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Stillen ist das Beste fürs Kind, also muss eine gute Mutter ihr Baby stillen, je länger, desto besser. Ich weiß, dass der erste Teil dieses Satzes stimmt, und ich war lange, lange Zeit felsenfest davon überzeugt, dass der zweite Teil deshalb auch eine unumstößliche Wahrheit ist.
Also habe ich meine Kinder gestillt. Und ich hatte das Glück, dass die Milchproduktion bei mir kein Problem war. Bei allem, worüber ich mich im Folgenden beschweren werde, ist mir daher wichtig zu betonen: Ich weiß, dass es viele, viele Frauen gibt, die sich gewünscht hätten, dass ihr Körper die Menge an Milch produziert hätte, über die ich mich gleich (unter anderem) aufregen werde. Ich bin trotzdem der Meinung, dass dieser Text in dieses Buch gehört, weil uns eines eint: Wir haben uns nicht wohlgefühlt. Ich zumindest habe mich gefragt, warum es bei den anderen so leicht aussieht. Warum bekommen die das offenbar problemlos hin, während bei mir jede einzelne Milchmahlzeit ein kleiner Kampf war?
Ich habe es nicht gefühlt ...
Ich habe nicht gern gestillt. Ich habe sie einfach nicht gespürt, diese unbeschreibliche Verbindung zwischen Mutter und Kind, die dabei entstehen soll. Oder ehrlicher formuliert: von der ich annahm, dass sie dabei entstehen müsse. Weil mich in warmes Babyblau getauchte Werbekampagnen und inszenierte PR-Aufnahmen von Promi-Eltern immer hatten glauben lassen, dass das ganz automatisch entstünde, dieses besondere Band, das es nur zwischen einer stillenden Frau und dem Baby an ihrer Brust gibt. Natürlich gab es Momente, die auch ich wunderschön fand. In denen ich ganz entspannt den Augenblick genießen und mein großartiges Baby beim glückselig glucksenden Trinken beobachten durfte. Aber die waren die Ausnahme.
Die Sorte Mutter-Baby-Gespann, die ich nie hatte werden wollen
In den allermeisten Fällen überwog der Schmerz der entzündeten Brustwarzen. Oder die Frage, wann mein Sohn endlich fertig sein würde, denn er trank nicht nur oft, sondern auch immer sehr lange, selten unter einer halben Stunde. Und das stets in Positionen, die für mich sehr unangenehm waren. Zu den schmerzenden Brustwarzen gesellte sich daher schnell ein schmerzender Rücken. Es sei denn, ich schaffte es, mich zum Stillen hinzulegen. Und schon nach wenigen Wochen war der Schmerz im unteren Rücken so stark, dass das Stillen im Liegen die einzige Option blieb. Was wiederum bedeutete: Sobald ich das Haus verließ, musste ich so planen, dass jederzeit die Möglichkeit bestand, mich mal eben 30 Minuten lang irgendwo ungestört hinzulegen und meine Brust auszupacken. Gelang das nicht (und, Überraschung, das war oft!), wurde erst mein Sohn quengelig, nervös und angespannt und direkt daraufhin ich. Er weinte und schrie, ich beruhigte und wippte (wahlweise die Babytrage oder den ganzen Kinderwagen), wurde dabei vor peinlicher Nervosität immer lauter ("NUN BERUHIG DICH DOCH ENDLICH, SCHÄTZCHEN, ES IST JA ALLES GUUUT, MAMA IST DAAAAA, SCHHHH!") und zog vor allem durch meine eigene Lautstärke unvermeidlich die Blicke im Bus, im Park oder wo auch immer auf uns, wodurch wir beide innerhalb kürzester Zeit exakt die Sorte Mutter-Baby-Gespann abgaben, die ich nie hatte werden wollen.
"Nebenbei" stillen? Ging nicht!
Eine (völlig durchgeknallte, ich weiß) Lösung hätte natürlich sein können, dass wir beide einfach nie so lange das Haus verlassen, dass ich mein Kind unterwegs stillen muss. Aber auch das hätte nicht viel geändert – denn selbst das Stillen in den eigenen vier Wänden machte mich wahnsinnig. Wenn Besuch da war, sowieso, denn ich gehörte nie
zu den Frauen, die mitten im Gespräch lässig ihre Brust aus dem T-Shirt ziehen und einfach "nebenher" ihr Kind stillen konnten. Ich brauchte dafür immer Ruhe, volle Konzentration und vor allem: Privatsphäre! Aber auch an den Tagen, an denen nur mein Sohn und ich zu Hause waren, gehörte das Stillen zu den Dingen, die mir von Tag zu Tag mehr zuwider wurden. Weil es meinen Tagesablauf unkontrollierbar bestimmte. Weil es mir meine Kleiderwahl diktierte. Weil ich es gedanklich schon mit Schmerzen verband, bevor es überhaupt losging. Weil die Schmerzen dann aber auch so gut wie jedes Mal wirklich einsetzten. Weil überall an und auf mir und meiner Kleidung und in meinen Haaren die verkleckerte Milch klebte, die frische von heute und manchmal (oder ehrlicherweise: meistens) auch die alte, bissig stinkende von gestern oder letzter Woche, weil ich mal wieder nicht geduscht oder Wäsche gewaschen hatte. Nein, nichts von alledem war so, wie ich es auf den Fotos in den Elternmagazinen gesehen hatte. Nichts war so, wie ich es mir vorgestellt hatte.
