
Mit sieben Jahren verlor Irem ihre Eltern bei einem Erdbeben und zog zu ihrer Großmutter nach Deutschland. Ihre Kindheit war seitdem nicht einfach. Umso mehr setzt sie selbst sich dafür ein, anderen Kindern einen guten Start ins Leben zu geben: als Bereitschaftspflegemutter. Über dieses Herzensthema, ihren Mamaalltag und vieles mehr schreibt sie auf Instagram, zwischendurch gibt es auch mal eine fancy Tanzeinlage. Ihr gelingt, was vielen "Momfluencern" fehlt: Sie sagt offen ihre Meinung, ohne andere damit zu verletzen oder zu belehren.
Liebe Irem, zuerst einmal: Wie geht es dir gerade?
Danke, mir geht es wieder ganz gut. Nach der letzten Belegung mit unserem Babylein (es war sehr, sehr lange da und somit die längste Belegung) hab ich meine Wunden soweit geleckt und kann mich langsam wieder öffnen.
Du bist sehr aktiv auf Instagram und sprichst auf deinem Kanal viele ernste Themen sehr offen und ehrlich an. Welche liegen dir besonders am Herzen?
Die Bereitschaftspflege ist mein Thema Nummer eins, wobei das aktuell etwas zu kurz kommt, da ich erstmal den Abschied verkraften musste. Ansonsten ist mir sehr wichtig, dass man in der heilen Social-Media-Bubble echte Realität, Authentizität und Power mitbekommt. Ich verstelle mich keine Sekunde. Ich zeige meine Wäscheberge, die tagelange Unordnung der Küche, mich nach dem Aufstehen oder eben an Tagen, an denen ich nur noch schreien und weinen möchte. Genau das braucht diese Welt: REALITÄT.
Was zeigst du deiner Community NICHT?
Meine leiblichen und vor allem meine Pflegekinder! Mir ist unsere Privatsphäre sehr wichtig. Dennoch weiß jeder, um was es bei mir geht. Auch ganz ohne meine Kinder dafür zu zeigen.
Du bist Bereitschaftspflegemama. Wie kam es dazu?
Ich selbst bin mit sieben Jahren zur Vollwaise geworden, kam damals zu meiner Oma und habe mir nichts mehr gewünscht als eine echte, richtige Familie. Ich wollte ab dem Moment Kindern helfen, die auch keine Eltern mehr haben oder nicht bei ihren Eltern bleiben können. Jahrelang wusste ich nicht, wie ich das anstellen soll.
Mein Leben lief weiter, ich wurde älter und bekam selbst Kinder. Irgendwann arbeitete ich mit Familien zusammen und half ihnen im Umgang mit Tragen/Tüchern und noch einigen anderen Themen. Da begegnete mir eine Frau, die selbst Pflegemama war. Den Rest kann man sich wohl denken ...
Wie lange sind die Babys in der Regel bei dir? Besteht in der Zeit Kontakt zu den leiblichen Eltern?
Das ist ganz unterschiedlich, von wenigen Tagen bis zu mehreren Monaten ist alles dabei. Natürlich versucht man zu schauen, dass die sogenannte Belegung möglichst kurz ist, das Kind aber dennoch eine gute Perspektive bekommt.
Bisher hatte ich immer auch Kontakt zu den leiblichen Eltern. Über das Jugendamt und inkognito. Von diesen Eltern – bzw. meistens sind es nur die Mütter – gab es nur eine einzige Mama, die mich nicht abgrundtief gehasst und verurteilt hat. Der Umgang ist meist schwierig. Doch ich habe meine Art damit umzugehen und ja, ich verspüre sehr viel Empathie und betrachte einiges aus einem anderen Blickwinkel. Jede dieser Mütter gibt ihr Bestes, das, was ihr möglich ist. Dennoch reicht es in den Augen mancher nicht und ihr wird das Kind "genommen". Es ist doch normal, dass sie sich grauenvoll und schlecht fühlt. Als Versagerin. Daraus resultiert dann eben ein dementsprechendes Verhalten ... Ich könnte da noch ewig in die Tiefe gehen. Das ist absolut mein Thema!
Fällt es dir schwer, von deinen Pflegebabys Abschied zu nehmen? Was hilft dir gegen den Abschiedsschmerz?
Es ist immer mit Schmerzen verbunden. Aber mein Lieblingszitat: "Liebe ist nie ohne Schmerzen, sagt der Hase, und umarmt den Igel."
Genau so ist es hier auch. Je nachdem in welche Hände ich meine Schützlinge abgebe, ist der Schmerz mal deutlich stärker, mal schwächer. Aber ohne Schmerz gibt es keine Liebe. Ohne Liebe brauche ich keine Pflegemama sein.
