Dieser Artikel enthält unter anderem Produkt-Empfehlungen. Bei der Auswahl der Produkte sind wir frei von der Einflussnahme Dritter. Für eine Vermittlung über unsere Affiliate-Links erhalten wir bei getätigtem Kauf oder Vermittlung eine Provision vom betreffenden Dienstleister/Online-Shop, mit deren Hilfe wir weiterhin unabhängigen Journalismus anbieten können.

Der erste Geburtstag meines Sohnes war ein Wendepunkt in meiner persönlichen Wahrnehmung von mir selbst als Mama. Am Ende des Tages habe ich einige bittere Tränen verdrückt, weil mir meine eigenen Prioritäten plötzlich so unglaublich unangenehm waren – und ich sie dringend ändern wollte.
Aber beginnen wir beim Anfang. Bei den "Save the Date"-Einladungen für die Geburtstagsfeier meines Sohnes. Natürlich ist es komplett albern, für einen ersten Geburtstag "Save the Date"-Einladungen zu verschicken: Die einzigen Menschen auf unserer Gästeliste waren Familienmitglieder und wussten ganz genau, wann unser erstes Kind, ihr erstes Enkelkind beziehungsweise ihr erster Neffe, geboren worden war. Niemand von ihnen musste Wochen zuvor an das Datum erinnert werden – sie kannten es. Aber ich hatte nun einmal auf Instagram (wo sonst?) diese süße Idee mit den Tierfiguren auf Schraubgläsern gesehen, die ich unbedingt nachmachen wollte und für deren Bastelei ich es tatsächlich schaffte, mir die ohnehin schon kurzen Nächte um die Ohren zu schlagen. Also verschickte ich zum ersten Geburtstag meines Sohnes nicht nur selbst gebastelte (na klar!) Einladungskarten, sondern bereits zwei Monate zuvor (sicher ist sicher!) eben auch selbst gebastelte Save-the-Date-Schraubgläser mit Glitzerkonfetti-Inhalt.
Schwarzwälder-Kirsch- statt Schoko-Kirsch-Torte
Am großen Tag selbst gab es dann – nebst der selbst gebastelten Tischdekoration – eine selbst gebackene Torte mit selbst gestaltetem Fondant-Dekor. (Ja, da waren noch Ambitionen vorhanden, die weit über den Kauf einer Benjamin-Blümchen-Tiefkühltorte hinausgingen!) "Unter dem Meer" war das Motto, das ich mir für den Tag überlegt hatte (warum auch immer), also strahlten Tisch, Deko, Tortenfondant und Servietten im tiefen Meeresblau, Papierfische baumelten von der Decke, und Krabben aus Pappmaché krabbelten über die Teller. Ja, ich hatte mich kreativ verausgabt, es sollte schließlich alles perfekt sein. Von jedem Detail machte ich Fotos, um den besonderen Tag für die Ewigkeit festzuhalten.
"Sein erstes Stück Torte, wie aufregend!", freuten sich die stolzen Großeltern. "Toll sieht die aus, fast zu schade zum Anschneiden", fanden sie, als sie das aufwendige Backwerk sahen. Natürlich schnitten wir sie trotzdem an. "Schoko-Kirsch!", stellte meine Mutter fest. "Schwarzwälder Kirsch", korrigierte ich. Und als ich es aussprach, merkte ich es selbst: Ich hatte zum ersten Geburtstag meines Sohnes eine Torte mit hochprozentigem Alkohol serviert. Mein Lieblingsrezept, das ich völlig selbstverständlich und ohne nachzudenken ausgewählt hatte, weil es immer gelang, weil alle es liebten. Und dessen Ergebnis nun von allen begeistert gegessen wurde – außer natürlich vom Geburtstagskind. Dem nahmen wir sein Kirschwasser-getränktes Stück Torte wieder weg und lenkten ihn mit Keksen und Bananenstückchen von der bunten Leckerei ab. "Das macht ihm doch nichts", beruhigte mich meine Mutter. Und damit hatte sie vollkommen recht. Aber mir machte es was. Wie kann einem denn so etwas passieren? Mir war tatsächlich kurz zum Weinen zumute, aber ich ließ mich schnell von der guten Laune des Geburtstagskindes wieder ablenken.
Viele Fotos der fantastischen Tischdeko
Am Abend, als die Gäste weg waren und unser Sohn bereits schlief, scrollte ich durch die Fotos des Tages. Warum hatte ich so viele Bilder von der Torte gemacht? Blöde Torte. Noch eine Ansicht der beknackten Torte. Dann die Tischdeko. Noch mal Tischdeko. Die Servietten. Die Papierfische. Die Luftballons. Der ganze Tisch. Jetzt die Scheiß-Torte auf dem Tisch. Die angeschnittene Torte. Ende.
Ende? Ich wischte und wischte, doch es kamen keine weiteren Fotos. Entsetzt ließ ich das Handy in meiner Hand sinken. Ich hatte es tatsächlich fertiggebracht, am ersten Geburtstag meines Sohnes jeden Mist zu fotografieren, von den ausgestanzten Fondant-Fischchen bis hin zu den überm Tisch baumelnden Luftballons. Nur vom Geburtstagskind selbst hatte ich kein einziges Foto gemacht. Und nun weinte ich doch noch. Was für eine dumme, oberflächliche Gans muss man sein, wenn einem die Tischdeko wichtiger ist als das eigene Kind? Okay, das war nun vielleicht ein wenig hart formuliert – aber im Ernst: Was sind denn das für beknackte Prioritäten?
Es gab im ersten Lebensjahr meines Sohnes viele, viele (Himmel, waren es viele!) Situationen, in denen ich gemerkt habe: Ich bin kein bisschen diese vermeintlich perfekte Vorzeige-Mutter, die ich mir in meiner Fantasie immer ausgemalt hatte. Aber an diesem Abend, nach einem Jahr Elternschaft und einer Kindertorte voller Kirschwasser, habe ich vermutlich das erste Mal realisiert: Ich will es auch gar nicht sein!
Autorin. Silke Schröckert
Buchtipp zum Weiterlesen: "Bad Mom"

Was ist eigentlich eine gute Mutter?
Silke Schröckert hat herausgefunden: Sie selbst ist es nicht. Ziemlich enttäuschend einerseits, denn sie wollte es doch so, so gern sein! Andererseits hat die Autorin festgestellt: Wenn sie selbst aufhört, immer "gut" oder gar "perfekt" sein zu wollen, geht es nicht nur ihr selbst besser – sondern der ganzen Familie.
In ihrem neuen Buch "Bad Mom" erzählen Silke Schröckert und ihre Gastautorinnen von vergessenen Brotdosen und verpassten Schulveranstaltungen, von viel zu langen Fernsehzeiten und unfassbar ungesundem Abendessen, von selbstgekauften statt selbstgemachten Geburtstagskuchen, von ungeputzten Zähnen und Pyjamas unter Wintermänteln. Und vor allem: von glücklichen Kindern.
Silke Schröckert: "Bad Mom" ca. 19 Euro, Junior Medien