
Viele Eltern grübeln wohl oft darüber, ob es für die seelische Entwicklung ihres Kindes nicht besser wäre, wenn es nicht in einer kleinen Wohnung, in Hinterhöfen und auf Innenstadtspielplätzen aufwachsen würde, sondern in einem geräumigen Einfamilienhaus mit einem großen Garten, Wäldern und Wiesen drum herum.
Hat das Landleben für Kinder wirklich mehr Vorteile?
Viele Experten sind der Meinung, dass Kinder auf dem Land gesünder aufwachsen. Dass es ihnen besser bekommt, zwischen Bäumen und Bächen und in Pfützen zu spielen, statt sich auf dem Autorücksitz von einem Termin zum anderen chauffieren zu lassen. Eine solche Naturromantik fühlt sich intuitiv richtig an. Zwischen Natur und Betonlandschaft ist die Entscheidung für die meisten Menschen schnell gefällt. Ganz so einfach ist es aber nicht. "Allzu viele Sorgen sollten sich Eltern, die mit ihren Kindern in der Stadt leben, in der Tat nicht machen", sagt der Psychiater und Stressforscher Mazda Adli aus Berlin.
In seinem Buch "Stress and the city" beschreibt er viele Studien, die belegen, dass das Stadtleben mit dem Gehirn interagiert und seine Spuren hinterlässt. Positive Spuren. Adli zeigt auf, dass Kinder in der Stadt natürlich in stärkerem Maße Stress ausgesetzt sind, Lärmverkehr und sozialen Problemen. Aber es stimme nicht, dass Kinder in der Stadt unter unsichereren oder gefährlicheren Bedingungen aufwachsen, wie oft vermutet wird. Städte sind nicht unsicherer geworden, nur die Eltern. "Tatsächlich werden in den meisten Fällen die Nachteile der Stadt von den Vorteilen mindestens aufgewogen." Für eine günstige kindliche Entwicklung sei das soziale Umfeld viel entscheidender, also ob es Austausch mit Gleichaltrigen und Gelegenheiten gibt, um "soziale Zeit" mit anderen zu verbringen.
Kinder in der Stadt haben viele Möglichkeiten
Auch Kinder profitieren von Vorteilen des Stadtlebens – Reichtum an Kultur, Bildungs- und Entfaltungsmöglichkeiten, Förderung jeglicher Interessen und Begabungen. "Die Verschiedenartigkeit von Menschen und Lebensgewohnheiten, Sprachen und Kulturen, lernt und erlebt ein Kind in der Stadt meist leichter als auf dem Land. Musikunterricht, Sport oder Ballett lassen sich auf dem Land in der Regel nur um den Preis von ausgedehnten elterlichen Chauffier-Fahrten realisieren", so der Autor. "Das Förderangebot in den Städten ist schätzungsweise vier Mal so dicht wie auf dem Land. Hinzu kommen zahlreiche weitere logistische Vorteile: Alleinerziehende können in der Stadt unkomplizierter Betreuung organisieren, sich mit anderen Eltern abstimmen ... Überhaupt lassen sich Familie und Beruf in der Stadt leichter kombinieren", begründet Adli sein Pro für das Stadtleben. Generell seien im urbanen Raum die Wege kürzer und die Betreuungssysteme besser.
Eine gängige Vorstellung vom Landleben ist: Kinder haben Garten und Natur vor der Haustür, sie können früher lernen, sich autonom und ohne elterliche Beaufsichtigung außerhalb des Hauses zu bewegen. Das ist aber gar nicht der Fall, denn es setzt voraus, dass die Eltern ihre Kinder tatsächlich auch nach draußen lassen und die räumlichen Bedingungen wirklich so idealtypisch ausfallen. Es kommt vermutlich gar nicht so selten vor, dass ein Dorf nicht mehr und bessere Spielorte aufzuweisen hat als ein Wohnviertel in der Stadt. "Die Verstädterungsprozesse, die auch unsere Dörfer erfasst haben – dichtere Bebauung, mehr größere Straßen – , haben auch auf dem Land den Bewegungsradius der Kinder immer kleiner werden lassen".
Sicherlich, Städte mögen ihren Preis haben, was die Bewegungsfreiheit angeht. Kinder können nicht unbedacht aus der Haustür gehen – aber sie lernen garantiert sehr schnell und nachhaltig, welche Gefahren und Unwägbarkeiten z.B. Straßenverkehr mit sich bringt. "Kinder haben bemerkenswerte Fähigkeiten, sich Spiel und Bewegungsräume zu erschließen", so Adli. "Darauf sollten Eltern vertrauen."