Ich werde oft gefragt, ob es nicht schlecht ist, Bindung aufzubauen und die Babys zu behandeln, als wären es meine. Meine Antwort ist immer gleich: "Aber genau DAS! Also bedingungslose Liebe, Bindung, Vertrauen, Sicherheit, alles das, was ich meinem eigenen Kind gebe, alles das ist es doch, was diese Babys am meisten brauchen! Also ja, auch wenn es mir weh tut: Ich muss den Liebes- und Lebenstank dieser Kinder füllen. In der Hoffnung, dass sie ihr Leben lang davon schöpfen können.
Und was mir hilft? Nichts. Weinen. Akzeptieren, sich darauf einlassen und Zeit. Ach, und zu wissen, dass ich ALLES mir Mögliche getan habe. Aber dann auch wieder die Tränen wegwischen, atmen und loslassen, damit sich mein Herz erneut öffnen kann. Wirklich eine sehr harte Aufgabe, die ich mir da für mich ausgesucht habe. :)
Kannst du nach dem Abschied noch Kontakt zu den Babys halten bzw. möchtest du das überhaupt?
Wenn die Kinder in die Dauerpflege kommen ja, und natürlich will ich das!! Es gibt nichts Schöneres.
Wenn die Kinder zur Herkunftsfamilie zurückkehren, höre ich nie mehr was von ihnen. Leider. In diesem Fall gibt es nicht mal eine "sanfte Abgewöhnung". Das Baby wird einfach übergeben ohne Anbahnungsphase. Das ist auch sehr hart.
Wenn du durch deinen Feed scrollst: Welcher Post liegt dir am meisten am Herzen? Warum?
Oh ... Schwierige Frage! Ich würde sagen, dass alle meine Posts wichtig sind (ausgenommen die lustigen Reels, die dienen der Unterhaltung). Ich kann mich nicht entscheiden. Die Bereitschaftspflege ist aber auf Platz eins.
Kinderfotos im Netz sind sehr umstritten – du zeigst deine Kinder nicht und hast "Decknamen" für sie. Warum hast du dich so entschieden?
Ihr Schutz ist mir sehr wichtig. Unsere Privatsphäre ist mir heilig. Deshalb handle ich so. Schon immer.
#fürmehrrealitätaufinstagram: Was nervt dich am Elternsein?
Das man ständig ein schlechtes Gewissen bei allem hat! Ehrlich, ich mache meinen Haushalt und hab ein schlechtes Gewissen, weil ich keine Zeit für die Kids habe. Mache ich was mit den Kids, hab ich ein schlechtes Gewissen, weil der Haushalt aussieht wie Sau.
Und dass der Tag nur 24 Stunden hat und nicht 48. Das nervt mich hart …
Was magst du am Mama-Alltag am liebsten?
Gemeinsames Lachen, tanzen. Ihr Selbstbewusstsein, ihre Stärke zu sehen und zu wissen: Hey, du hast doch nicht so viel falsch gemacht, wie du denkst!
Was hättest du gern gewusst, bevor du Mutter wurdest?
Puh, die Liste ist sooooooooo lang!
Ich hätte gern gewusst, dass ich als Mama genug bin für mein Kind. Dass ich gebären kann, wie ich will (ich habe zwei traumatische Geburten gebraucht, bis ich das verstanden habe). Ich hätte gern gewusst, dass all die Listen mit "Das brauchst du mit Baby" Müll sind und man eigentlich nur ganz wenig braucht. Ach ich würde so gerne mehr aufzählen, aber dass muss ich mal auf meinem Account thematisieren. ;)
Dein "Must-Follow"?
Na ich! Spaß beiseite. Ich kann dazu nur sagen: Folge ausschließlich Menschen, die dir ein warmes und gutes Gefühl geben. Sobald negative Gefühle auftauchen (vergleichen, schlechtes Gewissen etc.) direkt entfolgen und Ende.
Gibt es etwas, was du allen Müttern, die das hier lesen, mit auf den Weg geben möchtest?
Trau dir mehr zu, als du tust! Fühle und höre auf dein Bauchgefühl! Alles, was du mit Liebe machst (dazu zählt auch die Liebe zu dir selbst) wird zu Gold. <3
Über Irem und ihre Familie

Irem ist 30 Jahre alt und lebt mit ihrer Familie (Ehemann Karl, 35, und drei Töchter im Schul- und Kindergartenalter) in München. Auf Instagram schreibt sie über alles rund ums Mamasein, sowohl für leibliche als auch für Pflegekinder. Ihr Herzensthema ist die Bereitschaftspflege.
Hier lest ihr mehr von Irem: www.instagram.com/mamamitlocke