiß Ruth Mücke. "Mit diesem Vergleich kann der reale Alltag keiner frischgebackenen Mutter mithalten. Neben der Verarbeitung der Geburt kämpfen Frauen nach der Geburt mit Selbstzweifeln, zu oft mit Schwierigkeiten im Bindungsaufbau zu ihrem Kind, mit Überforderung und natürlich Schlafmangel."
Es ist hilfreich, wenn Frauen die Abläufe der Muttertät kennen und verstehen. Denn nur, wenn Frauen ihre eigenen Gefühle verstehen, können sie verständnisvoll mit sich selbst umgehen – und auch ihren Kindern gegenüber empathisch sein, betont Dr. Alexandra Sacks. "Zu viele Frauen schämen sich, offen über ihre komplizierten Erfahrungen zu sprechen, aus Angst, verurteilt zu werden. Diese Art der sozialen Isolation kann sogar Wochenbettdepressionen auslösen", sagt die Psychiaterin.
Wenn Frauen sich verloren fühlen oder ihr Leben vor der Mutterschaft vermissen, hätten sie oft das Gefühl, mit ihnen "stimme irgendwas nicht". Dabei seien diese widerstreitenden Gefühle in Wirklichkeit ganz normal.
Die Mutter-Kind-Bindung entwickelt sich langsam
Die Vorstellungen von jungen Müttern werden oft in ein Schwarz-Weiß-Schema gepresst: In der öffentlichen Wahrnehmung sind sie entweder überglücklich – oder sie leiden an postpartalen Depressionen (umgangssprachlich oft auch 'postnatale Depression' genannt). Dabei gibt es noch so viele Abstufungen zwischen diesen beiden Extremen. "Eine Vielfalt an Emotionen zu durchlaufen, bedeutet nicht unbedingt, dass man eine postpartale Depression hat. Das ist der natürliche Verlauf der Mutterschaft", so Dr. Alexandra Sacks.
Ruth Mücke erklärt: "Matreszenz beschreibt erst mal nur die Phase der Veränderung der Frau. Sie beginnt schon mit dem Kinderwunsch. Nach der Geburt gibt es eine Phase, die Babyblues genannt wird. Es ist eine natürliche Reaktion auf die hormonellen und emotionalen Veränderungen." Typische Symptome können unter anderem Traurigkeit, Überforderung, Angst- und Schuldgefühle oder Interessensverlust sein. Matreszenz und Babyblues oder gar eine Wochenbettdepression sind allerdings völlig unterschiedliche Dinge. "Der Unterschied zu einer Wochenbettdepression liegt in Intensität, Dauer und Anzahl der Symptome. Ab vier oder fünf Symptomen, die deutlich länger als zwei Wochen bestehen, sollte das eine Fachperson abklären."
Bleibt die überwältigende Liebe zum Kind direkt nach der Geburt erst mal aus, fühlen sich vielen Frauen schuldig. "Wenn nicht der erste Blickkontakt eine magische Verbindung mit dem eigenen Kind schafft und die große Liebe nicht spürbar ist, ist das für viele Mütter der größte Brocken, den sie verdauen müssen", so die Psychotherapeutin. "Denn das ist ja wohl die gesellschaftliche Basisanforderung an Mütter: Sie müssen ihr Kind lieben – ab der ersten Sekunde."
Dabei ist es entscheidend, dass Mutter und Kind genügend Zeit bekommen, um sich kennenzulernen und sich in der neuen Lebensphase einzufinden.
Die Hormone spielen nach der Geburt verrückt
Die Neurowissenschaft weiß inzwischen, dass sich im Gehirn von Müttern drastische Umstrukturierungen abspielen. Schon während der Schwangerschaft steigen die Hormone Progesteron und Östrogen sprunghaft an, und auch andere Hormone wie Prolaktin, Relaxin und Cortisol nehmen zu. All diese Hormone beeinflussen den Körper und den psychischen Zustand. Diese Veränderungen im Hormonhaushalt bleiben auch nach der Geburt noch bestehen.
Besonders der Östrogen- und Protesteronspiegel hat drastische Auswirkungen auf unser Befinden. Diese Hormone schärfen einerseits unsere Wahrnehmung und erhöhen unser Verständnis für andere – eine schlaue Vorrichtung der Natur, damit Mamas die Bedürfnisse ihres Babys treffsicher erkennen. Andererseits schüren sie aber auch unser Angstempfinden und sorgen dafür, dass wir unser Neugeborenes vor allen Gefahren beschützen.
So lange dauert die Muttertät
Es gibt also eine biologische Erklärung dafür, warum junge Mütter oft sensibler und launischer sind als sonst. Und ja, es ist wissenschaftlich bewiesen, dass sich Frauen nach einer Geburt verändern. Diese Veränderung braucht Zeit, Geduld und Verständnis – von anderen und von uns selbst. Genau wie die Pubertät ist die Muttertät eine einschneidende Entwicklungsphase, die Frauen viel abverlangt und die nicht von heute auf morgen abgeschlossen ist.
"Es kann immer wieder einmal der Moment kommen, in dem ich das Gefühl habe, in der aktuellen Lebensphase gut angekommen zu sein – jetzt verstanden zu haben, was mein Kind braucht oder was ich brauche", so Ruth Mücke. "Aber dann verändert sich wieder alles. Ich brauche andere Fähigkeiten als Mama von einem Säugling, einem Kleinkind, einem Grundschulkind oder einem Teenager. Deshalb bin ich mir sicher, dass wir uns weiter an diese neuen Anforderungen anpassen. Vielleicht braucht es für diese Phasen dann wieder neue Begriffe."
Muttertät und Matreszenz: Herkunft und Definition
- Den englischen Begriff "Matrescence" prägte die Anthropologin Dana Raphael bereits 1973.
- Muttertät ist die deutschsprachige Entsprechung – ein Kofferwort aus Mutter und Pubertät. Gemeint sind die ambivalenten Gefühle, die Frauen nach der Geburt durchmachen, sowie die Ängste, Selbstzweifel und Schuldgefühle, als Mutter nicht gut genug zu sein.