Leben auf dem Land oder in der Stadt?
Es werden sich für alle Optionen immer Vor- und Nachteile finden lassen. Mal fehlt der Bezug zur Natur, mal der frühe Umgang mit dem Straßenverkehr. Mancherorts sind die Schulen besser, woanders gibt es mehr Auswahl an Freizeitaktivitäten. Hier kann aufs Auto verzichtet werden, dort muss man ständig mobil sein.
Das Wichtigste – und da sind sich alle Experten einig – ist der ausreichende Kontakt zu Gleichaltrigen. Und das können Kinder sowohl in der Stadt als auch auf dem Land haben. Letztlich ist es immer eine Frage, wie man als Familie leben möchte und welchen Preis man dafür zahlen kann und will. Und was Eltern auch nie vergessen sollten: Kinder fühlen sich dort wohl, wo sich auch Mama und Papa wohl fühlen. Und wo alle das Gefühl haben: "Hier ist unser Zuhause!"
Checkliste vor dem Umzug aufs Land oder in die Stadt
Ein Umzug ist kein Tagesausflug. Für das neue Leben an einem anderen Ort müssen gewisse Kriterien erfüllt sein. Wichtig ist dabei, nicht nur an heute oder morgen, sondern sogar schon an übermorgen zu denken. Der zeitliche Sprung vom Kindergarten bis zu Realschule ist am Ende viel kürzer als man denkt. Und deswegen ist eine Schritt-für-Schritt-Planung unerlässlich, um sich – so gut es geht – vor bösen Überraschungen rechtzeitig zu wappnen.
Solch eine penibel genaue Checkliste ist mitentscheidend, ob diese Wohnung oder jenes Haus, dieses Dorf oder jene Stadt die richtige Wahl ist. Was nicht vorher überprüft wird, kann später meistens nicht mehr repariert oder geändert werden.
Natürlich wird die neue Wohnung oder das Haus ganz genau unter die Lupe genommen. Leider wird aber die Umgebung vor lauter Begeisterung "vergessen". Deshalb am besten nicht nur einmal eine flüchtige Ortsbesichtigung machen, sondern mindestens viermal: Je einmal morgens, mittags, abends (möglichst auch bei Dunkelheit) und mindestens einmal und ohne auf die Zeit zu schauen mit den Kindern nicht nur die nächstgelegenen Straßen abfahren, sondern zu Fuß gehen und genau hinhören, was die kleinen Mäuse zu sagen haben, was sie "toll" oder "blöde" finden. Unsere Kinder müssen mit der neuen Umgebung genauso klarkommen wie wir Eltern.
Auf die folgenden Punkte solltet ihr ganz genau achten:
KITA:
Wie viele gibt es (kirchlich? staatlich)
Wie weit von meinem Zuhause entfernt?
Wie zu erreichen (Zu Fuß? Fahrrad? Bus, Mitfahrgelegenheit, nur im eigenen Auto).
SCHULE:
Grundschule vor Ort?
Wie weit von meinem Zuhause entfernt?
Wie zu erreichen (Zu Fuß, Fahrrad, Bus, Mitfahrgelegenheit, nur eigenes Auto)?
Hauptschule, Realschule, Gymnasium:
Welche Schulform gibt es in welchen Entfernungen?
Wie zu erreichen (Zu Fuß, Fahrrad, Bus, Mitfahrgelegenheit, nur eigenes Auto)?
INFRASTRUKTUR:
Entscheidend:
Geographie: Wie weit entfernt ist der nächste Ort, Vorort, Klein- oder Großstadt?
Gesundheit: Hausarzt (Hausbesuche!), Fachärzte, Apotheke, Krankenhaus?
Mobilität: Zu Fuß, Fahrrad, Bus, Mitfahrgelegenheit, nur das eigene Auto?
Organisation: Haushaltshilfe, Babysitter (wenn beide Eltern berufstätig sind)
Technik: Telefon-, Internetanschluss, Post
Wichtig:
Bäcker
Supermarkt (wer, wie viele), Discounter, Wochenmarkt
Einkaufszentren, Reisebüro etc.
Tankstelle, Reparaturwerkstätten
Restaurants, Cafés, Schnellimbiss
Job-Gelegenheiten, Aushilfsjobs
Nähe eines Spielplatzes, Bolzplatzes, Sportverein