Also tat ich etwas, das jeder "Das Beste für Ihr Baby"-Empfehlung widersprach: Als mein Sohn drei Monate alt war, und obwohl meine Brüste schmerzhaft prallvoll mit frischer Muttermilch waren, machte ich mich auf in die Drogerie und kaufte zum ersten Mal Pre-Milch. "Nur für den Fall der Fälle", sagte ich mir selbst. Und packte für die an diesem Tag anstehende Busfahrt die fertig gemischte Milchmahlzeit samt abgekochtem Fläschchen in meine Wickeltasche. Faszinierenderweise sorgte allein das Wissen, dass sich diese Notfalloption in greifbarer Nähe befand, dafür, dass ich mit einem völlig anderen Gefühl als sonst in den Bus stieg. Ich fühlte mich entspannter. Beruhigter. Weniger beobachtet.
Babys empathisches Co-Verzweifeln
Ich brauchte das Fläschchen auf dieser Busfahrt gar nicht. Und auch auf der Rückfahrt nicht. Weil mein Sohn gar nicht quengelig und nervös wurde, wie sonst auf den meisten Busfahrten. Vielleicht war das ein Zufall, so wie bei dem vermeintlichen Regenschirmphänomen: Wenn man dran denkt, einen mitzunehmen, regnet es sowieso nicht. Wahrscheinlicher aber ist: Mein Sohn war entspannt, weil ich entspannt war. Was mich wiederum zu der Erkenntnis bringt: Eventuell war es gar nicht immer der Hunger, der ihn zum Schreien brachte – sondern sein empathisches Co-Verzweifeln, das ich schon aus dem Rückbildungskurs kannte. Vor lauter Sorge, er könne auf der Fahrt Hunger bekommen, war ich ja schon beim Einsteigen in den Bus mit jeder Zelle meines Körpers im angespannten "Bitte, bitte, bloß nicht weinen, weil ich wirklich überhaupt nicht weiß, was ich dann machen soll"-Modus.
Flasche an Bord
Also hatte ich ab jetzt immer ein Fläschchen dabei. Und plötzlich keine Panik mehr davor, mit meinem Sohn unterwegs zu sein. Bekam
er Hunger, musste ich nicht mehr hektisch nach einer passablen Liegefläche für uns suchen, auf der ich ihn die kommende halbe Stunde stillen konnte. Ich zückte das Fläschchen (und hatte das große Glück, dass er es nach einer kurzen Phase der Irritation auch recht schnell als Brustsubstitut akzeptierte), er beruhigte sich, und ich regte mich gar nicht erst auf.
Schlechtes Gewissen? Kam nicht!
Nun wartete ich auf das schlechte Gewissen. Das schlechte Gewissen, dass ich es "nicht geschafft" hatte. Dass ich mich entgegen der Empfehlung, meinem Kind so lange und so viel Muttermilch wie irgend möglich zu füttern, immer häufiger für die Lösung aus dem Fläschchen entschied. Die Lösung, die nicht "das Beste fürs Baby" war.
Doch das schlechte Gewissen kam nicht. Auch dann nicht, als ich (früher als allgemein empfohlen) komplett abstillte. Was kam (und blieb), war die Erleichterung, dieses Kapitel des Elterndaseins hinter mir ge- lassen zu haben. Und das Gefühl, dass diese Entscheidung auf jeden Fall das Beste für mich gewesen ist – und damit ganz sicher auch für mein Baby.
PS: Das Thema Stillen ist ein so umfangreiches, dass es gerade in den allerersten Tagen und Wochen überwältigend sein kann. Das, was ich hier beschrieben habe, ist meine eigene, ganz persönliche Stillgeschich- te. Für mich war das Fläschchen ein Happy End. Das heißt aber nicht, dass mein Happy End auch dein Happy End sein muss – im Gegenteil! Vielleicht hat das Stillen bei dir wunderbar funktioniert, und das Abstillen und/oder die Umstellung aufs Fläschchen war für dich der schwere Teil. Oder vielleicht wolltest du sowieso nie stillen und musstest dich deshalb mit doofen Kommentaren aus deinem Umfeld herumplagen. Vielleicht hattest du es ganz unbedingt vor, und es hat leider nicht geklappt. Mit meinem Text will ich auf keinen Fall aussagen, dass mein Weg der einzig richtige ist (Himmel, ich kann ja nicht einmal allein meinen eigenen Beckenboden finden, wie sollte ich da Still- tipps geben können?)! Was ich damit aber unbedingt loswerden wollte, ist: Es ist gut möglich, dass gerade das Stillen nicht so abläuft, wie du es dir vorgestellt hast. Und dann ist es meiner Ansicht nach vollkommen okay (und sogar richtig und wichtig), sich von
der perfekten Vorstellung zu lösen – und den Weg zu gehen, der weniger Krampf und Kampf und mehr Entspannung bedeutet. Für dich und für dein Baby.
Unser Buchtipp zum Weiterlesen:

Bin ich eine schlechte Mutter?
Silke Schröckert hat für sich herausgefunden: Nein, ist sie nicht. Denn die Zweifach-Mama hat festgestellt: Nur weil sie nicht immer vorbildlich handelt, ist sie noch lange keine Rabenmutter. Und wenn sie aufhört, immer gut oder gar perfekt sein zu wollen, geht es nicht nur ihr besser, sondern der ganzen Familie.
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